Psychoanalyse

»Seine Theorien waren ein Irrtum«

Herr Israëls, was haben Sie gegen Freud?
israëls: Gar nichts, im Gegenteil, Freud ist für mich ein sehr interessanter Autor. Interessant an ihm ist vor allem die seltene Kombination aus seinem großen Einfluß und seiner Art zu arbeiten.

Sie haben in Ihrem Buch »Der Fall Freud –Die Geburt der Psychoanalyse aus der Lüge« nachgewiesen, daß der Erfinder der Psychoanalyse unwissenschaftlich gearbeitet hat und regelmäßig schummelte. Sie und viele andere Autoren haben viele Fallstudien, mit denen Freud seine Thesen belegte, als »frisiert« entlarvt. Wenn es aber etwa die berühmte Heilung der Anna O. nie gegeben hat – ist dann nicht die gesamte Psychoanalyse hinfällig?
israëls: Schon die in der Psychoanalyse verwendeten Begriffe sind derart vage, daß es keinen Tatbestand gibt, der einer psychoanalytischen Aussage widerspricht. Man kann sie also eigentlich nicht widerlegen – aber auch nicht beweisen. So funktioniert Wissenschaft nicht. Wenn ich die empirischen Studien richtig verfolgt habe, ist es so, daß Psychotherapie im allgemeinen ein bißchen helfen kann. Das gilt für alle Formen. Wenn eine lange, teure Psychoanalyse also nicht besser hilft als kürzere und billigere Therapien, warum hat die Psychoanalyse dann immer noch diesen Stellenwert? Haben Sie eine Antwort?
israëls: Keine befriedigende. Eine Teilerklärung ist vielleicht, daß Freud ein guter Schriftsteller war. Viele seiner Texte sind belebend, gebildet, zum Teil witzig. Man liest das einfach gern. Dazu kommt vielleicht, daß wir modernen Intellektuellen nicht mehr an Gott oder eine Religion glauben. Freud war ja auch ein überzeugender Atheist. Das Bedürfnis nach etwas, das mehr ist, mehr erklärt als die Erkenntnisse der Fachwissenschaften, ist dadurch aber nicht verschwunden. Die Psychoanalyse beinhaltet so etwas Umfassendes.

Demnach wäre die Psychoanalyse die einzige Weltanschauung, die von der Krankenkasse subventioniert wird ...
israëls: Es scheint so. Ich habe aber auch schon von Leuten gehört, die ihre Therapie selbst bezahlt haben.

Ist Psychoanalyse also Quatsch?
israëls: Wir reden jetzt über die Psychoanalyse als Therapie. Die Tatsache, daß die psychoanalytische Therapie wenig hilft, beweist noch nicht, daß die Psychoanalyse als Wissenschaft Quatsch ist. Auch Freud selbst war am Ende seines Lebens pessimistisch über die Resultate der Therapie, aber das bedeutet nicht, daß er dasselbe über die Psychoanalyse als Wissenschaft dachte.

Als »Der Fall Freud« 1999 auf deutsch erschien, haben Sie viel Kritik, sogar Anfeindungen erlebt. Fast die gesamte psychotherapeutische Zunft ist regelrecht über Sie hergefallen. Fühlen Sie sich als Dissident?
israëls: Das scheint ein deutsches Phänomen zu sein. In der internationalen Wissenschaftslandschaft sind die Freud-»Dissidenten« eine blühende Gemeinschaft, in der untereinander viel diskutiert und auch gestritten wird. Aber die Psychoanalyse steht in Deutschland trotz zahlreicher kritischer Veröffentlichungen von Wissenschaftlern aus der ganzen Welt meiner Ansicht nach nicht viel schlechter da als vor zehn Jahren. In Deutschland sind Freud-Kritiker tatsächlich eine kleine Minderheit.

Woran liegt das?
israëls: Auch darauf habe ich keine befriedigende Antwort. Eine These wäre, daß es mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun hat. Die Deutschen haben sechs Millionen Juden ermordet. Das ist ja nicht nur irgendeine historische Episode. Deshalb ist vieles, was mit Judentum zu tun hat, hier ein Tabu. Es ist unangenehm, jemanden wie Freud zu kritisieren, der nicht nur Jude war, sondern dessen Bücher auch von den Nazis verbrannt worden sind. Wer Freud angreift, steht gewissermaßen automatisch auf der Seite der Nazis.

Einer der deutschen Kritiker der Psychoanalyse, der Wissenschaftsjournalist Rolf Degen, war früher Psychoanalytiker und hat sich nun zum erbitterten Gegner gewandelt. Wie war das bei Ihnen?
israëls: Ich habe auf der Suche nach einem Thema für meine Doktorarbeit von meinem Doktorvater ein Buch über einen berühmten Fall Freuds, den Fall Schreber, bekommen. Die Arbeit, die ich schrieb, war aber keine psychoanalytische, ich studierte Soziologie. Während meiner Recherchen ist mir aufgefallen, daß die meisten psychoanalytischen Autoren sich für die historischen Fakten von Freuds Fällen überhaupt nicht interessiert haben. Das fand ich erstaunlich. Aber als ich anfing, mich mit Freud zu befassen, war ich der Psychoanalyse gegenüber nicht kritisch eingestellt. Das war erst das Ergebnis meiner Arbeit.

Welchen Umgang mit Freud würden Sie sich in diesem Jubiläumsjahr wünschen?
israëls: Man sollte zu dem Schluß kommen, daß seine Theorien ein großer Irrtum waren. Aber ich bin pessimistisch, daß sich diese Erkenntnis durchsetzt. Genau wie Freud glaube ich, daß bei den meisten Menschen die Intelligenz viel schwächer ausgeprägt ist als die Emotionen.

Das Gespräch führte Tobias Kaufmann.

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