von Christine Schmitt
Interessiert bleibt der ältere Herr stehen, beobachtet die vielen jubelnden Menschen auf der Straße und erkundigt sich dann freundlich, was denn hier gefeiert werde. Als er erfährt, dass eine Torarolle in die Synagoge eingebracht wird, sagt er lächelnd: »wie schön«.
Die Passauer Straße in Schöneberg ist am Sonntagnachmittag für Autos gesperrt. Stattdessen tanzen, singen und klatschen Männer, Frauen und Kinder auf der Straße, als die Torarolle mit einem Auto vorgefahren wird. Rouven Yaacubov, Rabbiner der sefardischen Synagoge, hatte die letzten fünf Buchstaben in der Wohnung des Spenders Vitali Mor zu Ende geschrieben. Beim Einzug der Sefer Tora werden Fackeln angezündet und Bonbons geworfen, dazu erklingt Klarinetten- und Gitarrenmusik. Lautstark geht es schließlich die Treppen hoch in die Räume der Synagoge im dritten Stock, wo sie gefeiert und nach der Zeremonie schließlich im Toraschrank verschlossen wird.
»Ich wünsche der sefardischen Synagoge eine gute Zukunft«, sagt Lala Süsskind, die Vorsitzende der Gemeinde. Gleichzeitig appelliert sie, dass alle Juden unabhängig von der Glaubensrichtung zusammenhalten sollen. Michael Joachim, Vorsitzen-
der Repräsentantenversammlung (RV), sagt, dass es ein wunderbarer Gewinn für die Beter sei, nun über eine eigene Torarolle zu verfügen. »Die sefardische Synagoge ist ein integraler Bestandteil unserer Gemeinde«, versichert Joachim. Er begrüße jede Spende, da dadurch das jüdische Leben unterstützt und gestärkt werde. Vitali Mor, der Mäzen, hatte gehört, dass die sefardische Betstube keine eigene Tora hatte. Daraufhin hatte er angeboten, sie zu stiften. Diese wurde daraufhin in Israel geschrieben – bis auf die letzten fünf Buchstaben. Ein halbes Jahr lang sei an ihr gearbeitet worden, immerhin mehr als 300.000 Buchstaben, sagt der Rabbiner. Der Schreiber sei so gründlich und sorgfältig vorgegangen, dass kein einziger Fehler gefunden wurde. Am Freitag sei sie dann in Berlin angekommen.
»Ich bin sehr stolz und glücklich über diesen Tag«, sagt Maurice Elmaleh, Mit-initiator der sefardischen Synagoge, die es mittlerweile über zwei Jahre lang schon gibt. Mehrmals täglich komme ein Minjan in den provisorisch ausgestatteten Räumen zusammen. Es müsse dringend etwas an der Einrichtung getan werden, hatte Gemeindeältester und Beter Isaac Behar bei der jüngsten Sitzung der Repräsentanz gefordert. Vor allem die Bestuhlung müsse unbedingt verbessert werden.
Man habe nicht nur an neue Stühle für die Synagoge gedacht, sondern gleich an einen »ganz großen Wurf«, hatte Finanzdezernent Jochen Palenker bei dieser Sitzung mitgeteilt. Für dieses Projekt – den Umzug in neue Räume – wolle er bei der Klassenlotterie 600.000 Euro beantragen. Denn eines stehe fest: Die Sicherheit sei in der Passauer Straße nicht optimal, das hätte ein Gutachten des Landeskriminalamtes ergeben. Das Problem sei die zentrale Lage, sagt auch Kultusdezernent Benno Bleiberg. Der Vorstand habe sich bereits mit dem Bezirksamt in Verbindung gesetzt, um ein neues Domizil zu finden. »Aber es wird schwer«, meint Bleiberg. Die Beter möchten in der Nähe des Kurfürstendamms bleiben, nicht so weit zur Synagoge laufen, die Sicherheit müsse auch gewährleistet werden – und da sei es nicht einfach, etwas Geeignetes in absehbarer Zeit zu finden. »Ob und wo wir geeignete Räumlichkeiten finden, steht noch in den Sternen.«
Im September 2000 begann in Privaträumen von Rabbiner Awraham Daus ein sefardischer Minjan, der sich zunehmender Beliebtheit erfreute. Unter den jüdischen Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion waren auch zahlreiche sefardische Juden, vorwiegend aus der Kaukasus-Region (Aserbaidschan), die nach ihrem eigenen Ritus beten wollten. Im April 2006 wurde die Synagoge Tiferet Israel in der Passauer Straße eröffnet. Einen sefardischen Synagogenverein dieses Namens hatte es schon vor der Schoa in Berlin gegeben. »Mit der neuen Torarolle ist jetzt für uns eine neue Ära angebrochen«, freute sich einer der Beter.