von Michael Wuliger
Sein Name klang urfranzösisch: Jules Dassin, ausgesprochen »Dschül Dassän«. Doch der große alte Mann des französischen Kinos war eigentlich Amerikaner, genauer jüdischer Amerikaner. Er kam am 18. Dezember 1911 in Harlem zur Welt, wohin seine Eltern vor den Pogromen im zaristischen Russland geflohen waren.
Schon in der Schule spielte der junge Jules Theater. Seine professionelle Bühnenkarriere begann er mit 25 Jahren am New York Yiddish Theatre als Darsteller und Regisseur. Von dort warb ihn Metro-Goldwyn-Mayer nach Hollywood ab. Dassins Kinokarriere begann zunächst bescheiden: Er drehte Kurzfilme für das Vorprogramm und assistierte etabliertenKollegen wie Alfred Hitchcock, bevor er 1942 bei seinem ersten eigenen Spielfilm Regie führen durfte: Nazi Agent mit Conradt Veidt in der Hauptrolle, ein eher mittelmäßiger Kriegspropagandafilm. Einen Namen als Regisseur machte Dassin sich nach seinem Wechsel zu Universal Studios: Mit Thrillern wie Naked City 1948 und Night and the City 1949 wurde er zu einem der Klassiker der amerikanischen Schwarzen Serie.
Kurz darauf kam Dassins U.S.-Karriere zu einem abrupten Halt. 1950 denunzierte ihn sein Kollege Edward Dmytryik vor dem Kongressausschuß für unamerikanische Umtriebe als Kommunist. Dassin war zwar nur kurze Zeit Parteimitglied gewesen, doch er landete wie Hunderte anderer Regisseure, Schauspieler und Drehbuchschreiber auf der Schwarzen Liste. In Hollywood fand er keine Arbeit mehr.
Dassin ging nach Frankreich, wo es kein Berufsverbot für Linke gab und wurde zum Vater der »Nouvelle Vague«, die Spielfilme mit quasidokumentarischen Stilmitteln gestaltete. 1954 brachte er Rififi in die Kinos, einen Thriller um einen Bankraub, bei dem Dassin das Drehbuch schrieb, Regie führte und selbst mitspielte. In die Kinogeschichte eingegangen ist die 21minütige Einbruchssequenz, in der außer den Geräuschen der Werkzeuge und dem Atmen der Diebe kein anderer Ton zu hören ist. Für den »besten Film noir, der je gedreht wurde«, so Francois Truffaut, erhielt Dassin in Cannes 1955 den Regiepreis. Bei der Verleihung lernte er die Schauspielerin Melina Mercouri kennen. Die beiden wurden beruflich und privat ein Team: Sie drehten gemeinsam Kinoerfolge wie Sonntags nie und Topkapi. 1966 heirateten der Regisseur und seine Hauptdarstellerin. Sie blieben ein Paar, bis Mercouris Tod 1994 sie schied.
Nachdem Mitte der sechziger Jahre die Schwarze Liste aufgehoben worden war, konnte Jules Dassin auch wieder in Hollywood arbeiten. Doch seine dort gedrehten Filme wie Black Power 1968, Versprechen in der Dämmerung 1970 und zuletzt Zwei Herzen voller Liebe 1980 konnten weder an die Qualität noch an den Erfolg seiner früheren Arbeiten anknüpfen. Dazu kam eine private Tragödie: Sein Sohn Joe Dassin, mit Liedern wie Les Champs Elysées einer der erfolgreichsten französischen Chansonsänger, starb 1980 an einem Herzinfarkt. Er wurde nur 38 Jahre alt. Jules Dassin beendete seine Filmkarriere und zog sich in nach Griechenland zurück, in die Heimat seiner Frau. Dort ist er Montag abend 96-jährig gestorben. Die Trauerfeier wird am Mittwoch in der Synagoge von Athen stattfinden. Danach wird Jules Dassin, wie es sein letzter Wunsch war, neben Melina Mercouri beigesetzt werden.