Aufstiegschancen

Relativ arm

von Doron Kiesel

Es wird nicht gerne darüber geredet. Gemeindemitglieder und -funktionäre umschiffen das Thema ebenso schweigend wie die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Doch es gibt sie: arme Juden. Diese Erkenntnis mag trivial klingen. Doch sie entspricht weder dem gewachsenen Selbstverständnis der jüdischen Gemeinschaft, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine neue Existenz in Deutschland aufbaute, noch der Selbstwahrnehmung der jüdischen Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion.
Während sich die einen in der »alten« Bundesrepublik wirtschaftlich entfalten und einen gewissen Wohlstand erreichen konnten, verweisen die meisten der in den vergangenen Jahren zugewanderten Juden auf stabile berufliche Verhältnisse und auf bescheidene, jedoch berechenbare Einkommensverhältnisse in ihrer ehemaligen Heimat. Erfahrung mit wirtschaftlicher Not haben beide Gruppen eher selten gemacht. Es war vielmehr das Ziel der sowjetischen Juden, ihre gesellschaftliche Zugehörigkeit durch ihren beruflichen Status zu demonstrieren. Ebenso waren die westdeutschen Juden bemüht, ihre gesellschaftliche Teilhabe durch berufliche und wirtschaftliche Kompetenzen zu sichern.
Die gesellschaftliche Armut hat jedoch nun auch die jüdische Gemeinschaft hierzulande erreicht – zumeist unerwartet hart und schmerzhaft. Gemeint sind hier in erster Linie Zuwanderer, die ihre vertraute Lebenswelt zwar bewusst verlassen haben, weil sie ahnten oder auch wussten, wie gefährdet ihre Existenz als Juden in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion werden könnte. Aber sie konnten sich nicht vorstellen, was es bedeutet, buchstäblich über Nacht in die soziale Abhängigkeit des Staates zu geraten. Sie wussten nicht, was es bedeutet, auf einem Arbeitsmarkt zu landen, dessen Vertreter einem unumwunden mitteilen, dass die mitgebrachten beruflichen Qualifikationen entweder nicht anerkannt werden oder das erreichte Lebensalter den weiteren Berufsweg verstellt. Die Folge für viele: Arbeitslosengeld II oder Hartz IV.
Das heißt jedoch auch: Es geht hier keineswegs um die »nackte Existenz«. Es geht den meisten Zuwanderern auch nicht um die Frage, ob es richtig war, ihre Heimat zu verlassen. Aber es geht darum, eine migrationsbedingte Situation als Realität zu erkennen, die zunächst einmal einer sozialen und kulturellen Verarmung gleich- kommt. Sowohl die jahrzehntelang eingespielten Lebensformen als auch die bewehrten Überlebensstrategien sind in der neuen Gesellschaft wenig erfolgreich.
Die Armut der Zuwanderer ist eine relative Armut. Die staatlichen Zuwendungen von Flensburg bis Görlitz lassen sich mit den staatlichen Leistungen in ihrer alten Heimat nicht vergleichen. Dies wissen und würdigen die »Neuen« und arrangieren sich mit der Wirklichkeit. Sie wissen auch, dass Millionen andere Menschen in Deutschland ein ähnliches Schicksal haben. Es ist also weniger die objektive Armut, unter der die Zuwanderer leiden. Es ist die Differenz- und Verlusterfahrung, die sie ebenso wie Millionen von Migranten und Flüchtlinge in anderen Ländern machen. Zugleich erkennen sie aber auch, dass ihre Existenz in relativer Armut nicht ihrer religiösen Zugehörigkeit »geschuldet« ist. Und sie wissen, dass ihre Kinder und Enkel bisher ungeahnte Chancen haben, wenn es um den sozialen und beruflichen Aufstieg geht.
Die Armut unter Juden zu ignorieren, hieße, mit sozialer Blindheit geschlagen zu sein. Den jüdischen Zuwanderern das Stigma der Armut dauerhaft anzuheften, wäre jedoch ebenso völlig unangemessen. Denn die Migrationsgeschichte und die Migrationsgeschichten zeigen, wie schnell und erfolgreich diese Menschen eigene Wege gehen, Nischen gesucht und gefunden haben, um ihre gesellschaftliche Anschlussfähigkeit unter Beweis zu stellen. Diese Bereitschaft verbindet sich mit den Überlebenden der Schoa, die nach Ende des Zweiten Weltkrieges trotz allem in der Bundesrepublik blieben.
Doch Geschichte wiederholt sich eben nicht so ohne Weiteres. Das ahnen wohl auch die jüdischen Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion, wenn sie sagen: »Wir haben das alles für unsere Kinder gemacht.« Was als (selbst)tröstende Einsicht gemeint ist, kann sich als sehr realistisch erweisen.

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  05.02.2025

USA/Israel

Trump empfängt Netanjahu im Weißen Haus

Als erster ausländischer Staatsgast in Trumps zweiter Amtszeit kommt der israelische Regierungschef nach Washington. In dem Republikaner hat der israelische Besucher einen wohlwollenden Unterstützer gefunden

 04.02.2025

Düsseldorf

Igor Levit: Bin noch nicht fertig mit diesem Land

Am Klavier ist er ein Ausnahmekönner, in politischen Debatten meldet er sich immer wieder zu Wort. 2020 erhielt der jüdische Künstler das Bundesverdienstkreuz - das er nun nach eigenen Worten fast zurückgegeben hätte

 03.02.2025

Berlin

Kreise: Union will Gesetz doch zur Abstimmung stellen

Hinter verschlossenen Türen wurde in den Unionsparteien viel über das »Zustrombegrenzungsgesetz« gesprochen. Nun gibt es laut Teilnehmern eine Entscheidung

 31.01.2025

Kommentar

Der stumme Schrei der Arbel Yehoud

Die Israelin wurde am Donnerstag von den Hamas-Terroristen endlich freigelassen. Die junge Frau muss unvorstellbare Qualen ausgestanden haben

von Nicole Dreyfus  31.01.2025

Kultur

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 30. Januar bis zum 5. Februar

 30.01.2025

Österreich

»Gegen Antisemitismus und Antizionismus aufstehen«

Der Bundeskanzler, dessen ÖVP Koalitionsgespräche mit der rechtsextremen FPÖ führt, sagt, weder Hass noch Ausgrenzung dürfe Platz geboten werden

 27.01.2025

Irland

Eklat mit Ansage beim Holocaust-Gedenken

Nach seinem Exkurs zum Gaza-Krieg bei der Gedenkfeier in Dublin hagelt es scharfe Kritik am irischen Staatspräsidenten

von Michael Thaidigsmann  27.01.2025

Berlin

Scholz zu Auschwitz-Gedenken: Müssen Erinnerung hochhalten

Am 80. Jahrestag der Befreiung des ehemaligen deutschen Vernichtungslagers wird der Opfer des NS-Terrors gedacht. Viele Zeitzeugen sind mittlerweile gestorben

 27.01.2025