Rumänien

Rabbiner verzweifelt gesucht

von Laura Capatana Juller

Rund 10.000 Juden gibt es in ganz Rumänien. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus erlebt das Gemeindeleben an vielen Orten einen kleinen Aufschwung. Doch dieser ist zunehmend durch den Mangel an Rabbinern gefährdet. Nur vier stehen für das ganze Land bereit – und alle stammen aus Israel. Drei von ihnen leben in Bukarest und betreuen von dort aus alle 45 Gemeinden und 18 Gemeinschaften, die im Land verstreut sind.
Um das Gemeindeleben notdürftig in Gang zu halten, werden vielerorts die Gebete von sogenannten Offizianten oder Vorbetern durchgeführt. Das sind alte Juden, die die religiösen Traditionen kennen. Viele rumänische Juden auf dem Lande haben seit Jahren keinen Rabbiner mehr zu Gesicht bekommen. Manche reisen etliche Kilometer bis in die nächste größere Gemeinde, um an einem Gottesdienst teilzunehmen. Andere wiederum finden sich mit dem Rabbi-Mangel ab und leben ihr Judentum aus der Erinnerung.
»Ich ging zwei Mal im Jahr in die Synagoge: zu Neujahr und zu Jom Kippur. Und ich saß da alleine. Das, woran ich mich erinnern konnte, betete ich, sonst saß ich einfach dort«, sagt Erich Raducanu aus dem siebenbürgischen Sighisoara (Schässburg), der sich jahrelang um die Synagoge in seiner Stadt kümmerte. Nun ist er 94 Jahre alt und kann nicht mehr aus dem Haus. Glaubensbrüder, mit denen er über das Judentum hätte sprechen können, hat er selten getroffen, denn er war lange Zeit der einzige Jude in der Stadt. Den Oberrabbiner hat er ein einziges Mal gesehen, als dieser ihn besuchte.
Rund 800.000 Juden lebten einst auf dem Gebiet Rumäniens. Mehr als die Hälfte sind in der Schoa umgekommen. Viele der Überlebenden und deren Kinder sind mit der Zeit ausgewandert, hauptsächlich nach Israel. Eine kleine und stark veraltete Gemeinde blieb zurück. Oberrabbiner Moses Rosen, der die rumänischen Juden 46 Jahre lang durch den Ceausescu-Kommunismus hindurch betreute, starb 1994. Vor zwei Jahren starb auch der letzte rumänische Rabbiner des Landes, Ernst Neumann.
Seit 1998 ist Menachem Hacohen aus Israel Oberrabiner von Rumänien. Er ist auch in Israel als Rabbiner der Bewegung Moschavim tätig, gleichzeitig ist er religiöser Berater des American Jewish Joint Distribution Committee. Um in beiden Ländern seinen Verpflichtungen gerecht zu werden, pendelt Hacohen zwischen den Hauptstädten. Vor drei Jahren brachte er aus Israel Rabbiner Abraham Ehrenfeld mit. Dieser wohnt nun mit seiner Frau in Bukarest und ist als »reisender Rabbiner« bekannt, weil er rastlos im Lande unterwegs ist.
Seit sieben Jahren ist auch Chabad Lubawitsch mit zwei Rabbinern in Rumänien vertreten. Die einzige Synagoge, die sie besitzen, haben sie von der jüdischen Födera- tion erhalten, meist wird sie von Israelis besucht. Am besten mit Rabbinern versorgt ist noch die Bukarester jüdische Gemeinde. Wenigstens einer ist immer in der Hauptstadt, täglich finden Gottesdienste statt. Doch die Provinz leidet.
Zoltan Blum ist 80 und gleichzeitig der letzte Jude, der noch im Gherla lebt. Zu Channuka und Purim fährt er zu einer nahe liegenden Gemeinde in Dej oder in die Großtadt Cluj-Napoca (Klausenburg). »Es ist schwer, und die Nähe des Rabbiner fehlt mir. Ich bin hier alleine geblieben. Der Rabbiner kann nicht nur für mich herkommen«, äußert Blum Verständnis. »Unabhängig davon, ob ich mit dem Rabbiner rede oder nicht, mein Glaube besteht! Denn er kommt mit der Geburt, mit der Erziehung!«
Rabbiner Ehrenfeld tut jedoch, was er kann, um sich um die Juden im Lande zu kümmern. »Ich durchkreuze Rumänien vom Süden nach Norden, vom Westen nach Osten«, sagt der Rabbiner. Meist besucht er die größeren Städte. In Tulcea am Ausgangspunkt des Donaudeltas war er aber beispielsweise seit mehreren Jahren nicht mehr. 28 Juden leben hier. Die meisten sind alt und erinnern sich nicht einmal mehr, seit wann sie keinen eigenen Rabbiner mehr haben. Der Vorbeter der Gemeinde ist 97 Jahre alt und kann nicht mehr dienen. Zu besonderen Anlässen, meist zu Begräbnissen, werden Offizianten aus der größeren Gemeinde Galati eingeladen.
Fast jeden Samstag treffen sich die Gemeindemitglieder von Tulcea im Gebetshaus. »Es ist sehr schwer ohne Rabbiner, aber wir respektieren unsere Tradition, und wir machen, was wir können. Wir würden schon gerne einen eigenen Rabbiner haben, aber das kommt nicht einmal in Frage. Es gibt zu wenige«, sagt Solomon Feinblat, Präsident der Gemeinde.
Auch in Iasi (Yassi), in der rumänischen Provinz Moldau, halten Offizianten das Gebet für die rund 500 Juden. Drei, vier Mal im Jahr, wenn ein Rabbiner kommt, findet ein richtiger Gottesdienst statt. »Im Juli war der Rabbiner zum letzten Mal zu Besuch, aber er kommt, sooft er eingeladen wird und Zeit hat«, erzählt der Gemeindeleiter von Iasi, Pincu Kaisermann.
Die Föderation jüdischer Gemeinden in Rumänien organisiert regelmäßig Seminare zu jüdischen Studien. Jugendliche aus dem ganzen Land werden für religiöse Dienste ausgebildet. Eines Tages sollen sie die Arbeit der Offizianten weiterführen, wenn deren Stellen frei werden. Doch es geht den Leuten nicht nur um das Gebet. Für viele Gemeindemitglieder ist die ständige Präsenz eines Seelsorgers wichtig. »Die Leute wollen meine Stimme hören. Sie weinen. Wenn ich sie manchmal mit Lebensmitteln besuche, sagen sie ›Wir brauchen eher einen Rabbiner als das Essen‹«, erzählt Oberrabbiner Menachem Hacohen.
Die Aufgabe in Rumänien habe er vor acht Jahren übernommen – gegen seinen Willen und mit der Vorgabe, nur ein Jahr dienen zu wollen, erzählt Hacohen. Schließlich sei er kein Rumäne und habe viel Arbeit in Israel zu erledigen. Dass er blieb, sei seiner guten Beziehung zum verstorbenen Oberrabiner Rumäniens, Moses Rosen, zu verdanken, den er während der kommunistischen Zeit mehrfach besucht habe.
Die Lebensbedingungen in Rumänien seien nicht verlockend, erklärt Hacohen das fehlende Interesse israelischer Rabbiner, nach Bukarest zu ziehen. »Den Rabbinern werden überall auf der Welt so viele Jobs angeboten. Warum sollen sie ausgerechnet nach Rumänien kommen? Sie wollen westliche Standards, Wohnungen, Kinderbetreuung, Essen ...« Allein die rumänische Gemeinde halte ihn hier. »Ich wollte helfen! Hätte ich die anderen Angebote angenommen, die mir gemacht worden sind, wäre ich jetzt einer der leitenden Rabbinern der jüdischen Welt«, sagt Hacohen.
Rabbiner Naftali Deutsch von Chabad Lubawitsch scheint sich dagegen in Rumänien sehr gut eingelebt zu haben. Gemeinsam mit seiner Frau und den fünf Kindern wohnt er seit sieben Jahren in Buka- rest. Zusammen mit Rabbiner Yeshayahu Gerlitzky betreut er die Gemeinde. Die Frauen der beiden Rabbiner leiten einen jüdischen Kindergarten, den insbesondere israelische Kinder besuchen, deren Eltern in Rumänien arbeiten.
Abwechselnd fahren die Rabbiner wöchentlich ins Land, um den Leuten dort nahe zu sein. »Rabbiner Deutsch war persönlich noch nicht hier, aber es besteht eine gu- te Beziehung zwischen unserer Gemeinde und ihm. Er schickt meist Lehrlinge und Volontäre, die dem Judentum sehr ergeben sind und die jüdische Flamme lebendig erhalten wollen. Sie machen hier eine Art Praktikum«, sagt Hari Marcus, Präsident der jüdischen Gemeinde Sighetu Marmatiei.
Die vier Rabbiner Rumäniens organisieren ihre Reisen im Land meist in Absprache, so dass sie gleichzeitig an mehreren Orten Seelsorger sein können. Zwei Delegationen, gebildet aus jeweils einem Rabbiner und einer Führungskraft der Föderation, haben die Gemeinden und die Gläubi- gen an Chanukka besucht. Ihre Routen waren getrennt. »Dieses Mal haben wir auch ganz kleine Gemeinden besucht«, sagt Aurel Vainer, Präsident der Föderation.
Der Mangel an jüdischen Seelsorgern wird aber weiterhin bestehen. »Ich weiß wirklich nicht, wie wir dieses Problem lösen können. Wir brauchen mehr geistliche Kräfte, noch zwei in Bukarest und wenigstens zwei, die von Ort zu Ort reisen, auch wenn es in manchen Ortschaften nur noch zwei oder drei Juden gibt«, sagt der Oberrabbiner.
Ein erster Schritt in diese Richtung ist die Vorbereitung von Sorin Rosen in den USA zum Rabbiner für Rumänien. Nach seinem Studiumabschluss soll der 28-jährige Rumäne schon im diesen Jahr ins Amt eingeführt werden. »Unsere Hoffnung für das Judentum knüpfen sich an die junge Generation. Denn in zehn Jahren wird die ältere Generation nicht mehr leben. Dann, so hoffe ich, werden die Jungen zur Übernahme bereit sein«, sagt der Oberrabbiner.

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