Romaniotische Synagoge

Ouzo zum Kiddusch

von Hannes Stein

Die Kehilla Kedoscha Janina liegt wie ein Schmuckkästlein, das vor den Augen von Plünderern verborgen werden soll, mitten in Chinatown in Manhattan. Man muss schon die Adresse kennen, um hinzufinden: 180 Broome Street. Steht man aber erst einmal vor dem Haus, müsste man stockblind sein, um nicht zu sehen, dass sich hier – zwischen lauter Läden, die rote Schriftzeichen auf Mandarin und Kantonesisch tragen – eine feine kleine Synagoge versteckt. Der Stern Davids auf der Fassade ist ebenso unverkennbar wie die stilisierte Darstellung der mosaischen Gesetzestafeln. Drückt man die Tür auf und steigt ein paar Stufen empor, findet man sich in einem hellen hohen Betraum mit edlen Proportionen wieder. Dort warten zwei Menschen auf den Besucher: Marcia Haddad Ikonomopoulos, die als Direktorin dem Museum dieser jüdischen Gemeinde vorsteht, und Ilias Hadjis, der ihr Herz, ein wenig aber auch ihre Seele ist.
»Dies ist die einzige romaniotische Synagoge in der westlichen Hemisphäre«, so beginnt Marcia Haddad Ikonomopoulos eine Ansprache, mit der sie alle Touristen begrüßt. (Später wird Ilias Hadjis ergänzen, dass es noch drei romaniotische Synagogen in Israel gibt: zwei bei Tel Aviv und eine in Jerusalem.) Doch wer, bitteschön, sind diese romaniotischen Juden?
Manche Leute erzählen eine wildromantische Geschichte, in der ein römisches Sklavenschiff in Griechenland kentert – und das noch vor der Zerstörung des Zweiten Tempels. Die Nachkommen der Schiffbrüchigen seien die Ahnen dieser jüdischen Gruppe. Marcia Haddad Ikomonopoulos rümpft indessen die Nase, wenn sie solche Legenden referiert. Die Wahrheit ist: Die Romanioten sind jene Juden, die in Griechenland aus der hellenistischen Epoche übrig geblieben waren. Ihre Wurzeln reichen bis zur Zeit von Alexander dem Großen zurück, also gut und gern 2.300 Jahre. Wie alle Juden übernahmen die Romanioten aus ihrer Umwelt, was ihnen gerade passte – das Essen, ein paar kulturelle Traditionen, die Sprache; auch ihre Namen waren griechisch. Die Sefarden, die nach 1492 ins Osmanische Reich einwanderten, zu dem damals auch Griechenland gehörte, und sich vor allem in Salonika, dem heutigen Thessaloniki, niederließen, schauten auf die Romanioten, die sie »Grécos« nannten, mit einiger Verachtung herab. Das störte die Romanioten nicht weiter. Sie heirateten ohnehin lieber untereinander.
»Diese Synagoge hier wurde 1927 gegründet«, erklärt Marcia Haddad Ikonomopoulos. Damals lag die Broome Street noch nicht in Chinatown, sondern in der Lower East Side, in der sich vor allem jüdische Einwanderer aus Polen und Russland drängelten. Ein paar Häuser weiter befindet sich die legendäre Schul in der Eldridge Street, in der man am Schabbat vor allem Jiddisch reden hörte. Die Kehilla Kedoscha Janina, die heilige Gemeinde von Janina, in der man weder Jiddisch noch Ladino sprach, deren Beter weder Aschkenasim noch Sefardim, sondern Griechen waren, müssen in ihrer jüdischen Umgebung ungefähr so unauffällig gewirkt haben wie das Empire State Building.
Geradezu zärtlich öffnet die Museumsdirektorin den heiligen Schrein: In seinem Inneren sieht man Torarollen versammelt, die – wie sefardische Sifrei Tora – in runden Gehäusen aus Metall eingespannt sind. »Eine Tradition aus der Zeit kurz nach der Zerstörung des Ersten Tempels«, behauptet Marcia Haddad Ikonomopoulos. »Damals musste man seine Tora schnell einpacken und mitnehmen können. Übrigens schützen diese Gehäuse das Pergament wirklich – wir hatten hier mal eine undichte Stelle im Dach, aber unsere Torarollen haben allesamt überlebt.« Eines der gerollten Bücher stammt aus dem 18. Jahrhundert. »Die romaniotischen Sifrei Tora sind auf ganz spezielle Weise geschrieben. Außer dieser hier existieren nur noch zwei andere, beide in Museen. Ich will unsere Beter immer überreden, auch diese Torarolle in einem Museum aufzubewahren, aber sie wird weiter im Gottesdienst gebraucht.«
Ein Stockwerk höher, auf der Frauenempore, führt Ilias Hadjis durch eine winzige Ausstellung, die das Schicksal der griechischen Judenheit dokumentiert. Hadjis, ein kleiner, freundlicher, vierschrötiger Mann von 70 Jahren, weiß sämtliche Zahlen auswendig: »3.000 Juden leben heute in Athen. 100 in Halkis, 100 auf Korfu. 1000 in Thessaloniki.« Und in Janina? »39.«
Hadjid hat als Kind selbst die deutsche Besatzung Griechenlands miterlebt. Er wuchs in Volos auf, seine Brüder, Schwestern und Eltern mussten sich verstecken, als die Deutschen kamen – er erinnert sich an eine bitterkalte Nacht in einem Heuschober. Später flüchtete die Familie nach Athen, seine Mutter musste für die Deutschen kochen und ihren gesamten Schmuck verkaufen, um die Familie über Wasser halten zu können. Natürlich wussten die deutschen Besatzungstruppen nicht, dass er und die Seinen Juden waren. Die Mutter schärfte ihm ein: »Gehe nie aufs Klo, wenn ein Fremder dich sehen könnte.« Denn hätte jemand bemerkt, dass er beschnitten war, wäre es aus gewesen. 13 Mitglieder seiner Familie – Cousins, Tanten, Onkel und ein Großvater – wurden ermordet. Eines wird aus den Erzählungen deutlich, die aus Ilias Hadjis heraussprudeln: Der griechisch-orthodoxe Klerus hat sich in der Zeit der Besatzung wohl recht gut verhalten. Viele Juden, sagt er, seien damals von christlichen Würdenträgern mit Essen versorgt, mit falschen Papieren ausgerüstet oder versteckt worden.
Dennoch gelang es den Deutschen, die meisten griechischen Juden – und mit ihnen die meisten Romanioten – umzubringen. Die Geschichte der jüdischen Gemeinde von Ioannina, dem Dorf, aus dem fast alle Vorfahren der Kehilla Kedoscha Janina stammen, endet am 25. März 1944. Es war der griechische Unabhängigkeitstag und – ausgerechnet – der Anfang von Pessach. Am frühen Morgen, es lag Schnee, holten deutsche Soldaten die gesamte Gemeinde aus ihren Betten. Die Juden mussten sich am Ufer eines Sees aufstellen, dann wurden sie auf Lastwagen verladen und nach Larissa gekarrt. Dort wurden sie gezwungen, in Viehwaggons nach Auschwitz-Birkenau zu klettern. Sie kamen am 11. April 1944 an. Die meisten wurden sofort vergast: Von 1.960 Deportierten kehrten 1.850 nie mehr zurück.
»Ich denke viel zu viel über den Holocaust nach«, sagt Marcia Haddad Ikonomopoulos. »Auf die Frage ›Warum?‹ habe ich immer noch keine Antwort gefunden.« Sie selbst stammt übrigens nicht aus einer romaniotischen Familie, ihre Vorfahren waren vielmehr sefardische Juden aus Thessaloniki. Aber auch aus ihrer verzweigten Verwandtschaft ist kaum jemand übrig geblieben.
Was kann man von heute aus für die Ermordeten tun? Lebendig leben. Ein Erinnerungsbuch herausgeben, in dem die Namen der Opfer verzeichnet stehen, so weit sie rekonstruierbar sind – das hat Marcia Haddad Ikomonopoulos getan. Und man kann die Synagoge der Romanioten restaurieren: Dies wurde durch private Spenden möglich, und so hängen jetzt wieder prächtige Lampen unter der Decke, in deren Gehäuse die Namen ehemaliger Beter geritzt wurden. Man kann die Tradition an die nächste Generation weiterreichen: »Wir haben hier Namensgebungszeremonien, Bar und Bat Mizwas, im vergangenen Jahr haben wir sogar eine Hochzeit gefeiert. Die jungen Leute bei uns lernen selbstverständlich Neugriechisch.« Dabei kennt diese jüdische Gemeinde keine Mitgliedschaft im engeren Sinn. Jährliche Synagogenbeiträge werden nicht erhoben. Erst im vergangenen Jahr hat der Vorstand der Kehilla Kedoscha Janina angefangen, sich insofern an aschkenasische Sitten anzupassen, als er nun an den Hohen Feiertagen Geld für Sitzplätze verlangt: einen Dollar von den Männern, zwei Dollar von den Frauen.
Was man sonst noch tun kann? Zum Beispiel am Schabbat die alten Pijutim singen. »Kommen Sie doch bitte bei uns vorbei«, sagt Marcia Haddad Ikonomopoulos am Schluss ihrer Führung. »Hier ist jeder willkommen, und zum Kiddusch gibt es Ouzo.«

Capri

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