Alltag

Omar Jussuf und die Fememörder

von Christine Diller

Es war ein Schlüsselmoment für Matt Beynon Rees: In einem Dorf nahe Bethlehem war ein Fatahkämpfer von den eigenen Leuten als angeblicher Kollaborateur der Israelis erschossen worden. Die Mutter und die Ehefrau des Toten vertrauten sich Rees an, erzählten, in allen Einzelheiten, wie sie den Leichnam im Kohlfeld gefunden hatten. Das war 2003. Rees arbeitete als Nahostkorrespondent für das amerikanische Time Magazine. Inzwischen lebt der 40-jährige Brite in Jerusalem als Schriftsteller. Journalismus war ihm nicht genug. Er wollte den extremen Eindrü-cken, denen er im Nahen Osten ausgesetzt war, endlich gerecht werden.
»Wir denken beim Nahen Osten an Terrorismus und Selbstmordattentäter, bei Bethlehem gerade noch an die Weih-nachtserzählung und haben vielleicht ein sehr romantisches Bild von der arabischen Welt. Aber vom Alltag dort haben wir keine Ahnung«, sagt Rees. Und noch etwas störte ihn: »Aus dem Journalismus muss man Gefühle heraushalten. Aber in ihnen liegt gerade die Wahrheit.« Dieser Wahrheit, den Ansichten und Empfindungen der Menschen in Nahost, will er mit einer Krimireihe allmählich auf die Spur kommen. Am vierten Band schreibt er bereits, der erste, Der Verräter von Bethlehem, ist im Frühjahr auf Deutsch erschienen. Im Mittelpunkt steht der Palästinenser Omar Jussuf. Er unterrichtet muslimische und christliche Schüler in Geschichte und steht kurz vor der Rente. Der Alkoholismus früherer Jahre hat ihn gezeichnet, er zittert und leidet unter Kreuzschmerzen. Aber er hat Rückgrat und stellt sein Gewissen und sein Verantwortungsgefühl über sein persönliches Wohlergehen. Omar Jussuf weiß, dass der im Kohlfeld ermordete Fatahkämpfer, sein ehemaliger Lieblingsschüler, kein Verräter gewesen sein kann. Auf eigene Faust beginnt er, zu ermitteln.
Das Vorbild für Omar Jussuf ist ein langjähriger Freund von Rees aus einem palästinensischen Flüchtlingslager. »Er ist ein sehr ehrenhafter Mann, und das ist in diesen Zeiten gefährlich«, erzählt der Autor. Auch andere Freunde von Rees finden sich in Romanfiguren wieder: »Sie sagen mir Dinge, die sie keinem anderen Palästinenser offenbaren dürfen. So können sie ihre Meinung ausdrücken, ohne erkannt zu werden.« Der Brite kennt viele Palästinenser, die im Gegensatz zu ihren Politikern Israel nicht an den Pranger stellen, die die internen Konflikte kritisieren, etwa zwischen Hamas und Fatah, die wissen, dass sie ihre eigene Gesellschaft verändern müssen und nicht mehr an den Satz glauben: »Wir hätten Frieden, wenn die anderen uns in Frieden ließen.« Rees beschreibt das Lebensgefühl in den palästinensischen Gebieten als tiefe Depression: weniger wegen der Gewalt, die schon einmal schlimmer war, sondern wegen der ökonomischen und politischen Verhältnisse und der Korruption. »Vor allem seit dem Desas-ter des Zweiten Libanonkriegs 2006 haben die Leute das Vertrauen in die Politiker verloren.«
Und Rees? Hat er noch Vertrauen in sie? Die nächsten paar Jahre sieht auch er noch nicht optimistisch. Aber auf lange Sicht seien langsame Fortschritte möglich: »Der aktuelle palästinensische Premierminister Salam Fayyad bewirkt kleine ökonomische Veränderungen, rationalisiert die Regierung und bekämpft Korruption. Die EU-Gelder etwa, die Arafat erhielt, kamen nie bei der Bevölkerung an. Krankenhäuser, Schulen, Straßen waren deshalb bisher in ganz schlechtem Zustand.«
Ein paar Jahre will Matt Rees in Jerusalem noch verbringen. »Ich habe einen sieben Monate alten Sohn, viele Freunde in Jerusalem und liebe den Kaffee dort«, schwärmt er. Und sein Held Omar Jussuf soll in mindestens fünf weiteren Bänden die Wahrheit in Gasa, Nablus und anderen Orten ans Licht bringen.

matt beynon rees: der verräter von bethlehem
Übersetzt von Sigrid Langhaeuser.
C.H. Beck, München; 327 S., 17,90 €

Berlin

Bundesamt entscheidet wieder über Asylanträge aus Gaza

Seit Anfang 2024 hatte das BAMF nicht mehr über Asylanträge aus Gaza entschieden. Nun wurde der Bearbeitungsstopp laut Innenministerium aufgehoben

 18.07.2025

Syrien

Netanjahu will keine Regierungstruppen südlich von Damaskus

Nach Berichten über Massaker gegen die drusische Minderheit hat Israel eingegriffen

 17.07.2025

Bonn

Schoa-Überlebende und Cellistin Anita Lasker-Wallfisch wird 100

Sie war die »Cellistin von Auschwitz« - und später eine engagierte Zeitzeugin, die etwa vor Schülern über ihre Erlebnisse unter dem NS-Regime sprach. Jetzt feiert sie einen besonderen Geburtstag

von Leticia Witte  15.07.2025

Israel

Eli Sharabis Bestseller bald auch auf Englisch

Zum zweiten Jahrestag des Hamas-Massakers vom 7. Oktober 2023 soll das Buch der ehemaligen Geisel veröffentlicht werden

von Sabine Brandes  10.07.2025

Genf

Türk verurteilt US-Sanktionen gegen Albanese

Der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Volker Türk, sprach von »Angriffen« und »Drohungen« gegen die umstrittene Italienerin

 10.07.2025

Der unter liberianischer Flagge fahrende Massengutfrachter "Eternity C" beim Untergang im Roten Meer am Mittwoch, den 9. Juli 2025.

Terror auf See

Tote nach Huthi-Angriff auf Handelsschiff

Die Huthi-Miliz im Jemen versenkt innerhalb von 24 Stunden zwei Schiffe auf dem Roten Meer

von Nicole Dreyfus  10.07.2025

Wien

Vor Treffen mit Sa’ar: Wadephul ermahnt Israel

Der Bundesaußenminister will sich weiter für einen Waffenstillstand und die Freilassung der Geiseln einsetzen, verlangt aber bessere humanitäre Hilfe in Gaza

 10.07.2025

Gaza

Das Dilemma des Deals

Premier Benjamin Netanjahu hat das Weiße Haus ohne ein Freilassungsabkommen für die israelischen Geiseln verlassen. Die Verhandlungen gehen weiter

von Sabine Brandes  09.07.2025

Berlin

Bundestagspräsidentin will Angehörige israelischer Geiseln treffen

In dieser Woche sind Angehörige der von der Hamas verschleppten Geiseln in Berlin. Am Dienstag kommt Bundestagspräsidentin Klöckner mit ihnen zusammen. Sie formuliert im Vorfeld klare Erwartungen

 07.07.2025