von Michael Wuliger
Louis-Ferdinand Céline (1894-1961) war ein genialer Schriftsteller. Seine Reise ans Ende der Nacht 1932 revolutionierte das Genre des Romans so wie zehn Jahre zuvor James Joyces Ulysses. Schonungslos realistisch, dabei in geradezu lyrisch-rhythmischer Sprache, zeichnet Céline die Moderne als Epoche der Niedertracht: Lüge, Schmutz und Materialismus, wohin man schaut. Erlösung bietet nur der Sex. Die Welt aus der Perspektive der Gosse gesehen.
Noch mehr denn als Schriftsteller aber ist Céline in die Literaturgeschichte als pathologischer Judenhasser eingegangen. Zwar war er beileibe nicht der einzige Antisemit unter den Größen der modernen Literatur: Auch T. S. Eliot, Ernest Hemingway oder Georges Simenon mochten die Juden nicht. Céline aber wollte sie vernichten. »Ein Pogrom ist eine grandiose Sache«, schreibt er 1937 in seiner Polemik Bagatelles pour un Massacre. Und ein Jahr später in L’Ecole des Cadavres: »Entweder wir werden die Juden los oder wir verrecken an ihnen. Unterschiede zwischen guten Juden und schlechten Juden? Ein Witz! Macht ein Arzt Unterschiede zwischen guten und schlechten Mikroben?« Wenig erstaunlich, dass Céline von 1940 bis zum bitteren Ende zu den treuesten Kollaborateuren der deutschen Besatzer gehörte.
Das kostete ihn nach der Befreiung zwar nicht den Kopf – sein Todesurteil wurde 1950 im Gnadenweg aufgehoben – aber die Reputation. Im literarischen Nachkriegsbetrieb Frankreichs war Céline eine Unperson. Dagegen versuchte der Geächtete 1955 mit Unterhaltungen mit Professor Y anzuschreiben, einem imaginären Interview mit sich selbst. Der junge Schweizer Regisseur Ron Rosenberg hat jetzt in der Berliner Volksbühne eine einstündige Theaterfassung dieses monomanischen Monologs auf die Bühne gebracht.
Kein reuiger Sünder steht hier vor dem Publikum. Louis-Fferdinand Céline, dargestellt von Herbert Sand, versteht sich als Opfer – Opfer des Neids seiner weniger begabten literarischen Rivalen. »Ich bin der einzige Schriftsteller. Ich bin das einzige Genie. Der Beweis? Man verschweigt mich!« Seine Judenhetze und die Kollaboration mit den Nazis kommen nur imnplizit und en passant in einem einzigen Satz vor, wenn er erwähnt, dass er einmal mit schlimmsten Verbrechern zusammen eingesperrt war – »zu Unrecht, zu Unrecht«. (An anderer Stelle hat Céline einmal ernsthaft behauptet, seine Pamphlete seien in Wirklichkeit zutiefst philosemitisch, die Juden nur »zu saudoof« gewesen, das zu begreifen.)
Der Mann auf der Bühne höhnt, schimpft, schreit, kotzt seinen Frust heraus. Doch dieser Céline ist mehr nur als ein Verdränger und ein paranoides Wrack. Er ist noch immer ein genialer Beobachter der Gesellschaft, die er verachtet. Wie er voller Zynismus die Mechanismen des literarischen Betriebs beschreibt (»So mancher Schriftsteller ist schon vor die Hunde gegangen. Aber Verleger habe ich noch nie unter Brücken schlafen sehen.«), das ist höchst luzide und witzig dazu.
Regisseur Ron Rosenberg wollte, wie er sagt, Louis-Ferdinand Célines »Widersprüche nicht aufheben, ihn nicht verharmlosen, aber auch nicht dämonisieren.« Das ist gelungen, vor allem dank Herbert San, der in einem darstellerischen Kraftakt eine Stunde lang im Monolog die Bühne alleine auszufüllen vermag. Wem danach noch nach mehr Céline ist, kann im selben Haus das von Intendant Frank Castorf inszenierte Stück »Nord« sehen, das die Erlebnisse des Autors im untergangsgeweihten Deutschland 1944 zeigt.
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