Rosie

»Mrs. Levy ist gut zu mir«

von Sabine Brandes

Rosie dreht heute schon die dritte Runde. Es ist ein schöner Morgen, und »die Sonne tut Mrs. Levy so gut«, sagt Rosie schüchtern lächelnd. Immer die Straße runter durch den kleinen Park mit den schattenspendenden Birkenfeigen und nach einer Weile wieder rauf. Vor sich her schiebt sie einen Rollstuhl mit einer älteren Dame. Rosie ist 25 und stammt aus der Nähe von Manila. Vor zwei Jahren kam sie nach Israel, um »viel Geld zu verdienen«. Die Frau im Rollstuhl ist Nehama Levy, ihre Arbeitgeberin. Sie kann nicht mehr gut laufen und ist auf ständige Pflege angewiesen. Dafür ist Rosie hier. Sie wohnt im Haus und kümmert sich um fast alles: Kochen, Wäsche, Aufräumen, Putzen – und um Frau Levy natürlich.
Die alte Dame wollte lieber jemanden zu sich holen, anstatt ihr geliebtes Häuschen aufzugeben. Eine Viertel Million Menschen in Israel sind 75 Jahre und älter. Immer mehr ziehen es vor, private Pfleger anzuheuern, als in ein Pflegeheim zu ziehen. Die Quote von ausländischem Pflegepersonal ist nicht beschränkt, das Ministerium für Arbeit sieht es als »humani-
tären Akt«, den alten Menschen die Wahl zu lassen. Unproblematisch ist diese Entscheidung nicht. Bereits Anfang der 90er Jahre, als die ersten Gastarbeiter kamen, sprachen damalige Regierungsmitglieder von einer »tickenden Zeitbombe in diesem kleinen Land«.
Frau Levy ist eingenickt, und Rosie macht eine Pause auf der Parkbank. Zwar sei es manchmal anstrengend, sich ständig um einen kranken Menschen zu kümmern, doch »Mrs. Levy ist sehr nett zu mir, und Israel ist schön«. Das Wetter sei dem auf den Philippinen nicht unähnlich, also fühlt sich Rosie fast wie zu Hause. Aber genau das ist ihr Problem. Es geht ihr gut – zu gut für eine Rückkehr in die alte Heimat. In ihrem Dorf in der Nähe der Hauptstadt lebte sie mit den Eltern und fünf Geschwistern in einer Hütte und arbeitete in einer Kleiderfabrik als Näherin. Sechs Tage die Woche, zwölf Stunden am Tag. »Eine ganz andere, ganz harte Arbeit.« Ständig hätten ihre Finger von den groben Stoffen und dem schnellen Tempo geblutet, doch ihren Arbeitgebern sei das ganz egal gewesen. Hier in Israel fühle sie sich zum ersten Mal wie ein richtiger Mensch. Sie hat Freundinnen und sogar einen festen Freund.
4.000 Schekel verdient die junge Frau im Monat, umgerechnet knapp 730 Euro, dazu sind Unterkunft sowie Verpflegung frei. Sie hat bezahlten Urlaub und ist krankenversichert. Das meiste Geld schickt sie an ihre Eltern. Und hofft, daß sie davon wenigstens die kleinsten Geschwister auf gute Schulen schicken. Sie vermisse ihre Familie. Aber Heimweh? »Nein, mein altes Leben fehlt mir nicht.« Während Rosie das sagt, schaut sie auf die Erde. Dann, als wolle sie sich entschuldigen, fügt sie hinzu: »Ich verdiene hier doch so viel. Davon hat meine Familie mehr, als wenn ich bei ihnen bin und mitesse.« Aber Rosies Schicksal hängt am Leben von Frau Levy.
Sie leben im jüdischen Staat, doch stammen von den Philippinen, aus China, Rumänien, Kolumbien oder Nigeria. Gastarbeiter in Israel. Sie lösten nach der zweiten Intifada, als Palästinenser im israelischen Kernland ein zu großes Sicherheits-
risiko wurden, als Arbeitskräfte ab. Vor allem in der Baubranche. Während vor dem Sommer 2000 mindestens 120.000 Palästinenser ständig für Israelis arbeiteten, sind es heute nur noch ein paar Tausend. Die Hälfte der jetzigen Arbeiter stammt aus Asien, 40 Prozent aus Osteuropa, vor allem Rumänien und Moldawien, der Rest aus Afrika und Lateinamerika. Doch so gut wie Rosie geht es nicht allen. Schlechte Behandlung, verzögerte oder ausbleibende Gehaltszahlungen, der unrechtmäßige Einzug des Passes und sogar gewalttätige Übergriffe sind keine Ausnahmen – vor allem bei denen, die illegal im Land sind. Mitte Januar erst ist eine 24jährige Philippinin von einem Israeli vergewaltigt worden. Der burmesische Arbeiter Htin Kyaw beging Selbstmord aus Angst, abgeschoben zu werden, nachdem ihn die Polizei mitgenommen hatte.
Eine Studie der Internationalen Föderation der Menschenrechts-Ligen (FIDH) schätzt die Zahl der ausländischen Arbeiter auf 300.000, etwa 60 Prozent leben illegal im Land. Viele kommen zunächst legal, doch mit dem Verlust des Jobs verlieren sie auch ihren Status, das Visum erlaubt lediglich die Beschäftigung bei einem bestimmten Arbeitgeber, ein Wechsel ist kaum möglich. Und jene, die illegal hier sind, können meist nicht zurück, weil schlicht das Geld für die Reise fehlt. Oft ist ihre Situation verzweifelt: Löhne unter dem Mindestsatz, schlechte Arbeitsbedingungen, keine Krankenversicherung, keine freien Tage. Dazu die ständige Angst, festgenommen und abgeschoben zu werden.
Frau Levy ist aufgewacht und fordert einen schattigeren Platz. Lächelnd zieht Rosie die Decke über ihren Beinen gerade. »Sure, Mrs. Levy.« Sie hat Angst, was aus ihr wird, wenn die Dame »mal nicht mehr ist«. Ob sie auch illegal hier bleiben würde? Rosie antwortet nicht. Statt dessen tut sie alles, damit es ihrer Arbeitgeberin an nichts fehlt – solange sie lebt.

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