Bräuche

Mosche und Manitu

von Rabbi Gershon Winkler

Im 16. und 17. Jahrhundert schoben europäische Reisende, Eroberer und Missionare die Grenze der sogenannten Neuen Welt immer weiter hinaus, erforschten eben erst entdeckte weit entfernte Inseln und Kontinente und ließen sie hinter sich. Eine riesige Menge Literatur entstand, mit detaillierten Berichten über den Glauben und die religiösen Bräuche der eingeborenen Völker Nord- und Südamerikas sowie entlegener Regionen in Afrika und Neuguinea. Diese Schilderungen lösten unter den europäischen Intellektuellen eine breite Diskussion über das Wesen der Wilden und ihren Platz in der Ordnung der Dinge aus. Wenig überraschend haben diese frühen Monographien zahlreiche Ähnlichkeiten zwischen dem Judentum und den »primitiven« Religionen der eingeborenen Völker der Welt festgestellt. »Einige der Autoren waren über die Ähnlichkeiten zwischen den uralten jüdischen Ritualen und denen der Wilden in der Neuen Welt so perplex, daß sie tatsächlich glaubten, bei letzteren handele es sich um die zehn verlorenen Stämme Israels«, schreibt Howard Eilberg-Schwartz in seinem Buch »The Savage in Judaism: An Anthropology of Israelite Religion and Ancient Judaism«.
Die Inka zum Beispiel vollzogen ein Ritual, das dem Pessach ähnelte. Zudem ließen sie genau wie die Juden zur Zeit des Tempels auf ihren Altären ein ewiges Feuer brennen. Die Yucatan-Indianer übten rituelle Beschneidung aus. Es gab Stämme, die wie Juden ihre Frauen während der Menstruation abseits hielten oder die Zeit nach Nächten und Monden berechneten.
Im Jahr 1650 zählte Thomas Thorowgood auf, wie »die Riten, Moden, Zeremonien und Meinungen der Amerikaner (Indianer) in vielerlei Hinsicht mit den Ge-
bräuchen der Juden übereinstimmten. Das gilt nicht nur für profane und alltägliche Bräuche, sondern auch für solche, die feierlich und heilig genannt werden«. In diesem Sinne listet er nicht weniger als fünfzig Berührungspunkte zwischen den alten Hebräern und den amerikanischen Indianern auf – von Menstruationsriten bis hin zu heiligen Orten, die nur die Priester betreten durften. Und ähnlich den Juden opferten auch die Indianer die ersten Früchte des Landes und feierten ein Jubeljahr.
Die abergläubische Angst vor Eisen an heiligen Orten (2. Buch Moses 20,22); rituelle Tänze (2. Buch Moses 15,20); Sündenböcke (3. Buch Moses 16,21); sprechende Bäume (Midrasch Bereschit Rabbah 13,22) und Sterne, die von Leben erfüllt sind (Psalmen 148,3) – all dies sollte belegen, daß Israel sich in nichts von anderen primitiven Völkern unterschied.
Eine Gemeinsamkeit zwischen Juden und Eingeborenen, an der sich die »zivilisierten« Europäer stießen, bestand in ihrer Wildheit und Sinnlichkeit, die außer Kontrolle schienen und als des Teufels galten. Im Herbst des Jahres 1659 besuchte Samuel Pepys eine Synagoge während des Simchat-Tora-Fests, der Feier, die das jüdische Laubhüttenfest abschließt. Was er erlebte, schockierte ihn: »Aber, Herr! Die Unordnung zu sehen, das Lachen, Scherzen, niemand gab acht, nichts als Verwirrung in ihrem ganzen Gottesdienst; sie glichen Tieren mehr als Menschen, die den wahren Gott kennen, so daß ein Mensch sie niemals wiedersehen will; tatsächlich hätte ich mir nicht vorstellen können, daß es irgendeine Religion auf der Welt gibt, die auf so absurde Art und Weise ausgeübt wird wie diese.« Drei Jahre später berichtete ein weiterer Synagogen-Besucher, John Greenhalgh, dem Reverend Thomas Crompton, die Juden böten »mit den Taleisim (Gebetsschals) über ihren Köpfen dem Beobachter einen seltsamen, flegelhaften, fremden und ... barbarischen Anblick«.
Nach Ansicht vieler Menschen stützten diese Berichte von den seltsamen und »primitiven« Riten der Juden die Theorie, Juden und amerikanische Indianer seien verwandt. Der Entdeckungsreisende Diego Duran kam zu dem Schluß, daß die Indianer aufgrund der Ähnlichkeiten in »ihren Lebensweisen, ihren Zeremonien, Riten, ihrem Aberglauben, Omen und Scheinheiligkeiten« Nachfahren der Juden sein müßten.
Die Theorie der Parallelität war nicht auf europäische Gelehrte beschränkt, wie die Schriften des Rabbi Menasche ben Yisrael im 17. Jahrhundert bezeugen. Der Amsterdamer Rabbiner war von der Idee begeistert, nachdem er die Berichte in Chro- niken spanischer Forschungsreisender über die religiösen Riten der amerikanischen Eingeborenen gelesen hatte. Als jüdischer Theologe konnte er an der These, daß die eingeborenen Amerikaner entweder Nachfahren der legendären zehn verlorenen Stämme Israels sind oder aber mit diesen in Berührung gekommen waren, keine Unstimmigkeiten entdecken. Die Parallelen zwischen ihren religiösen Praktiken und denen der Juden lägen offen zutage und könnten nicht einfach abgetan werden, schrieb er: »Denn jeder, der die Gesetze und Gebräuche der Indianer mit denen der Hebräer vergleicht, wird feststellen, daß sie in vielerlei Hinsicht überein-
stimmen. Und daher ist es möglich, daß die Indianer diese Dinge von jenen Hebräern übernahmen, die unter ihnen wohnten, nachdem sie in den unbekannten Bergen verstreut worden waren«.
1724 wies der französische Gelehrte Joseph Francois Lafitau die These einer speziellen Verwandtschaft der Indianer Amerikas mit den Juden zurück. Viel wahr-
scheinlicher sei es, daß es den Indianern wie den Juden gelungen sei, eine einst gemeinsame Urreligion der frühesten
Menschheit zu bewahren. Seiner Ansicht nach seien die Übereinstimmungen zwischen den alten Juden und den amerikanischen Ureinwohnern der Beweis für eine gemeinsame Urreligion, aus der sich sowohl die indianische als auch die hebräische Religion herleiteten. Philip Biberfield, ein orthodoxer jüdischer Gelehrte dieser Zeit, vertrat eine ähnliche Theorie. Das Judentum setze sich aus den Relikten religiöser Überzeugungen und Rituale zusammen, die einer urzeitlichen universalen Menschheitsreligion entstammten. Lafitau aber ging einen Schritt weiter und rechnete auch die amerikanischen Indianer zu den Bewahrern dieser universalen Urreligion der Menschheit.
Lafitau beschäftigte sich eingehender als die meisten Gelehrten seiner Zeit mit der Frage nach den Parallelen zwischen der Religion der amerikanischen Indianer und dem Judentum. Zum Beispiel verglich er den Brauch der Iroquois-Indianer, bei dem die Witwe den Bruder des verstorbenen Ehemannes heiratet, mit genau der gleichen Sitte bei den Juden (5. Buch Moses 25,5).
Eine weitere von Lafitau festgehaltene, unheimliche Ähnlichkeit besteht zwischen dem indianischen Brauch, nicht verzehrte Reste eines Opfermahls ins Feuer zu werfen, und derselben Praxis, die das jüdische Volk in seinem Pessachritual strikt befolgt (2. Buch Moses 12,10).
Es ist kein Wunder, daß Rabbiner Menasche ben Yisrael die letzte bekannte jüdische Stimme war, die die These von den Parallelen zwischen dem Judentum und den Bräuchen der Indianer guthieß. Die ersten Berichte über die Ähnlichkeiten wurden damals noch von Juden begrüßt, weil sie ihnen sinnvoll erschienen und sie in der Tat viel mehr mit Heiden und Eingeborenen gemeinsam hatten und haben als mit Christen. Doch wurde ihnen rasch klar, daß diese Erzählungen nicht als Kompliment gemeint, sondern einfach eine Fortsetzung der Verleumdung des Judentums seitens der Kirche waren.

Der Autor ist Direktor der amerikanischen Walking Stick Foundation
www.walkingstick.org

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