Erdbebenhilfe

Momente der Hoffnung

Israelische Rettungskräfte bei Bergungsarbeiten im südanatolischen Kahramanmaras Foto: Flash 90

Es sind unglaubliche Bilder von Schrecken und Leid, die uns aus dem türkisch-syrischen Grenzgebiet erreichen. Das verheerende Erdbeben hat Zerstörung und Verwüstung hinterlassen, Zehntausende Menschen sind tot, viele sind verwundet, haben ihre Liebsten und ihr Zuhause verloren. Wir trauern mit den Hinterbliebenen, wir beten für die Opfer und die baldige Genesung der Verletzten.

Dennoch sahen und sehen wir auch Bilder der Hoffnung aus diesem Katastrophengebiet. Helfer aus aller Welt waren angereist, die noch Tage nach dem Erdbeben Menschen aus den Trümmern bergen konnten. Jetzt gilt es, die Verwundeten zu versorgen, die Traumatisierten zu betreuen, in der winterlichen Kälte Unterbringungsmöglichkeiten aufzubauen, Nahrung und Wasser herbeizuschaffen. Spendenaktionen liefen an, Transporte wurden organisiert, Regierungen und Nichtregierungsorganisationen sagten spontan finanzielle und logistische Hilfe zu.

unterstützung Und wieder war Israel eines der ersten Länder, das nicht nur Unterstützung angeboten, sondern diese auch innerhalb weniger Stunden auf den Weg gebracht hat. Der jüdische Staat hatte bis Ende vergangener Woche 450 Helferinnen und Helfer in die Türkei entsandt. Nach Aserbaidschan war dies die zweitgrößte ausländische Delegation.

Das »Search and Rescue«-Team der israelischen Armee war ohne Pause im Einsatz, viele Retter sind inzwischen wieder zurück in Israel. Ein Feldlazarett wurde in 15 Transportflügen eingeflogen. Die ersten Wasserreinigungsanlagen wurden instal­liert, dringend benötigtes Trinkwasser wird bereitgestellt. Zehntausende Decken, Schlafsäcke, Mäntel und sonstige Winterausrüstung wurden herbeigeschafft. Die israelisch-türkische Handelskammer schickte Tonnen von Hilfsgütern. Unter anderem die Rathäuser von Aschdod und Tel Aviv erstrahlten nachts in den türkischen Farben. Kurzum: Die Unterstützung und Anteilnahme in Israel ist riesig.

In der Stunde der Krisen und Katas­trophen zählt Humanität. Keine Zeit für Feindschaften. Es ist bewegend, eine iranische Militärmaschine zu sehen, die auf einem türkischen Flugplatz direkt neben einer israelischen Maschine geparkt ist. Beide hatten Helfer und Hilfsgüter ins Krisengebiet gebracht. Der türkische Staatschef Erdogan, der Israel jahrelang heftig attackierte und freundschaftliche Beziehungen ausschloss, erlebte jetzt den israelischen Premier Netanjahu, der nicht nur der Türkei, sondern auch dem verfeindeten Syrien Hilfe anbot.

Israel hatte 450 Helferinnen und Helfer in die Türkei entsandt.

Was bewegt Israel zu dieser Katastrophenhilfe? Humanistische Gründe auf jeden Fall. Ferner sind es aber auch und vor allem die jüdischen Werte, denen die Menschen folgen. Die Tora weist uns an: »Du sollst nicht neben dem Blut deines Nächsten stehen.« Und im Talmud heißt es: »Wer ein Menschenleben rettet, dem wird es angerechnet, als hätte er die ganze Welt gerettet.«

Der ehemalige britische Oberrabbiner Jonathan Sacks sel. A. hat es einmal so formuliert: »Wir haben nicht die Wahl zwischen Glaube und Taten, denn durch unsere Taten bringen wir unseren Glauben zum Ausdruck und machen ihn im Leben der anderen und in der Welt wahr.«

hilfsmissionen Die Liste der humanitären Hilfsmissio­nen Israels ist lang: Mexiko 1985, Armenien 1988, Türkei und Griechenland 1999, Sri Lanka 2005, Philippinen 2008, Japan 2011 – um nur einige Einsätze zu nennen. Die Helferinnen und Helfer mit dem Davidstern, dem Magen David, und den hebräischen Schriftzügen sind überall unterwegs. Nach Bränden, Überschwemmungen oder Erdbeben.

Auch in den größten Katastrophen, meint Rabbi Sacks, ist Hoffnung zu erkennen. Das wahre menschliche Gesicht, sich dem Leid anderer nicht zu verschließen, zeige sich in diesen Stunden. Wir haben die Möglichkeit, zu entdecken, dass wir trotz unserer kulturellen, politischen und religiösen Unterschiede vieles gemeinsam haben.

»Wir alle brauchen Nahrung, Kleidung, Unterkunft und Sicherheit. Ein Erdbeben macht keinen Unterschied zwischen Arm und Reich, Gläubigen und Ungläubigen. Unter unserer verschiedenartigen kulturellen Kleidung sind wir eine einzige Familie, die durch einen Bund menschlicher Solidarität vereint ist«, betont Sacks. Es seien die schrecklichen Folgen von Katastrophen, die uns an unsere Verwundbarkeit gegenüber der Natur, an unsere Solidarität inmitten des Leids und an unseren Anteil am kollektiven Schicksal der Menschheit erinnern.

segen Auch in diesen Momenten können wir aus dem Fluch noch einen Segen retten, so Rabbi Sacks. In der Stille nach den Erschütterungen können wir noch die leise Stimme der Hoffnung hören.

Als ich am vergangenen Freitag diese Gedanken las, kam die Eilmeldung von einem erneuten grausamen Terroranschlag aus Israel. Ein Palästinenser war mit einem Auto in eine Bushaltestelle in Jerusalem gerast, tötete einen 20-jährigen jungen Mann, zwei Brüder, sechs und acht Jahre alt, und verletzte ihren Vater schwer, zudem noch weitere Passanten. Wieder eine grausame Tat des Hasses gegen Juden. Sie macht wütend und traurig. Aber auch in diesem Moment, kurz vor Schabbat, erinnerte ich mich an unsere eigentliche Aufgabe: die Welt mit Licht zu erhellen, gerade wenn es das Bestreben einiger ist, sie so viel dunkler zu machen.

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main.

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