Umdenken

Mit Müh und Not

Die Situation ist für die Jüdische Gemeinde zu Oldenburg nicht neu. Als sie vor 17 Jahren die Gemeinde nach der Schoa wieder zum Leben erweckte, erhielt Sara-Ruth Schumann zwar vorübergehend Unterstützung vom liberalen Rabbiner Henry G. Brandt. Doch der wechselte drei Jahre später nach Dortmund und Schumann musste einen Nachfolger finden. In der Schweizerin Bea Wyler von der traditionell geprägten Masorti-Bewegung fand sie eine geeignete Bewerberin. Die Zusammenarbeit dauerte neun Jahre. Dann stand die Gemeindevorsitzende erneut ohne Rabbiner da. Als im Herbst 2006 in Dresden erstmals nach 1945 wieder Ordinierungen vorgenommen wurden, griff sie zu und stellte Daniel Alter ein. Doch die 440 Kilometer zwischen Berlin, dem Lebensmittelpunkt der Familie und Oldenburg, wo er als Rabbiner amtierte, wurden schließlich doch zu weit. Seit einem Jahr ist Oldenburg zwar wieder solo, aber nicht ohne Betreuung.

aufgabenstellung Zwei Studenten vom Geiger-Kolleg in Potsdam helfen seit einiger Zeit abwechselnd in der Gemeinde aus. Und wenn sie in einem Jahr ordiniert sind, stellt Sara-Ruth Schumann eine Festanstellung für einen Absolventen in Aussicht. Sie sucht nichtorthodoxe Rabbiner. »Wir haben eine Gleichberechtigung der Geschlechter, aber einen orthodoxen Siddur«, sagt die Gemeindevorsitzende. Mit der Universität Oldenburg habe sie Kontakt aufgenommen, um den künftigen Rabbiner im Bereich der Jüdischen Studien einzubinden und ihm dadurch eine größere finanzielle Absicherung zu ermöglichen. Außerdem wird er die Gemeinde in Delmenhorst mitbetreuen und Landesrabbiner Jonah Sievers beim Religionsunterricht in der Hannoveraner Gemeinde unterstützen. »Noch ist nicht alles in trockenen Tüchern«, sagt die 71-Jährige, die mit dem künftigen »jungen Rabbiner« vor allem für die Zukunft planen möchte. »Junge Familien brauchen auch Ansprechpartner im gleichen Alter«, ist sie überzeugt. Sie habe ausdrücklich nichts dagegen, dass diese jungen Absolventen in einer kleinen Gemeinde, »in der die Strukturen funktionieren und noch jeder jeden kennt«, Erfahrung sammeln und sie als Sprungbrett benutzen. »So etwas können nur wir bieten. Es ist eine Chance für uns, einen motivierten Rabbiner zu haben und es ist eine Chance für ihn, bei uns zu lernen.« Bezahlt wird die Stelle vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen.
Für Stella Schindler-Siegreich wäre so eine Absprache wie in Niedersachen die Lösung. »Aber der Staatsvertrag zwischen Landesverband und der Landesregierung Rheinland-Pfalz ist mit 275.000 Euro für rund 3.000 Juden dermaßen gering ausgestattet, dass wir gar nicht daran denken können.« Im Schatten der Metropole Frankfurt, mit einer guten jüdischen Infrastruktur, sei die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt nicht sehr attraktiv für Rabbiner, sagt die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Mainz. Diese suchten für ihre Familie ein jüdisches Umfeld, die Kinder sollen einen jüdischen Kindergarten oder eine jüdische Schule besuchen. All das könne Mainz nicht bieten. Daher behilft sich die Gemeinde derzeit noch mit dem Wanderrabbiner Zeev Rubin. »Ein junger engagierter Rabbiner, der sehr viel auf die Beine stellt«, lobt ihn Schindler-Siegreich. Sein einziges Manko: Er ist halt nicht häufig da, da er für Rheinland-Pfalz und Hessen zu-
ständig ist und an allen Ecken und Kanten versucht, Löcher zu stopfen. Derzeit ist er auf Machane in Bad Sobernheim. In Mainz ist jedoch ein Gemeindemitglied verstorben. Die Telefondrähte laufen zwischen Friedhofsverwaltung, Gemeinde und Rabbiner heiß. Mit Müh und Not erreicht Schindler-Siegreich den Rabbiner. »Das sind so Punkte, wo es dann eben eng wird«, sagt sie.

Anspruch Wenn erst einmal die neue Synagoge eingeweiht ist, werden auch die Ansprüche an Rabbiner und Gemeinde steigen, ist Schindler-Siegreich überzeugt. Daran mag sie im Moment gar nicht denken. Sicherlich werde die Gemeinde durch ein schönes Haus attraktiver, aber die fi-
nanziellen Ansprüche eines künftigen Rabbiners werden ihr noch Probleme bereiten.
In Bad Sobernheim arbeitet Zeev Rubin mit einem weiteren jungen Kollegen zu-
sammen: Mark Pavlovsky. Er betreut mit seiner Frau Anna zusammen die Gemeinden Bonn, Mönchengladbach und Reck-
linghausen. Sein Standbein hat er in Köln, sein Arbeitgeber ist der Zentralrat der Ju-
den in Deutschland. Gemeinsam mit der Zentralwohlfahrtsstelle und der Orthodoxen Rabbinerkonferenz hat dieser derzeit drei Wanderrabbiner in Diensten. Neben Rubin und Pavlovsky ist es noch Jehuda Puschkin, der in Hamburg und Schleswig-Holstein hunderte von Kilometern hinter sich legt, um sich den Gemeinden vorzustellen. Seit März dieses Jahres ist mit den drei Wanderrabbinern wahr geworden, was der Kultusbeauftragte im Präsidium des Zentralrats, Nathan Kalmanowicz, vor einem Jahr angekündigt hatte.

Alternative Für den Landesverband der jüdischen Gemeinden in Westfalen-Lippe ist dieses Angebot nicht ganz das richtige. Mark Pavlovsky spricht nur Russisch und Englisch. Daher hat der Landesverband mit David Vinitz einen eigenen Wanderrabbiner eingestellt, der sich um die Gemeinden Bochum und Recklinghausen kümmern soll. In Dortmund vertritt er derzeit Avichai Apel, der in Urlaub ist. Darüber hinaus betreut er die ostwestfälischen Ge-
meinden Herford, Paderborn und Minden. »Rabbiner Vinitz soll die größte Not lindern helfen«, sagt Ruth Prinz vom Landesverband. Seit Mai ist er in Westfalen-Lippe.
Für viele kleine und mittelgroße Ge-
meinden ist ein Wanderrabbiner die einzige Möglichkeit, eine rabbinische Betreuung zu gewährleisten. Keine Sorgen hat hingegen offensichtlich die Jüdische Ge-
meinde in Regensburg. Als sie vor einem Jahr ihren bisherigen Rabbiner Dannyel Morag kündigte, musste sie auf Anfragen nicht lange warten. »Wir hatten noch nicht einmal die Stelle ausgeschrieben, da hatten wir schon drei Bewerbungsschreiben auf dem Tisch liegen«, sagt Vorstandsmitglied Ilse Danziger. Erklären könne sie sich die Beliebtheit der Gemeinde nicht, »außer das wir eine sehr lange jüdische Tradition in einer alten schönen Stadt haben«. Doch die haben Mainz und das zu ihr gehörende Worms auch. Der Funken zu Rabbiner Jo-
sef Chaim Bloch sei sofort übergesprungen. Er amtierte probeweise zu Chanukka, seit März ist er in Regensburg angestellt. Sein Aufgabenbereich in der 1.000 Mitglieder zählenden Gemeinde ist Gottesdienste abzuhalten, Seelsorge und der Religionsunterricht anzubieten. Der gebürtige Schweizer kam aus Israel nach Regensburg.
Andere Gemeinden haben größere Probleme, den richtigen Rabbiner zu finden. So auch die Gemeinde Erfurt in Thüringen. Wolfgang Nossen kann ein Lied von Bewer-bungsgottesdiensten singen. Nach mehr als elf Jahren scheint der Gemeindevorsitzende nun endlich fündig geworden zu sein. Ein Rabbiner aus Russland, der 18 Jahre in Israel lebte und seit einem Jahr in Deutschland ist. Ganz entscheidend aber, so Nossen: »Er spricht Deutsch, Russisch und natürlich Hebräisch«. Ein Kriterium, das auch für Stella Schindler-Siegreich ganz wichtig ist, und viele Bewerbungen in der Vergangenheit von vornherein aussichtslos machte.
Auch die Gehaltsforderungen mancher Anwärter seien enorm, sagt Nossen. »Be-
gründet wird sie immer mit den erhöhten Lebensmittelpreisen für koschere Waren«, doch sein Budget hielte diesen Erwartungen nicht stand. Dem Rabbiner, der zum
1. August seinen Dienst in Erfurt antreten wird, habe er gesagt, was er zahlen könne und damit scheine dieser einverstanden zu sein. »Nach elf Jahren sind wir müde, noch weiter nach einem Rabbiner zu suchen.« Zumindest hat er ein Problem weniger. Oldenburg und Erfurt sind also vorerst versorgt. Vielleicht klappt es ja auch in Mainz, spätestens wenn die neue Synagoge einem Rabbiner attraktiv erscheint.

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