Bernhard Herzberg

Mister Magister

von Sabine Göb

Auf seiner Visitenkarte stehen die Studienabschlüsse B.A und M.A, deutsche Literatur und »Refugee Studies«, also Flüchtlingsstudien. Doch bei Bernhard Herzberg lagen zwischen dem Abitur und dem Beginn seines Studiums fast sechzig Jahre. »Als ich mit achtzig pensioniert wurde, da dachte ich mir, was soll ich zu Hause rumsitzen, da gehe ich doch lieber studieren.« Verschmitzt blitzen die braunen Augen des alten Herrn hinter den Brillengläsern. Herzberg ist laut einer Untersuchung des Nationalen Instituts für Erwachsenenbildung (NIACE) der älteste Student Großbritanniens. Herzberg ist 96. Und er ist dabei, noch einen Masterabschluß draufzu- satteln, es wäre sein dritter Uniabschluß. »Man hatte mir empfohlen, den Doktortitel zu machen, aber das würde noch drei Jahre dauern«, sagt Herzberg. »Das ist eine ganz schön lange Zeit in meinem Alter, da bin ich vielleicht tot – also mache ich lieber noch einen M.A.«
Er hat sich einen Nachmittag Zeit genommen für das Gespräch. Morgens hat er keine Zeit. Pünktlich um neun Uhr sitzt er im Hörsaal an der School of Oriental and African Studies (SOAS) in London. Danach muß er Aufsätze schreiben und Prüfungsstoff lernen. Für das Studium der afrikanischen Literatur und Wirtschaft stehen im Juni die nächsten Prüfungen an, da wird er 97. Sein erster Chef in Hamburg hatte ihn vor achtzig Jahren gezwungen, Kurzschrift und Tippen zu lernen, heute erleichtert es ihm sein Studium.
»Es ist schon anstrengend für mich, aber da muß man durch,« sagt er mit Blick auf seinen Computer, der zwischen einem Berg von Büchern auf seinem Schreibtisch steht. Einziges Zugeständnis an sein Alter ist das Hörgerät, das ab und an ein leichtes Pfeifen von sich gibt. In den Regalen stapeln sich Bücher über Kunst, die seine Eltern vor den Nazis gerettet haben. Bernhard Herzberg stammt aus einem jüdi- schen Kaufmannshaus in Hannover. Mit liebevoller Geste zeigt er vergilbte Fotografien der elterlichen Villa, in steiler Sütterlinschrift sind die einzelnen Zimmer gekennzeichnet. »Ich studiere zusammen mit Menschen aus der ganzen Welt«, sagt Herzberg. Viele der Heimatländer seiner Kommilitonen hat er schon selbst bereist.
»Er hatte eine unglaubliche Präsenz in der Klasse, wir konnten siebzig Jahre Geschichte erläutern mit einem Menschen, der das alles erlebt hatte«, erzählt Anita Fabos, eine von Herzbergs Dozentinnen im Studiengang »Refugees«. Er ist dreimal so alt wie sie. Manchmal mußte sie die Balance finden zwischen den Geschichten, mit denen er die anderen Studenten fesselte, und dem Unterrichtsstoff. Im Gegensatz zu den anderen, die sich durch ihr Studium fit für die Zukunft machen wollen, arbeitet er seine Vergangenheit damit auf. »Die anderen Studenten haben sich inzwischen dran gewöhnt, daß ich mehr Lebenserfahrung habe und mehr weiß als sie. Ich habe am eigenen Leib erfahren, was es heißt, Flüchtling zu sein und all seines Hintergrundes, Geldes und Status beraubt zu sein.« Er erzählt von seinem Engagement für Arbeiterrechte in Südafrika oder dem Kriegseinsatz in Italien. »Gestern ging es an der Uni um die afrikanischen Staaten und ihre Handelskonkurrenz auf dem Weltmarkt.« Immer noch kann er sich über Ungerechtigkeit empören »Da habe ich mich gemeldet und nach den Agrarsubventionen der EU und der USA gefragt.«
Gerade hat er einen Essay über Simbabwe und Südafrika geschrieben. Dreimal in der Woche fährt er mit der U-Bahn von East Finchley im Nordosten eine gute halbe Stunde bis Kings Cross und läuft dann eine Viertelstunde, bis er seinen elektronischen Studentenausweis ins Lesegerät am Eingang steckt. Jede Fahrt kostet drei Pfund (4,50 Euro), dazu kommen 3.000 Pfund Studiengebühren pro Semester.
In Herzbergs Wohnzimmer stehen afrikanische Ebenholzschnitzereien, am Kamin hängen Silberschmiedearbeiten aus Mauretanien, über der Couch liegen arabische Webteppiche in warmen Farben. »Meine Frau und ich haben schon lange afrikanische Kunst gesammelt«, sagt er und wirft einen Blick zu seiner Frau, die den Nachmittagskaffee bereitet. Die beiden sind seit 65 Jahren zusammen. Am Tisch entbrennt eine lebhafte Diskussion über die aktuelle Tagespolitik. Beide waren in der Bewegung gegen den Irakkrieg aktiv, er ist seit 10 Jahren Mitglied in Englands Sozialistischer Arbeiterpartei.
Herzbergs Lebensgeschichte ist wahrhaft abenteuerlich, eine geraffte Fassung der Geschichte des 20. Jahrhunderts. 1909 geboren, ging er als 23jähriger erstmals nach Amerika. Damals war aus dem Kaufmannssohn, beindruckt von der sozialen Ungerechtigkeit in Deutschland, bereits ein glühender Sozialist geworden. 1933 kam er aus den USA zurück. »Da habe ich Lunte gerochen, ich hatte den Stürmer gelesen und Mein Kampf, da sagte ich, ich muß raus, was sollte ich warten, bis sie mich umbringen.« Er forderte den Vater zur Flucht auf. Doch der blieb, wollte die Firma nicht aufgeben und wurde von den Nazis nach Buchenwald verschleppt. Erst 1955 sah Bernhard Herzberg seine Eltern in New York wieder.
»Während des Ersten Weltkriegs war ich auf dem Gymnasium. 1920 fing die Pöbelei auf der Schule an.« An ein Studium war damals nicht zu denken. Erst mit 85 Jahren legte Herzberg seinen ersten Hochschulabschluß in deutscher Literatur hin. »Deutsch war meine Muttersprache. Meine Vorfahren sind 1744 in Hannover begraben worden, wir waren vollkommen assimilierte Juden.« Der Vater hatte ihn als Kind zum jü- dischen Religionsunterricht geschickt, vergeblich. »Ich war nie besonders an Religion interessiert, ich bin Atheist.«
Mit seinem fließenden Englisch schlug sich Herzberg nach Südafrika durch, übersetzte für die anderen, erlebte die Demonstrationen gegen jüdische Einwanderer. »Ich habe in meinem Essay gerade über die ganze Entwicklung in Südafrika geschrieben, die Rechtlosigkeit der Schwarzen.« Er engagierte sich in Gewerkschaften, wurde dann Direktor einer südafri- kanischen Chemiefirma und blieb 50 Jahre im Land. 1985 ging er für die Firma nach London, wo er auch nach seiner Pensionierung geblieben ist.
Seine Kommilitonen, die ihn beim Vornamen nennen, haben sich an ihn gewöhnt, sagt er verschmitzt. Dann wendet er sich seinen Büchern zu. »Man muß fleißig sein, sonst kann man das Examen nicht bestehen. Aber nach diesem Magister ist Schluß.«

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