Tommy Cohen

»Mein Handy ist nie ausgeschaltet«

Geboren bin ich in Rumänien. Aber mich verbindet nichts mit diesem Land. Als ich sieben war, gingen meine Eltern mit mir und meiner Schwester nach Israel. Nach Abschluss der Schule war ich vier Jahre bei der Marine, dann habe ich studiert: Elektrokommunikation. Schon als Kind habe ich mich für Telefontechnik interessiert.
Ich arbeite bei der ECI Telecom, einem Netzausrüster. 1987 schickte mich die Firma nach Frankfurt am Main. Meine Familie habe ich mitgenommen: Meira, meine Frau, und unsere Kinder. Damals waren nur Iddo und Elinor schon auf der Welt. Es sollten eigentlich nur zwei Jahre werden, aber wir sind immer noch in Deutschland. Die ECI-Firmenniederlassung ist in Oberursel. Ganz am Anfang waren wir zu dritt, heute sind wir 55 Mitarbeiter. Die Deutsche Telekom setzte damals ein von uns entwickeltes Gerät ein, um die Übertragungskapazität zwischen Westberlin und dem Bundesgebiet zu verbessern. Heute agieren wir europaweit. Alles, was im Bereich TDSL läuft, geht über unsere Geräte. Unser Umsatz beträgt weltweit 700 Millionen Dollar. Ich bin als Vice President Global Professional Services zuständig für Europa, den Mittleren Osten und Afrika. Ich reise viel. Nächste Woche nach Italien, danach kommt Israel. Auch in unseren Büros in Paris, Amsterdam, Rom und nahe London schaue ich regelmäßig vorbei. Von den schönen Städten bekomme ich allerdings nichts mit. Alles ist kurz und schnell geworden. Man wird gut bezahlt und muss seine Zeit entsprechend nutzen. Man bekommt etwas und zahlt dafür. So ist das nun mal.
Kürzlich war ich in Berlin. Die Deutsche Telekom und die Israelische Botschaft hatten zu einer Tagung eingeladen. Es ging um israelische Start-up-Unternehmen und ihre Förderung durch die Deutsche Telekom. Das Arbeitstreffen war schön, auch menschlich gesehen. Abends beim Italiener habe ich Kollegen getroffen, die ich lange nicht mehr gesehen hatte.
Ich schaue oft auf mein Handydisplay. Selbst wenn ich im Gespräch bin. Ich weiß, das ist eigentlich unhöflich. Aber es könnten schließlich wichtige Nachrichten eintreffen. Mein Handy ist eigentlich nie ausgeschaltet. Nur unser Abendessen zu Hause ist mir heilig. Da gehe ich nicht ran, egal wer anruft. Denn immer noch bin ich der Meister des kleinen Geräts.
Am Mittwoch musste ich gemeinsam mit meinen Kollegen wichtige Entscheidungen treffen. Es ging um operative und personelle Maßnahmen. Mehr kann ich dazu nicht sagen. In der Telekommunikationsbranche ist alles nicht mehr so einfach. Die vielen Fusionierungen! Und wir Manager sind auch keine Maschinen. Jeder hat seine Ängste. Und jeder hat einen Chef und ist für sein Personal verantwortlich. Ich selber musste schon Mitarbeiter entlassen. Das war 2002. Es traf etwa ein Dutzend Kollegen. Das tat mir alles sehr leid, denn ich kannte ja die Familien, sah die Frauen meiner Mitarbeiter bei unseren Firmen-Weihnachtsfesten.
Das Schöne an meinem Job aber ist, dass ich etwas von null an geschaffen habe, Entscheidungen treffe und sie umsetze. Das kostet natürlich viel Zeit. Auch Zeit, die für die Familie fehlt. Vor allem, als ich noch in Israel arbeitete, war ich oft weg von zu Hause. Damals waren es längere Zeitspannen. Nicht wie heute ein, zwei Tage. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie mein Sohn ganz klein war und ich ihn nur selten sehen konnte. Das war traurig, denn ich habe wichtige Momente versäumt.
Als wir dann nach Frankfurt gezogen sind, war auch das nicht einfach. Wir konnten alle kein Deutsch. Da erfährt man, wie es ist, Immigrant zu sein, auch wenn man einen guten Job hat und ein Firmenauto fährt. Zum Glück haben wir schnell Freunde gefunden, vor allem über die jüdische Gemeinde. Die Kinder gingen in den Kindergarten und zur Schule. Außerdem waren da noch die Nachbarn und Kollegen. Was mir persönlich sehr fehlte, waren die Freunde aus der Kindheit. Wenn ich von Kindheitsfreundschaften rede, dann meine ich eine Art naive Freundschaft, eine Freundschaft, die nicht durch Interessen und Kalkül geprägt ist. Man ist viel offener zueinander – ohne Fassaden, muss sich nicht zurückhalten.
Wir mögen Deutschland. Es ist ein sehr organisiertes und strukturiertes Land. Hier zu leben, ist relativ einfach. Man sieht und fühlt das. Und es ist ruhiger als in Israel, keine Frage. Was aber fehlt, ist die Offenheit. Ich glaube, das kommt durch die Erziehung. In Deutschland meint man, zurückhaltend zu sein, sei höflich. Man ist lieber introvertiert, als dass man aus sich herausgeht. Man lernt, ruhig zu sein und Ruhe zu bewahren. Jeder, der anders ist, fällt auf. Ich erinnere mich an einen Restaurantbesuch. Da waren Kinder, und die waren etwas lauter. Alle guckten. Kinder sind in Deutschland ein Störfaktor, dachte ich da. Es ist aber schon besser geworden. Die Deutschen reisen viel, sehen, dass Kinder in anderen Ländern freier sind.
Manchmal, besonders jetzt im Herbst, denke ich an die Sonne über Israel. In Netanja, wo meine Schwester lebt, sind es nur fünf Minuten zum Strand. Aber Ski fahren ist auch schön. Gerade heute habe ich unseren Winterurlaub in Val d’Isère gebucht. Wenn ich »unser« sage, meine ich meine Kinder und mich. Meira bleibt zu Hause und malt. Sie genießt das, braucht ihre Ruhe. Meine Frau schafft dreidimensionale Bilder, viele Porträts. Am liebsten sind ihr die Frauen, weil sie viel von ihnen hält. Sie mag ihre Stärke. Einzelne Partien modelliert sie mit Pappmaché. Oft ragen die Nasen hervor. Es sind unsere Nasen, jüdische Nasen, sagt Meira dann manchmal zu Journalisten, wenn sie darauf angesprochen wird.
Meira war Sportlehrerin, hat aber ihren Beruf unserer Kinder wegen aufgegeben. Bei allem, was sie macht, tendiert sie zum Perfektionismus. Was unsere Kinder betrifft, hat sie als Mutter ein Superergebnis erzielt. Ich denke, das kann nur eine Mutter schaffen, die zu Hause ist, beobachtet, analysiert und entsprechend agiert. Ich allerdings erziehe auch. Indirekt. Als Vorbild. Wie wichtig es ist, Ziele zu erreichen und sich immer wieder zu verbessern, das vermitteln wir unseren Kindern. Aber wir ermutigen sie auch, über Probleme zu reden, sie nicht unter den Teppich zu kehren. Man darf über alles reden, auch wenn es um große Fehler geht. Denn die verschwinden nicht, wenn man über sie schweigt. Sie kommen wieder zurück.
Aus allen drei Kindern ist etwas geworden. Iddo, er ist 23, hat in England Telekommunikation und Informatik studiert und arbeitet jetzt in Heidelberg. Danielle ist 13 Jahre alt und geht aufs Philanthropin. Und Elinor, sie ist 20, kümmert sich auf den Kapverdischen Inseln um Waisenkinder. Ich habe sie kürzlich besucht. Dort konnte ich keine E-Mails empfangen, das war gut. Elinor arbeitet zusammen mit Freundinnen dort. Es ist ein Partnerstädteprojekt.
Blicke ich auf mein bisheriges Leben, so kann ich sagen: Ich bin ein sehr, sehr glücklicher Mensch. Meine Eltern waren einfache Arbeiter, ich selber wollte ein anderes Leben. Als Jugendlicher habe ich mir das Ziel gesetzt, einmal wohlhabend zu sein und die Welt zu sehen. Beides habe ich erreicht.

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