Deutschland

Mein 9. November

Mit Freude und Dankbarkeit gedenken wir des 9. November 1989, an dem die Spaltung Deutschlands und Berlins überwunden wurde. Es war ein Tag der friedlichen Revolution. Aber trotz der Freude darüber wollen wir auch frühere 9. November nicht vergessen, besonders nicht das Herbstpogrom des Jahres 1938.
Es sei wiederholt: Der 9. November vor nunmehr 20 Jahren war nicht so sehr, wie allgemein verkündet, der Tag des Mauerfalls, sondern die Kulmination einer friedlichen Revolution des deutschen Volkes. Dieses hatte, hauptsächlich auf Demonstrationen (zuerst und wiederholte Male in Leipzig, aber auch in anderen Städten der DDR wie etwa Dresden oder Plauen und in Ost-Berlin) verkündet, dass »wir«, das heißt die Allgemeinheit und nicht irgendwelche Parteibonzen, das Volk seien. Der Ruf »Wir sind das Volk« ging beinahe nahtlos über in die Forderung »Wir sind ein Volk!« Diejenigen aus dem Osten Deutschlands, die noch heute dagegen protestieren und sich querlegen, sind eine kleine, wenn auch lautstarke, Minderheit.
Der 9. November 1989 war ein Erfolg für das deutsche Volk, so sehr auch kluge Staatsmänner dabei mitgewirkt haben, dass es dazu kommen konnte. Diese Männer sind verantwortlich dafür, dass in der Folgezeit die Freiheit nicht nur überall in Deutschland, sondern in ganz Europa erblühen konnte. Dabei denke ich hauptsächlich an den Deutschen Helmut Kohl, den Russen Michail Gorbatschow und den Amerikaner George Bush sen.
Aber ich erinnere mich auch an früher. Im Jahre 1918 dankte am 9. November Wilhelm II. als Kaiser ab, und Philipp Scheidemann rief vom Reichstag die erste deutsche Republik aus, während Karl Liebknecht am selben Tag eine Räterepublik schaffen wollte. So war der 9. November 1918 der eigentliche Gründungstag der Weimarer Republik. Fünf Jahre später versuchten Adolf Hitler, Erich Ludendorff und andere Rechtsradikale in München, diese Republik durch einen Putsch zu beseitigen, was dank der bayrischen Polizei misslang.
Aber Hitler ließ nicht locker. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise von 1929, hauptsächlich die Arbeitslosigkeit und die Misere des Mittelstands, führten Fanatiker und Verzweifelte auf seine Seite. Und so kam es zur »Machtübernahme« am 30. Januar 1933. Mehr als vorher wurden von da an Jahr für Jahr die 9. November als nationalsozialistische Gedenktage – zur Erinnerung an den missglückten Staatsstreich von 1923 – gefeiert.
In besonderem Maße denke ich an den 9. November 1938. An jenem Tag wurde ich von Nazi-Schergen nördlich von Breslau gefangen genommen und nach einer Nacht im Polizeigefängnis der schlesischen Hauptstadt am nächsten Morgen in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht; die Reichsbahn, die später Züge für die Deportationen, die in die Todeslager führten, bereitstellte, fuhr auch uns nach Weimar, dessen Bürger später angeblich mehrheitlich nicht wussten, dass in ihrer Nähe ein Konzentrationslager bestand.
Die Ankunft auf dem Bahnhof der ehemaligen Goethestadt werde ich nie vergessen. Unter dröhnendem Gebrüll wurden wir aus den Abteilen gejagt, teilweise gezerrt, und dann in die Unterführung getrieben, die unter den Gleisen zum Ausgang führte. Im Tunnel wurden wir mit Knüppeln an die Wand gedrängt und mit Stöcken, Bajonetten, Ochsenziemern und anderen Schlaginstrumenten verprügelt. Dann scheuchte man uns über den menschenleeren Bahnhofsplatz in wartende Lastwagen. Alte und Behinderte wurden einfach in die Wagen geworfen. Nach etwa 20 Minuten Fahrt mussten wir in Eile aussteigen und wurden über zu diesem Zweck aufgestapelte Steinhaufen auf ein Tor zu gehetzt, das uns ins Innere des Konzentrationslagers führte. Dort hat man uns die Schädel kahl geschoren, wir mussten uns in Hundertschaften formieren und strammstehen oder auf dem schlammigen Boden aufrecht sitzen.
Fürchterliche Wochen folgten. Manche wurden wahnsinnig; einige ertränkten sich in den Latrinen oder töteten sich am elektrischen Zaun. Einmal begehrte ein dekorierter ehemaliger Frontoffizier auf; man verprügelte ihn so lange, bis er zur winselnden Kreatur wurde. Der Aufenthalt im KZ war die schlimmste Zeit, die ich je durchlebt habe. Dass es später – bei den Deportationen und dem Mord an sechs Millionen Menschen – noch schlimmer kommen sollte, ahnte ich damals noch nicht. Der 9. November 1938 war der Beginn dieser Schreckensperiode. Bei aller Freude über die Revolution von 1989 kann und will ich das nicht vergessen.

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