Lichterfest

Megillat Chanukka

von Rabbiner Benjamin Zvieli

Chaim Nachman Bialik schreibt: »Der Bibel fehlt ein kostbares und ganz wunderbares Buch. Warum fiel dieses Buch dem Vergessen anheim? Das Buch, das die Geschichte des größten Sieges enthält, des siegreichen Geistes und der Kraft des jüdischen Volkes – das Buch der Hasmonäer.«
Hinter dieser Äußerung erkennen wir die Auffassung, daß es ein solches Buch in alter Zeit gegeben haben muß. Eine Schriftrolle, die in ihrer eigenen Weise genau die Geschichte des Chanukka-Festes aufgezeichnet hat, so wie das Buch Esther, das uns die Ereignisse von Purim erzählt. Und dabei hat Bialik nicht das Buch der Makkabäer im Sinn, das zu den Apokryphen zählt und ursprünglich in griechischer Sprache verfaßt wurde.
Diese Bücher sind recht umständlich und schwerfällig abgefaßt, und von den vier Büchern befassen sich nur die ersten beiden mit den Taten Mattathias des Hasmonäers und Judas des Makkabäers. Die anderen Bücher tragen ihren Namen nur, weil sie von anderen Heldentaten berichten, aber mit Juda dem Makkabäer und seinen Brüdern haben sie nichts zu tun.
Inzwischen besitzen wir eine aramäische und eine hebräische Fassung einer Schriftrolle, die gleich unter mehreren Namen bekannt ist: Die Schriftrolle des Antiochus, die Schriftrolle der Hasmonäer oder die Schriftrolle von Chanukka, manchmal wird sie auch als die Griechische Schriftrolle bezeichnet.
Vor einigen Jahren gab der inzwischen verstorbene jemenitische Gelehrte Rabbiner Joseph Kapah eine Edition der Schriftrolle des Antiochus heraus, versehen mit einer Übersetzung ins Arabische von Sa’adia Gaon (9. Jahrhundert) und mit seinen eigenen Anmerkungen, die auf alten Manuskripten aus der Bodleian Library in Oxford beruhen. Einige antike Manuskripte des Buchs Daniel aus dem Jemen, das etwa zur Hälfte in Aramäisch vorliegt, enthalten ebenfalls Sa’adias Übersetzung ins Arabische und verfügen zudem über die angehängte Schriftrolle des Buchs der Hasmonäer, das im Jemen eher als Schriftrolle des Antiochas – nicht Antiochus – bekannt ist.
Alle diese alten Gebetbücher, die in der ursprünglichen jemenitischen Überlieferung »Tiklal« heißen, umfaßten auch diese Schriftrolle. Sie wurde im Rahmen des Gottesdienstes zu Chanukka verwendet, da es früher einmal Brauch war, die Kinder zu Chanukka mit ihr vertraut zu machen. In seiner Einleitung schreibt Sa’adia Gaon: »Ich hielt es für angebracht, dieser Geschichte (Purim) der Ereignisse zur Zeit des Perserreiches, als die Rettung ihres Volkes in die Hände von Mordechai und Esther gelegt ward, die Geschichte beizugeben, die uns berichtet, was sich zur Zeit der Griechen und der Leviten, zu denen auch die Hasmonäer zählen, zutrug, als die Rettung ihres Volkes in ihren Händen lag.«
Die Schriftrolle des Antiochus wurde auch in das aschkenasische Gebetbuch Avodat Jisrael aufgenommen, das 1868 von Rabbiner Isaac ben Arie Joseph Dov (Jitzhak Baer) mit folgenden einleitenden Worten herausgegeben wurde: »Diese kostbare Schriftrolle aus einem antiken Machsor, gedruckt in Saloniki, gehört zu den wenigen Texten, die uns aus unserem alten Schrifttum erhalten sind. Verfaßt wurde es vorwiegend in klarem Aramäisch, um später dann ins Hebräische übersetzt und gedruckt zu werden.«
In derselben Einleitung zu Avodat Jisrael heißt es: »Zu beachten ist, daß diese Schriftrolle des Antiochus auch ins Deutsche übersetzt und 1548 in Venedig veröffentlicht wurde. So gelangte sie zu Rabbiner Behr Frank von Preßburg, dem ihre hebräische und aramäische Fassung gänzlich unbekannt war. Daher fand er es angebracht, den Text in die Heilige Sprache zu übertragen, um sie 1806 in Druck zu geben.«
Die Schriftrolle des Antiochus wurde von mehreren Gelehrten viele Male veröffentlicht, oft begleitet von gelehrten Aufsätzen zu ihrer Geschichte, zu ihrer Sprache und zu ihrem Stil, ja selbst mit einer Gegenüberstellung der Ereignisse, wie sie in anderen historischen Dokumenten aufgezeichnet sind.
Der Hebräisch-Experte Menahem Zvi Kaddari versuchte, den Entstehungszeitpunkt des Originaltextes zu ermitteln und die Schriftrolle, die wir heute besitzen, zu diesem hypothetischen Original in Beziehung zu setzen. Er behauptet, daß eine genaue Untersuchung der Sprachgestalt der Schriftrolle nicht für eine Übereinstimmung spricht. Für sie sprechen vielmehr nur historische, geographische und literarische Überlegungen. Hier liegt vermutlich auch der Grund dafür, daß man in dieser Frage nicht zu einer abschließenden Antwort gelangen konnte. Die Schriftrolle könnte irgendwann zwischen dem ersten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung und dem elften Jahrhundert verfaßt worden sein. Sie stammt möglicherweise aus Babylonien, Syrien oder sogar aus Europa. Kaddari versichert indes, daß man die Datierung der Schriftrolle des Antiochus mit guten Gründen auf einen Zeitraum zwischen dem zweiten und fünften Jahrhundert eingrenzen könne, sehr wahrscheinlich sogar auf das zweite Jahrhundert selbst.
Nathan Fried meldet in seiner Untersuchung Zweifel in Hinblick auf die Verfasserschaft an. Er zitiert die Auffassung von Sa’adia Gaon, wonach die Schriftrolle des Antiochus in Aramäisch von den Hasmonäern selbst verfaßt wurde: »daß die hasmonäischen Söhne Juda, Simeon, Johanan, Jonathan und Elieser, Söhne des Mattathias, ein Buch über ihre Erlebnisse verfaßten, ähnlich dem Buch Daniel in der Sprache der Kaldäer.«
Hier liegt ein Problem. Denn der Schriftrolle zufolge wurden Juda und Elieser gleich zu Beginn des Krieges mit den Griechen getötet. In bestimmten Einzelheiten weicht sie von dem ab, was die apokryphen Texte und die Schriften des Josephus Flavius berichten. Ein gewichtiger Unterschied liegt darin, daß Juda der Makkabäer zu Beginn der Schlacht, die Mattathias’ Söhne gegen die Griechen führten, vor den Augen seines Vaters getötet wurde, während andere Quellen berichten, Mattathias selbst sei bereits vor Ausbruch des Krieges gestorben. Zudem rückt die Schriftrolle das Ölwunder in den Vordergrund, dessen mit dem Entzünden der Kerzen an Chanukka gedacht werden soll, während andere Quellen auf diese Einzelheit überhaupt kein Gewicht legen.
Im Lauf der Zeit wurde die Schriftrolle dann in Manuskripte der Bibel und in Gebetbücher verschiedener jüdischer Gemeinden aufgenommen. Gedruckte Bü-
cher beinhalten lediglich die hebräische Version. Von Hand geschriebene jemenitische »Tiklal«-Gebetbücher enthalten die aramäische Fassung mit versgenauen Übertragungen ins Arabische.
Nach und nach betrachtet man die hebräische Fassung der Schriftrolle nun als das Original, so als sei sie tatsächlich die antike Fassung der Schriftrolle. Dennoch bestehen nach wie vor erhebliche Zweifel, und die Schriftrolle des Antiochus, wie wir sie heute besitzen, gilt längst noch nicht überall als überlieferte antike Schrift, die uns die Geschichte jener großen Tage erzählt.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Fakultät für Jüdische Studien, www.biu.ac

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