Pessach

Mazze, Chametz und kalte Füße

bad kissingen
Pessach im Bad Kissinger Hotel Eden-Park bedeutet nasse Füße und viel Arbeit. In der Einrichtung der Zentralwohlfahrtstelle der Juden in Deutschland bereiten sich viele Helfer auf die kommenden Festtage vor. So müssen dann auch Maschgiach Itzchak Nadel und Hausmeister Mathias Monz die Zähne zusammenbeißen. Weil die Glaswaren des Hotels nun einmal in natürlichen Gewässern gekaschert werden müssen, kommen die beiden nicht darum herum, barfüßig in die winterlich kalte fränkische Saale zu steigen. Trotz der gerade mal acht Grad Wassertemperatur sind die beiden Akteure noch zu Späßen aufgelegt.
Zwei Tage vorher führte Itzchak Nadels Weg in die tiefste Hochrhön. Hier im Oberelsbacher Ortsteil Sondernau züchtet Horst Siepermann seine Speisefische. Seit Jahren beliefert Siepermann das Hotel mit Fischwaren. Das Dörfchen liegt direkt unterhalb der »langen Rhön« in Sichtweite des 926 Meter hohen Heidelstein. Hier tummeln sich die Fische im frischen Quellwasser. Horst Siepermann ist die regelmäßigen jüdischen Besucher aus Bad Kissingen gewohnt. Für Pessach muss auch er alle Messer und Küchengeräte austauschen. Einem Schneidemesser, das fest eingebaut ist, rückt Itzchak Nadel mit dem Gasbrenner zu Leibe, um es zu reinigen.
In der Küche des Kissinger Hotels ist der Österreicher Peter Mehringer der Chef. Auch er ist im Pessach-Stress. In seinem mehr als 20-jährigen Berufsleben hat er acht Jahre in Israel gearbeitet. Daher kennt er die Regeln zu Pessach genau. In diesen Tagen treffen ständig Waren aus der ganzen Welt ein. Mehringer muss Menüs zusammenstellen, den Wareneingang sorgfältig kontrollieren und natürlich muss auch er in den nächsten Tagen die Reinigung der Hotelküche mit vorbereiten. Dabei bleibt der Küchenchef gelassen. Mit Humor und viel österreichischem Charme hat er seine Küche gut im Griff.
Da wundert es nicht, das die koscheren Speisen des Eden-Park einen deutschlandweiten Ruf genießen. Speziell zu den Feiertagen reisen Gäste aus ganz Deutschland an. Sie wissen die Pauschalangebote des Hauses seit Jahren zu schätzen.
Extra aus Frankfurt am Main schaut Rabbiner Menachem Halevi Klein in Bad Kissingen vorbei. Das Eden-Park steht unter seiner rabbinischen Kontrolle. Besonders an Pessach läßt er es sich nicht nehmen, der fränkischen Kurstadt einen Besuch abzustatten. Hier bespricht er mit dem Maschgiach anstehende Fragen und schaut einfach mal nach dem Rechten. »Ich kann da aber ganz beruhigt schlafen«, sagt der Rabbiner. Er kennt die Mitarbeiter des Eden-Park seit Jahren und weiß, dass er ihnen vertrauen kann: »Selbst verwöhnte Geschmäcker kommen hier auf ihre Kosten.«
Menachem Klein bewundert auch die Aufbauleistung, die in Bad Kissingen seit rund 15 Jahren geleistet wird. Unter der Leitung Benjamin Blochs von der ZWSt in Frankfurt ist mit dem Eden-Park etwas ganz Besonders entstanden. In Deutschland sucht das Haus seinesgleichen. Kur und Kultur werden in einer jüdischen Atmosphäre gewährleistet. »Wo sonst in Deutschland kann man einfach hereinkommen und koscher genießen?«, fragt der Frankfurter Rabbiner.
Die rechte Hand Benjamin Blochs in Bad Kissingen ist Erika Brätz. Für sie ist es das elfte Pessach, das sie miterlebt. Selbst sie bekommt leuchtende Augen und ist sichtlich gespannt auf die kommenden Tage. »Es ist zwar viel Arbeit«, gibt die Leiterin des Hauses zu, »aber für mich ist Pessach auch wie ein großes Familientreffen.« Es sei schön, Gäste wieder zu treffen, die regelmäßig in den Kurort kommen. Auf das diesjährige Pessach freut sie sich auch deswegen, weil besonders viele jüngere Gäste mit Großeltern und Kindern kommen. »Da treffen dann drei und vier Generationen aufeinander – das wird schön.«
Neben Erika Brätz steht die Hausdame Helga Klos. Selbst sie freut sich schon auf Pessach – obwohl sie mit ihren Damen vom Reinigungsteam eine der Hauptlasten der nächsten Tage trägt. Sie ist seit dem Beginn des Eden-Parks mit dabei und genießt die Stimmung jedes Mal neu. »Wir werden sehr in die Feierlichkeiten mit einbezogen. Ganz anders als bei uns im Christentum.« Man merkt’s einfach, das sich im Eden-Park ein Team von Überzeugungstätern eingeschworen hat. Trotz der vielen Arbeit, die mit Pessach verbunden ist, scheint doch alles mit einer gewissen Leichtigkeit abzulaufen. Eine Atmosphäre, die auch von den Gästen honoriert wird. »Es ist hier wirklich paradiesisch«, schrieb einmal ein Hotelgast ins Gästebuch. Thomas Künzl

düsseldorf
Ein Lieferwagen mit Frankfurter Kennzeichen parkt vor dem Gemeindezentrum der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf am Paul-Spiegel-Platz. Koscherer Traubensaft wird angeliefert. Die Kisten stapeln sich im Eingangsbereich vor einem Bretterverschlag mit Baustellenschild. Die Vorbereitungen für Pessach sind in Düsseldorf in diesem Jahr besonders erschwert, denn parallel wird auch noch der Leo-Baeck-Saal im Gemeindehaus saniert. Der Verkauf von Mazzot musste deswegen schon in kleinere Räume verlegt werden. »Das war sehr schwer zu organisieren«, erzählt Verwaltungsdirektor Michael Szentei-Heise. »Mehr als drei Tonnen Mazzot hatten wir bestellt.« Ein Großteil davon sei bereits an Privatpersonen innerhalb kürzester Zeit verkauft worden. Der Rest sei für die Feiern in der Gemeinde. Über Bestellformulare hatten auch in diesem Jahr wieder viele Gemeindemitglieder ihre Kaufwünsche aufgegeben.
»Im Gespräch mit Neuzuwanderern merke ich immer wieder, welche große Rolle Mazzot und das Pessachfest als solches spielt«, sagt Rabbiner Julian-Chaim Soussan. Hier habe sich ein religiöses Zugehörigkeitsgefühl erhalten, auch bei Menschen, die sonst nicht so eine enge Bindung an die Religion hätten. »Als Gemeinde wollen wir möglichst vielen Mitgliedern ermöglichen, Pessach erleben zu können«, erklärt Rabbiner Soussan, der versucht, die stressigste Zeit des Jahres reibungslos zu gestalten.
Drei Sederabende müssen vorbereitet werden. Wegen Umbau des Gemeindesaales finden sie erstmals in den Räumen der Jüdischen Grundschule statt. Ein deutsch-und ein russischsprachiger sowie ein Seder für Jugendliche und junge Erwachsene sind geplant. Neu ist, dass sie parallel an einem einzigen Abend stattfinden. Da Pessach in diesem Jahr mit dem Ende des Schabbats beginnt, könnte man theoretisch erst am späten Abend mit den Vorbereitungen beginnen. »Die an den Vorbereitungen Beteiligten hätten dann bis in die Nacht hinein bleiben müssen, das wollten wir umgehen«, erklärt Rabbiner Soussan. Und das macht zusätzlich Stress.
Rund 400 Menschen können an dem Abend verköstigt werden. »Knapp 300 Anmeldungen liegen derzeit vor«, so Verwaltungsdirektor Szentei-Heise, in dessen Büro die organisatorischen Dinge zusammenlaufen. »Für das Küchenpersonal wird der eine Abend wahnsinnig anstrengend werden.« Doch Szentei-Heise ist zuversichtlich, dass alles gut klappt.
Vorher müssen alle Küchen – die kleinen Caféküchen sowie die Großküchen der Gemeinde und des Elternheimes – für Pessach hergerichtet werden. Alle Flächen, alles Geschirr, alle Töpfe werden gekaschert. Da Pessach in diesem Jahr nicht wie sonst üblich in die Zeit der Schulferien fällt, bleibt auch das eine logistische Herausforderung. »Die Kinder der Yitzhak-Rabin-Schule bekommen in diesen Tagen nur einen vorbereiteten Imbiss, denn dann wird die Gemeindeküche, wo sonst für die Kinder gekocht wird, gekaschert«, erklärt Rabbiner Soussan.
Er und seine beiden Kollegen vom Rabbinat sind vor Pessach noch häufiger als sonst bei den Kindern der Gemeinde, sei es im Mini-Club, wo die jüngsten, unter drei Jahren, betreut werden, im Kindergarten oder in der Schule. »Wir versuchen in den Erziehungseinrichtungen, Pessach zu erleben, auch wenn es zu Hause nicht gefeiert wird.« Lieder, Texte, symbolträchtige Speisen, rituelle Handlungen – beim »Als-ob-Seder« in der Vor-Pessach-Woche, einer Art Übungsseder, wird alles berücksichtigt, was an Pessach vorkommt.
Erstmals informierte die Gemeinde auch die etwa 1.500 Anwohner rund um die Yitzhak-Rabin-Schule über das bevorstehende Pessachfest. »Viele haben sich bedankt, die Information kam gut an«, berichtet Szentei-Heise. Die Initiative gehöre zum »runden Tisch«, bei dem sich Juden und Nichtjuden besser kennenlernen wollen.
Kurz vor Pessach, wenn die Küchen gekaschert sind und der Ablauf der Seder-abende feststeht, wird sich Rabbiner Julian-Chaim Soussan dann noch den Listen widmen, die den Chametz-Verkauf regeln. Das Verbot, Gesäuertes zu essen oder zu besitzen, ist das Besondere an Pessach. »Ich bekomme dann viele Anrufe: Die Leute nennen mir den Wert des weggeschlossenen Chametz, seien es drei oder fünfhundert Euro.« Der Rabbiner regelt den geforderten Verkauf an nichtjüdische Personen. »Meist ist das ein nichtjüdischer Mitarbeiter der Gemeinde«, erklärt Rabbiner Soussan. Dieser leistet dann eine Anzahlung auf die Gesamtsumme, wenn er die Restsumme bis nach Pessach nicht zahlt, löst sich der Vertrag in Wohlgefallen auf und der Anspruch auf das Chametz erlischt. Annette Kanis
dortmund
Kuchen, eine Dose Oliven, etwas zum Naschen, ein Pfund Käse. »Den Rest kaufen wir dann in Bochum«, sagt Alex und hilft seiner Frau Maja den Einkauf auf dem Tisch abzustellen. »Mazzot und Wein kann man auch bei uns in der Gemeinde bestellen«, ergänzt Maja. Die kurze Fahrt in die Nachbarstadt Dortmund hat sich für das junge Ehepaar aber dennoch gelohnt. Die Auswahl sei hier, dem koscheren Kiosk der nahen Nachbargemeinde sei Dank, einfach größer.
»Bloß nicht in Panik geraten«, rät Alex, während er nach Kleingeld im Portemonnaie sucht. Jedes Jahr versuchen sie es vor Pessach ein wenig besser zu machen, meinen sie. »Und jedes Jahr zweifeln wir trotzdem, ob wir auch wirklich alles richtig vorbereitet haben.« Da hilft nur, rechtzeitig mit dem »Abzählen des Countdowns zu beginnen«, witzelt Alex. Daheim haben sie das neue Geschirr vor Tagen schon bereitgestellt, sogar den Geschirrspüler und das erste Zimmer gesäubert. »Küche, Wohnzimmer und Diele fehlen noch«, geht Maja die To-Do-Liste durch. Und dann kann Mutter kommen. »Sie kocht.« Die Soziologie-Studentin, die gerade an ihrer Magisterarbeit schreibt, lacht erleichtert. »Zumindest beim Essen kann nichts mehr schiefgehen.«
Auch Mendel ist froh, dass er der bitter nötigen Unterstützung vonseiten der Familie sicher sein kann. »Kurz vor Pessach wird es halt stressig«, meint der Inhaber des koscheren Lebensmittelgeschäftes »LeChaim« achselzuckend. Während er zum Großmarkt fährt und später den Versand an Kunden vorbereitet, hilft seine Mutter Emilia ein wenig im Laden aus und sitzt hinter der Kasse. Auf den Armen trägt Mendel neue Waren in den Raum, den er fest in der Gemeinde angemietet hat. Nach Ladenschluss ist für ihn der Arbeitstag noch lange nicht vorbei. »Dann geht der Stress sogar erst so richtig los«, meint er und stellt ein Paket Wein, natürlich »kosher le Pessach«, ab.
Während in den Regalen auf der rechten Seite die Waren zum Fest aufgetürmt werden, müssen die Produkte aus den anderen Regalen vom übrigen Jahr ins Lager geschafft werden. Das ist allerdings zehn Kilometer entfernt. »Außerdem muss ich auch hier alles sauber vom Chametz kriegen«, sagt der religiöse Ladenbesitzer. Und daheim? »Ohje«, seufzt Mendel. »Meine Frau Schejna ist bereits beim Putzen und ich sollte eigentlich helfen, meint sie.« Ein »zu Recht« murmelt er schnell noch nach. Dafür bleibt dann nur noch nachts mal etwas Zeit übrig. »Aber gut, das ist halt der Stress vorm Fest.« Stress, der sich für ihn nicht nur geschäftlich lohnt. »Zu Pessach haben die Leute größeres Interesse an koscheren Lebensmitteln«, erklärt der 30-Jährige. Nur die wenigsten Käufer essen das gesamte Jahr über entsprechend den jüdischen Speisegesetzen, weiß er. Und obwohl auch nur die wenigsten ihr Heim wirklich »kosher le Pessach« herrichten, so hat das Wenige doch große Bedeutung für die Mehrheit der Gemeindemitglieder. »Es ist ihnen wichtig, dass zu- mindest koscherer Wein auf dem Tisch steht.« Ronen Guttman

Berlin

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