Glückssache

Lottomania

Nicht nur Israel ist im Lottofieber. Nachdem der viertgrößte Jackpot der deutschen Lottogeschichte am vergangenen Wo-
chenende wieder nicht geknackt wurde, lag die Gewinnchance hier bei 30 Millionen Euro. Und erst kürzlich konnte sich ein glücklicher Gewinner aus dem kleinen Toskana-Ort Bagnonebe im italienischen Lotto über mehr als 147 Millionen Euro freuen.
Im Jackpot der israelischen nationalen Lotterie befanden sich jetzt 80 Millionen Schekel, nachdem 17 aufeinanderfolgende Ziehungen keinen Hauptgewinner ge-
bracht hatten. In der vergangenen Woche konnte ein Gewinner zumindest die Hälfte dieser Summe, 40 Millionen Schekel (etwa 7,4 Millionen Euro), einstreichen. Er wurde von der Lottogesellschaft präsentiert, allerdings anonym: Den Scheck in der Hand, eine lächerlichen Pappmaske auf dem Kopf.
40 Millionen Scheckel sind im europäischen Vergleich kein Mega-Gewinn. Der Abgeordnete Ofir Pines-Paz von der Ar-
beitspartei sieht dennoch die Entwicklung mit großer Sorge und überlegt, Maßnahmen gegen die nationale Lotteriegesellschaft Mifal Hapais einzuleiten. Denn während die Summen im Gewinnspiel von Mal zu Mal steigen, würden die Chancen, sechs Richtige zu haben, immer geringer. Pines-Paz verlangt vom Finanzkomitee der Knesset, das für Lotterieangelegenheiten zu-
ständig ist, eine Sondersitzung. »Es gibt Bedenken, dass Mifal Hapais mit ihrem System ›Doppellotto‹ zu weit gegangen ist. Die Chancen sind außerordentlich ge-
schrumpft, während die Ziehungen mons-tröse Dimensionen erreicht haben. Währenddessen wird der Öffentlichkeit das Geld aus den Taschen gezogen, weil sie sich
in dem Glauben befindet, die Aussichten auf den Gewinn sind gleich geblieben«, schrieb der Abgeordnete in einer Erklärung. Während die Chancen vorher bei eins zu 14 Millionen lagen, sind sie mittlerweile auf eins zu 18 Millionen gesunken. Gleichzeitig seien die Umsätze der nationalen Lotteriegesellschaft um 40 Prozent gestiegen, sagte Pines-Paz. »Mit allem Respekt für den Einsatz von Mi-
fal Hapais für die Gemeinschaft scheint es doch, als sei die Situation aus dem Gleichgewicht geraten.« Sollten sie nicht mit einer Erklärung aufwarten können, erwägt der Abgeordnete zu bean-
tragen, dass der Gesellschaft die Lotterie-lizenz entzogen wird.

Anonyme Gewinner Den Herrn mit der Maske auf dem Kopf dürfte diese Debatte herzlich wenig interessieren. Unwahrscheinlich, dass er jemals wieder ein Kreuzchen auf einem Spielschein machen wird. Er hat wohl bis ans Lebensende ausgesorgt. Anders als in vielen Ländern der Erde, wo die Fernsehzuschauer daran teilhaben dürfen, wenn die Sektkorken knallen, sorgt Mifal Hapais in Israel dafür, dass die Identität des neuen Multimillionärs geheim bleibt. Wenn also der sonst immer klamme Kumpel plötzlich ein nagelneues Auto fährt, seinen Job schmeißt und sich kurz darauf auf Weltreise begibt, könnte es gut sein, dass er der Glückliche ist. Wahrscheinlich aber wird es außer den nächsten Verwandten niemand erfahren. Denn die Geheimhaltung hat bereits Tradition. Pressesprecherin Dorin Melnik von der nationalen Lotteriegesellschaft erklärt, warum: »Israel ist einfach ein sehr kleines Land, hier ist die Situation eine andere.« Sie könne an einer Hand abzählen, wie viele der großen Gewinner sich zu ihrem Megagewinn bekannt hätten. Während auf der Rückseite eines jeden Lottoscheins im Kleingedruckten vermerkt ist, dass sich die Gesellschaft das Recht vorbehält, die Identität zu veröffentlichen, werde davon jedoch kein Gebrauch gemacht, betont Melnik. »Weil wir wissen, welchen Schwierigkeiten der Gewinner in der Zeit nach der Ziehung ausgesetzt ist. Wir geben nach Absprache einige Details bekannt, etwa in welcher Region des Landes er wohnt, und geben Tipps für den Umgang mit dem Hauptgewinn. Das ist alles.« Regel Nummer eins liegt nahe und kann doch nicht oft genug erwähnt werden: »Seien Sie nicht verschwenderisch.«

Wahre Gewinner Wer weiß, ob der Ge-
winner sich diesen Ratschlag zu Herzen nimmt. Eins aber weiß man genau. Dass der wahre Sieger des wöchentlichen Glücksspiels nicht Herr X ist, sondern Mifal Ha-
pais: Nach den ganzen Ziehungen ohne Ge-
winner war nicht nur der Jackpot angeschwollen, auch die Konten der Lotterie waren prall gefüllt. Von den 65,5 Millionen Euro Umsatz bleiben nach Abzug der Preisgelder und Kosten knapp 30 Millionen Gewinn. Die sollen wiederum für lokale Projekte wie Kindergärten, Schulen und Al-
tenzentren eingesetzt werden. Kaum eine Gemeinde im Land, in der nicht mindestens eine Bildungseinrichtung aus den Mitteln der Lotteriegesellschaft gebaut worden ist. Der Beweis prangt an jedem Bau in großen Lettern samt Emblem. Kritiker ge-
ben indes zu bedenken, dass es nicht gerade vorbildlich sei, schon im Schulalter indirekt auf Gewinnspiele aufmerksam gemacht zu werden.
Raz Cohen schert das alles nicht. Er will nur eins: ebenfalls den Jackpot knacken. Der 38-Jährige Handwerker aus Hadera steht regelmäßig an der Lottobude seiner Stadt und kreuzt an. Bei der letzten Ziehung standen die Chancen auf den Hauptgewinn eins zu 18 Millionen. Hat er dennoch Hoffnung? »Klar, wir haben ein ganz ausgetüfteltes System, das muss irgendwann doch mal klappen«, ist er überzeugt. Cohen ist Mitglied einer Tippgemeinschaft unter Freunden. Monatlich gibt er mindestens 500 Schekel, fast einhundert Euro, fürs Glücksspiel aus, wenn der Topf besonders voll ist, sogar das Doppelte. Gewonnen hat er außer ein paar Hundert Schekeln noch nie etwas. Kommt da kein Frust auf? »Manchmal ärgere ich mich schon ein paar Tage lang und sage mir, ich spiel nicht mehr, das bringt ja nichts. Dann aber juckt es mir in den Fingern und ich stehe wieder an der Bude.« Von Sucht will Cohen nichts wissen. »Das hier ist doch nur Lotto. Es ist ja nicht so, dass ich Haus und Hof in einem Kasino verspiele. Solche Leute sind abhängig, ich doch nicht.«
Die große Masse jedoch geht jede Wo-
che leer aus. Trotzdem stehen viele Israelis nach wie vor Tag für Tag an den orange-blauen Lottobüdchen im ganzen Land, kratzen ihre letzten Schekel zusammen und füllen die Scheine aus. In der Hoffnung, eines Tages auch die sonderbare Pappmaske mit dem breiten Grinsen auf dem Kopf haben zu dürfen.

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