von Christine Schmitt
Bis Mitternacht hielten sogar die Kinder durch. Dann gingen die 20 Jungen und Mädchen aber doch in ihr Nachtlager in den Kidduschraum und schliefen rasch ein – während ihre Eltern die ganze Nacht zusammensaßen und lernten. »Wir haben Schawuot so eine Art Mini-Limmud veranstaltet«, sagt Rabbinerin Gesa Ederberg von der Synagoge Oranienburger Straße. Etliche hatten Workshops zu religiösen und zeitgenössischen Themen vorbereitet. Zum Gottesdienst am Donnerstag waren mehr als 60 Beter gekommen – darunter auch einige Rabbinatsstudenten aus den USA –, immerhin 20 hätten die ganze Nacht durchgehalten und waren selbst noch um 4 Uhr beim Gottesdienst hellwach. »Es war so schön wie selten zuvor«, sagt die Rabbinerin. Jugendliche hätten erlebt, dass »Lernen cool ist«. Etliche Beter aus der Synagoge Pestalozzistraße seien noch in die Oranienburger Straße gekommen. Rabbiner Tuvia Ben-Chorin hatte dort zuvor eine Schiur zum Thema »G’ttes Offenbarung am Sinai – Schrift oder Inspiration« angeboten, zu der etwa 40 Interessierte gekommen waren.
Auch in der Reformsynagoge am Hüttenweg gab es ein besonderes Programm zu Schawuot. Allerdings tagsüber. »In einer liberalen Synagoge hat die Nacht des Lernens nicht so eine große Bedeutung wie in einer orthodoxen«, sagt Rabbiner Andreas Nachama. 24 Jugendliche haben in den vergangenen zehn Jahren ihre Bar- und Batmizwa in der Sukkat-Schalom-Gemeinde gefeiert – und diese hatte der Synagogenvorstand nun eingeladen. Sieben davon waren dem Ruf gefolgt und wurden beim Morgengottesdienst zur Tora aufgerufen. Danach saßen etliche Beter noch bei Käsekuchen – der traditionellen milchigen Speise zum Wochenfest – zusammen.
Früchte, Kekse, Tee und Kaffee wurden in der sefardischen Synagoge an der Passauer Straße gereicht. Da es dort keine milchige Küche gibt, wurde auf Käsekuchen verzichtet. Etwa 30 Beter kamen, um die Nacht in der Synagoge zu verbringen. Beim gemeinsamen Lernen hatten sie viel Neues erfahren, sagt Rabbiner Reuven Yaacobov. Speziell die Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion würden das Wissen aufsaugen. Um 5 Uhr morgens war der Rabbiner zu Hause – und um 9.30 Uhr amtierte er schon wieder beim Morgengottesdienst.
Auch in der Synagoge Joachimstaler Straße saßen nach Mitternacht etwa 50 Beter zusammen und lernten bis zum frühen Morgen mit Rabbiner Yitshak Ehrenberg. In den Einrichtungen der Lauder-Foundation waren ebenfalls die Lichter an. Das Tikkun, also des Lernen in der Nacht von Schawuot, stammt aus der kabbalistischen Tradition. In der Jeschiwa in der Brunnenstraße und den Räumen an der Kastanienallee und der Rykestraße wurden zahlreiche Lehrangebote gemacht. »Wir hatten dabei auch viele junge Gäste zu Besuch, die im Rahmen unseres Morascha-Programms mit uns lernten«, erläutert Rabbiner Dovid Rose.
»Ich bin nicht mehr in dem Alter, die ganze Nacht durchzumachen«, gesteht Grigorij Kristal, Kultusdezernent der Jüdischen Gemeinde, lächelnd. Er besuchte den Abendgottesdienst in der Synagoge Fraenkelufer. Kantor Jochen Fahlenkamp amtierte in der Synagoge Rykestraße. Aber auch er könne sich eine Nacht ohne Schlaf nicht leisten. Schließlich müsse er am nächsten Tag wieder vorbeten. Aber auf Käsekuchen musste er nicht verzichten, ein Beter hatte das Gebäck mitgebracht.
Über koscheres Eis freuten sich am Freitag zahlreiche Kinder, die zur Lesung der Zehn Gebote und der anschließenden Eiskrem-Party in das Jüdische Bildungszentrum gekommen waren. Hier an der Münsterschen Straße war in der Nacht zuvor gelernt worden, mit verschiedenen Lektionen in Deutsch und Russisch. »Es war ein ganz besonderes spirituelles Erlebnis«, resümiert Rabbiner Yehuda Teichtal.