Restaurant

Kreplach und Frühlingsrolle

von Ruth Kirchner

Ein milder Frühlingsabend in Peking.
Die Restaurants sind voll – in China isst man gerne und oft außer Haus. Im »Dini’s«, einem kleinen Restaurant in der »Super Bar Street«, einer beliebten Ausgeh- und Restaurantmeile im Osten der Stadt, ist es hingegen noch ruhig. Besitzer Lewis Sperber schaut nervös auf die Uhr. Endlich. Eine Gruppe französischer Touristen drängt herein. Sperber atmet auf. Der Abendumsatz ist gerettet. Fröhlich richten sich die Gäste an einer langen Tafel ein. Man plaudert über die Highlights des Tages: die Verbotene Stadt, den Himmelstempel – Sightseeing macht hungrig.
Lewis Sperber begrüßt seine Gäste wie alte Bekannte. Während ihres Pekingaufenthalts ist diese Gruppe bislang jeden Abend zu ihm gekommen. Denn in der 17-Millionenmetropole mit ihren Tausenden von Restaurants ist das »Dini’s« etwas Einmaliges: Es ist das einzige koschere Restaurant in der Stadt. Hier können Gäste sicher sein, dass alle Speisen strikt nach den Gesetzen des Kaschrut zubereitet werden: Hühnersuppe mit Mazze-Klößchen etwa, aber auch chinesische Klassiker wie Gong Bao Di Jing, also Hühnchen mit Erdnüssen und Chilischoten.
Sperber ist sichtlich stolz, dass er es geschafft hat, innerhalb eines Jahres und rechtzeitig zu den Olympischen Sommerspielen ein koscheres Restaurant in China zu etablieren. Aber der Anfang war nicht leicht, räumt er ein. Geduldiges Training war nötig, sagt der 65-Jährige, um seine vorwiegend chinesischen Köche und Kellner beispielsweise an die strikte Trennung von Milch- und Fleischprodukten zu gewöhnen. »Wir haben Kochbücher aus New York mitgebracht und die Rezepte übersetzt«, erinnert sich Sperber an die ersten Monate. Doch manchmal entdeckten er und seine chinesischen Mitarbeiter mehr Gemeinsamkeiten als sie zunächst erwartet hatten. Die Zutaten mögen unterschiedlich sein, aber gefüllte Teigtaschen heißen bei den Italienern Ravioli, bei den Chinesen Jiaozi und bei uns Juden Kreplach«, sagt der Gastronom und lacht.
Dennoch bleiben die jüdischen Speisegesetze den meisten Chinesen fremd. »Die Leute haben keinen blassen Schimmer, was koscher eigentlich bedeutet«, sagt Rabbi Shimon Freundlich vom Chabad-Zentrum, das das jüdische Leben in Peking organisiert. Die wenigen tausend Juden im bevölkerungsreichsten Land der Welt sind eine winzige Minderheit und kommen ausschließlich aus dem Ausland. Rund 1.500 Juden leben in Peking, 1.000 in Schanghai und vielleicht noch mal 500 im südchinesischen Guangzhou.
Freundlich hat dennoch alle Hände voll zu tun. Für die Orthodox Union (OU) in New York inspiziert er chinesische Firmen und vergibt Koscher-Zertifikate. Dafür sind er und eine Handvoll Rabbiner in ganz China unterwegs. Denn bei Lebensmittelherstellern im Reich der Mitte werden die Zertifikate immer beliebter. Viele Exporteure erhoffen sich durch die OU-Plakette Chancen auf dem amerikanischen oder europäischen Markt.
Für Gastronom Sperber jedoch bleibt die größte Herausforderung die Suche nach koscheren Zutaten für sein Restaurant. Trotz des wachsenden Interesses der Exportindustrie sind koschere Lebensmittel in China selbst nicht immer einfach zu finden. Dabei haben es die Pekinger Juden noch vergleichsweise leicht. In der Hauptstadt gibt es eine Reihe von Supermärkten mit Importware aus den USA oder Europa. Erdnussbutter, Ketchup, Nudeln, Gewürze – viele Lebensmittel tragen das Koschersiegel der Orthodox Union oder anderer Organisationen.
Dennoch mangelt es in vielen jüdischen Haushalten und in der Restaurantküche des »Dini’s« immer wieder an allen Ecken und Enden. Wenn Lewis Sperber von New York nach Peking fliegt, sind daher seine Koffer und Taschen jedesmal zum Bersten voll: koschere Schokolade, Balsamico-Essig, Mazze-Mixtur – all das führt er aus dem Ausland ein.
Größtes Problem aber bleibt das Fleisch. Keine Metzgerei in China kann den strikten Vorgaben der Kaschrut genüge tun. Chinesische Schlachter, die auf traditionelle jüdische Weise schlachten und das Fleisch bearbeiten können, gibt es nicht. Rabbi Freundlich lässt daher regelmäßig einen Schochet aus Südafrika einfliegen. Der schlachtet dann Rinder und Hühner auf Monate im Voraus. Das Fleisch wird gesalzen oder eingefroren und in der jüdischen Gemeinde verkauft.
»Schon allein dadurch sind unsere Preise rund 40 Prozent höher als in herkömmlichen chinesischen Restaurants«, sagt Sperber. Zudem hat er immer einen Maschgiach im Restaurant, der jeden Morgen die angelieferten Lebensmittel prüft, die Gasherde anzündet, aufgeschlagene Eier auf Blutspuren untersucht und abends Weinflaschen entkorkt und serviert. Auch das treibt die Kosten in die Höhe.
Dennoch kann sich Sperber über einen Mangel an Kundschaft nicht beklagen. Das »Dini’s« liegt gleich gegenüber der israelischen Botschaft. Doch seine Hauptkundschaft sind vor allem jüdische Geschäftsleute auf Reisen und eben die wachsende Zahl von Touristen in Peking.
Aber auch mehr und mehr Chinesen finden den Weg in das kleine Restaurant. »Inzwischen sind 40 Prozent unserer Kunden Einheimische«, freut sich Sperber. »Sie wissen mittlerweile, dass koscheres Essen gleichbedeutend ist mit besonders sorgfältiger Hygiene.« In einem Land, wo Lebensmittelskandale zum Alltag gehören, ist das ein gewichtiges Argument.
Zum Sommer dürfte die Zahl der Gäste noch weiter in die Höhe schnellen. Bis zu 550.000 ausländische Besucher erwartet die Stadt zu den Olympischen Sommerspielen vom 8. bis 24. August. Davon will Sperber wie alle Gastronomen in der chinesischen Hauptstadt profitieren. Er erwägt sogar, vorübergehend ein zweites Restaurant in der Nähe der olympischen Sportstätten zu eröffnen. Zumindest mit einem mobilen Sandwich-Shop auf vier Rädern will er vor Ort sein.
Auch Rabbi Freundlich ist für Olympia bereits im Einsatz. Er berät das Pekinger Olympia-Komitee und hilft bei der Versorgung des Olympischen Dorfes. Dort will man für Athleten und Trainer eine koschere Küche einrichten. »50 bis 100 Mahlzeiten werden wir täglich dort zubereiten«, sagt Freundlich. Sperber hofft derweil für »Dini’s« auf einen wahren Olympia-Boom. Während der Spiele rechnet er mit 300 bis 500 Gästen pro Tag. Dass im Westen wegen des chinesischen Vorgehens in Tibet über einen Olympiaboykott diskutiert wird, schreckt ihn nicht: »Mein Restaurant existierte vor August 2008 und wird auch nach August 2008 weiter existieren.«

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