Libanon

Kampf den Islamisten

von Markus Bickel (Tripoli)
und Sabine Brandes

Der Lärm der spielenden Kinder hallt über das Schulgelände. In kleinen Gruppen stehen oder sitzen mehr als hundert von ihnen auf dem großen Platz vor dem Eingang der Kawkab- und Battouf-Grundschulen, die vom Hilfswerk der Vereinten Nationen für die palästinensischen Flüchtlinge (UNRWA) betrieben werden. Doch zum Unterricht geht hier, im am Stadtrand der nordlibanesischen Hafenmetropole Tripoli gelegenen Palästinenserlager Badawi, seit einigen Tagen keiner mehr: Nach der Flucht von rund 14.000 Menschen aus dem 15 Kilometer weiter nördlich gelegenen Lager Nahr al-Barid dienen die Schulen als Notunterkünfte.
»Meine Familie musste zwei Kilometer zu Fuß gehen, ehe sie einen Bus nach Tripoli erwischte«, erzählt Ashraf Abu Khorj, der am Dienstag vergangener Woche mit dem eigenen Wagen aus Nahr entkommen konnte – im Visier der Scharfschützen. 48 Stunden zuvor waren rund um das etwa 30.000 Einwohner fassende Lager die heftigsten Kämpfe seit Ende des libanesischen Bürgerkrieges ausgebrochen. Der Grund: Nach einem gescheiterten Banküberfall mutmaßlicher Mitglieder der Al-Kaida nahe stehenden Fatah-al-Islam-Organisation eröffneten militante Islamisten am dritten Mai-Wochenende das Feuer auf Einheiten der International Security Forces (ISF) und der Armee.
Schnell breiteten sich die Kämpfe aus dem Zentrum der zweitgrößten libanesischen Stadt auf das Lager aus, wo die auf 200 Mann geschätzte Islamistentruppe erst im November vergangenen Jahres Unterschlupf gesucht hatte. Über 70 Menschen kamen dabei bislang ums Leben. Abu Khorj, der für die kanadische Hilfsorganisation »Right to Play« arbeitet, beschreibt die aus Algerien, Saudi-Arabien, Syrien und dem Jemen kommenden Männer als »Eindringlinge«, die die in Jahrzehnten gewachsenen sozialen Strukturen in Nahr al-Barid aus dem Gleichgewicht gebracht hätten. »Bei uns kennen sich alle«, sagt der 33-Jährige. »Außerdem haben wir beste Beziehungen zu unseren libanesischen Nachbarn in den Dörfern rund um das Lager.« Diese zu zerstören, sei das Ziel der Kämpfer.
Doch nicht nur das rücksichtslose Vorgehen der militanten Islamisten, auch die harsche Reaktion der Armee stößt unter den Einwohnern von Badawi auf Kritik. Rund um Abu Khorj hat sich eine Traube von Menschen gebildet – voller Wut über die erzwungene Flucht. »Teilweise waren 80 Menschen in einem Raum untergebracht«, erzählt Thaer Khalil, der mit seiner Handy-Kamera einige der Schäden gefilmt hat, die das Bombardement der libanesischen Artillerie in Nahr al-Barid hinterließ. Die von Einschlägen übersäte Decke einer Moschee flimmert über das Display. Hunderte hätten sich hierhin geflüchtet, sagt der junge Mann, und dennoch habe die Armee ihren Beschuss nicht eingestellt.
Die pro-westliche Regierung von Premierminister Fuad Siniora steckt in einer Zwickmühle: Einerseits kann sie die bewaffneten Islamisten in ihrem Kampf gegen die Staatsmacht nicht einfach gewähren lassen, andererseits würde ein Eindrin- gen der Armee nach Nahr al-Barid die Gefahr eines Überschwappens des Konflikts auf andere Palästinenserlager erhöhen. Über 400.000 Palästinenser leben im Libanon, mehr als die Hälfte davon in zwölf Lagern, entstanden in den Jahren nach dem ersten arabisch-israelischen Krieg 1948. Der Lebensstandard ihrer Bewohner liegt weit unter dem libanesischen Durchschnitt.
Seit dem Abkommen von Damaskus 1969 haben libanesische Soldaten diese oft über 30.000 Einwohner großen Städte nicht mehr betreten – und schon vergangene Woche kam es im nahe der Hafenstadt Saida gelegenen Ain al-Helweh zu Protesten gegen das Vorgehen der Armee in Nahr al-Barid. Auch in Badawi, wo sich seit dem Eintreffen der Flüchtlinge aus dem Norden die Einwohnerzahl von 14.000 auf 28.000 verdoppelt hat, wächst die Verzweiflung: »Wir brauchen Essen, wir brauchen Wasser, wir brauchen Strom«, ruft Abu Khorj und erntet Zustimmung von den Nebenstehenden. »Und wir wollen endlich in menschenwürdigen Umständen leben, nicht immer nur als Terroristen betrachtet werden.«
In den Kämpfen zwischen Armee und Islamisten starben bereits mindestens 100 Menschen. Und Israel? Jede kleine Regung, schlicht alles, was im Libanon passiert, wird von Bevölkerung und Regierung genau beobachtet und analysiert. Vor allem, wenn es sich um interne Machtkämpfe handelt. Diesmal jedoch ist es relativ ruhig in Israel. Professor Eyal Zisser, Experte für den Libanon und Syrien und Dekan des Dayan-Centers für Nahostpolitik an der Tel Aviver Universität, erklärt, warum: »Natürlich kann uns fast alles beeinflussen, was beim kleinen Nachbarn geschieht. Die heutige Gewalt aber ist auf eine relativ kleine extremistische Gruppe beschränkt und spielt sich ausschließlich zwischen der Fatah-al-Islam und der Armee ab. Daher wird das Geschehen keine unmittelbaren Folgen für Israel haben.« Wären Nasrallah und die Hisbollah involviert, sähe das anders aus, glaubt Zisser. »Aber dann hätte Siniora nicht so eisern reagiert, er wäre wahrscheinlich noch nicht einmal in die Versuchung gekommen, auch nur den kleinen Finger zu bewegen. Wie im letzten Sommer.« Während des zweiten Libanonkrieges im Juli und August 2006 gehörte Zisser zu einer Expertenrunde des Fernsehkanals Zehn, die regelmäßig zur aktuellen Lage Stellung bezog.
Für die jetzige Aktion indes hat der Experte Lob für den Premier des Levantestaates parat: »Diese Härte ist gut für Israel. Sie hält die fundamentalistischen Kräfte von Anfang an im Zaum, es ist genau die richtige Maßnahme.« Sogar die Drohung der Gruppe, »die Kämpfe auch auf Juden und Amerikaner auszuweiten und ein Meer von Blut herbeizuführen«, lässt die israelischen Experten recht entspannt. »Jetzt kämpfen sie erst einmal gegen die libanesische Armee, und es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Extremisten als Sieger hervorgehen werden.« Eine Verbindung der liba- nesischen Kämpfer zum Gasastreifen und der Westbank sieht er nicht, die angeblichen »Schläferzellen«, von denen jüngst auf Al-Dschasira gesprochen wurde, hält Zisser für bloßes Säbelrasseln.
Kurzfristig sei die Krise im Libanon keine echte Bedrohung für Israel, resümiert Zisser. Zurücklehnen aber dürfe man sich nie. »Denn der radikale Islam ist eine sehr reale Gefahr – und wird es langfristig immer mehr sein.«

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