von Jessica Jacoby
Mit Regiegrößen wie Amos Gitai, Amos Kollek und Michelle Ohayon ist der israelische Film auf der diesjährigen Berlinale prominent vertreten. Nicht als diplomatische Pflichtübung wegen des sechzigjährigen Bestehens des Landes. Das israelische Kino erfreut sich weltweit wachsender Anerkennung wegen seiner ästhetischen Meriten ebenso wie wegen der oft kritisch- aufklärerischen Inhalte.
Der israelisch-palästinensische Konflikt gehört dabei natürlich zu den zentralen Themen. Im Eröffnungsfilm des Panoramas, Lemon Tree, erzählt Eran Riklis vom Kampf der palästinensischen Witwe Salma Zidane um ihren Zitronenhain. Ihr neuer Nachbar, der israelische Verteidigungsminister, will die Bäume abholzen lassen – gegen Entschädigung. Aber Salma geht es nicht ums Geld. Der Hain ist ihr Lebensinhalt. Ein junger Anwalt wird ihr Mitstreiter und weckt in Salma amouröse Wünsche. Auch Mira, die Frau des Ministers, leidet unter Einsamkeit, entwickelt Verständnis für Salmas Lage. Am Ende wird Mira ihren Mann verlassen – der Zitronenkrieg hat ihr gemeinsames Leben endgültig versauert. Wie schon in früheren Filmen versteht Riklis es meisterhaft, dem Nahostkonflikt komische Seiten abzugewinnen, ohne seine Tragik zu unterschlagen.
Auf weniger humoristische Weise gelingt das auch dem Dokumentarfilm Shahida. Natalie Assouline hat Palästinenserinnen befragt, die wegen Attentaten in ei- nem israelischen Gefängnis einsitzen. Zunächst stößt sie auf eine Mauer aus jihadistischer Indoktrination. Doch allmählich zeigen sich dank Assoulines Beharrlichkeit erste Risse. Eine Frau gibt zu, nur unter Zwang zur Terroristin geworden zu sein, eine andere berichtet freimütig, sie habe einem Soldaten von ihrem Taschenmesser erzählt, um im Gefängnis ihrer prügelnden Familie zu entkommen.
Innerislamische Konflikte anderer Art zeigt Parvez Sharmas in A Jihad for love. Es geht um die prekäre, oft lebensgefährliche Existenz muslimischer Schwuler und Lesben. Produziert wurde der Film von Sandi Dubowski, der auf der Berlinale 2001 für Trembling before G’d über jüdisch-orthodoxe Schwule und Lesben ausgezeichnet wurde. Einem ähnlichen Thema widmet sich auch die jüdisch-iranische Regisseurin Tanaz Eshagian mit Be like others über Transsexuelle im Mullahstaat.
Überraschend viele jüdische Filme kommen dieses Jahr aus Südafrika. Das Panorama zeigt Julian Shaws Darling! The Pieter-Dirk Uys Story die Biografie eines der be- kanntesten Kabarettisten vom Kap. Uys, dessen Mutter, eine jüdische Pianistin aus Berlin, 1936 nach Südafrika floh (ihr Klavier steht, von ihm und seiner Schwester gestiftet, heute im Jüdischen Museum), kämpfte mit provokativem Witz gegen die Apartheid. Der Freund von Nelson Mandela und Desmond Tutu entging mehreren Anschlägen nur knapp. Heute zieht Uys mit einem Aidspräventionsprogramm durch die Schulen des Landes, für ihn die wichtigste politische Aufgabe der Gegenwart. Der südafrikanische Kabarettist ist zu den Filmfestspielen in Berlin und tritt am 17. Februar live im Jüdischen Museum auf.
In Yunus Vallys The glow of white women, einem interessanten, wenn auch etwas eitel geratenen Essay, spielt die ehemalige jüdische Lebensgefährtin des Re- gisseurs eine zentrale Rolle. Nicht die blonde, unerreichbare Burin, Inbegriff der weißen Frau, überwindet die Barriere der Apartheid, sondern eine Jüdin, die bereit ist, sich auf ein schwarz-weißes Miteinander einzulassen. Dieses Motiv findet sich auch in dem wunderbar witzigen Spielfilm Jerusalema von Ralph Ziman. Er erzählt vom Aufstieg des kleinen, schwarzen Autodiebes Lucky zum beinahe respektablen, sich als Unternehmer verstehenden Gangsterboss, der sich in die jüdische Diätberaterin Lea verliebt.
Wenig gibt es dieses Jahr zur Schoa. Das Berlinale Special zeigt Michelle Ohayons Dokumentation Steal a pencil for me über eine Liebe im nazibesetzten Holland, sowie Amos Gitais Spielfilm Plus tard tu comprendras. Gitai ist durch seine Dokumentationen zu brisanten israelischen Themenbekannt geworden. Dabei hätte er bleiben sollen. Denn leider ist Plus tard nicht wirklich gelungen. Ein Stoff – ein Mann auf den Spuren der Lebensgeschichte seiner jüdischen Mutter –, der nach dokumentarischer Bearbeitung verlangt, dramatisiert von einem Regisseur, dessen Stärke nicht gerade in der Dramaturgie liegt. Da hilft auch nicht die Starbesetzung mit Jeanne Moreau.
Zum Schluss ein kleines Juwel aus Australien. Cathy Randalls Hey Hey it’s Esther Blueburger erzählt mit viel Frechheit und Frische von einer 13-Jährigen, die aus der gutbürgerlichen Enge ihrer jüdischen Familie ausbricht und die spannende Welt einer Unterschichtfreundin kennenlernt. Der Film läuft zwar im Jugendprogramm Generation Plus. Über 16-Jährige sollte das aber keinesfalls davon abhalten, ihn sich anzuschauen.