André Schmitz

»Je größer, desto besser«

Herr Schmitz, Sie haben seit mehreren Jahren einen sehr guten und engen Kontakt zu Vertretern der Jüdischen Gemeinde. Woher kommt der?
schmitz: Ich habe mich immer stark für Geschichte interessiert. Und Berlin versteht man nur, wenn man die Geschichte des 19. und
20. Jahrhunderts mitdenkt. Dabei stellt man fest, dass der jüdische Anteil zu Berlin gehört wie kaum ein anderer, mit allen Höhen und furchtbarsten Tiefen. Das ist mein Zugang. Und dann ist mir das jüdische Leben in der Stadt wirklich ein Herzensanliegen geworden. Wenn man so eine Grundsympathie zu diesem Thema hat, dann fällt es einem auch leichter, die schwierigen Situationen, die es auch gibt, durchzustehen. Wir haben die größte jüdische Gemeinde Deutschlands in dieser Stadt, und wir müssen alles tun, damit es ihr gut geht.

Es scheint, als ginge es ihr im Moment nicht sehr gut. Welches Bild gibt die Gemeinde ab?
schmitz: Es ist schade, dass sie nicht in dem Zustand ist, den wir uns alle wünschen würden. Ich hoffe natürlich sehr, dass auch wieder bessere Zeiten kommen. Wir tun von hier aus alles, um die jüdische Gemeinde zu stabilisieren und unseren Rat und unsere Tat anzubieten. Das geschieht finanziell und personell. Der Finanzsenator hat sogar einen Mitarbeiter zur Verfügung gestellt, der jetzt in der Gemeinde verantwortlich mitarbeitet. Ich bin optimistisch, dass die derzeitigen Probleme lösbar sind.

Was muss getan werden?
schmitz: Es steht mir nicht zu, der Jüdischen Gemeinde öffentlich Ratschläge zu geben. Ich habe die Hoffnung, dass die Gemeinde in ihren demokratischen Strukturen die Probleme selbst löst. Was wir unterstützend dabei tun können, tun wir gerne.

Die Zahl der Gemeindemitglieder ist gewachsen, die Vielfalt jüdischen Lebens nimmt zu. Es wird häufig von einer Renaissance jüdischen Lebens gesprochen. Sind wir auf dem Weg dahin, dies in Berlin zu erleben?
schmitz: Wir haben immer die historischen Vorbilder im Kopf. Vor 1933 gab es in Berlin die größte jüdische Gemeinde in Deutschland und die größte in Europa mit einer intellektuellen Strahlkraft, an die wir so schnell nicht anschließen können. Es ist aber toll, dass man jüdisches Leben in der Stadt wieder wahrnimmt, dass es hier wieder viele jüdische Einrichtungen gibt, sogar eine überregionale jüdische Zeitung, die hier erscheint. Es ist beein- druckend, wie sich die jüdische Gemeinschaft allein in den vergangenen zehn Jahren entwi-ckelt hat. Es gibt viele kleine Pflanzen, und die Wiese ist bunt, wie Berlin insgesamt. Das jüdische Leben gehört erfreulicherweise wieder zum Alltag dieser Stadt.

Ein Leben mit Vielfalt: Immer mehr jüdische Organisationen – von progressiv bis orthodox – wirken in Berlin und haben auch ihre Wünsche an den Senat. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
schmitz: Wir haben im Haushalt nachweisbar zwei jüdische Körperschaften des öffentlichen Rechts, die Jüdische Gemeinde zu Berlin und die Synagogengemeinde Adass Jisroel, die wir finanziell unterstützen. Sie wissen um die beschränkten Möglichkeiten des Berliner Haushalts. Da habe ich nicht viel Möglichkeiten, mehr zu tun. Aber natürlich begrüßen wir die zunehmende Vielfalt: Je größer die jüdische Gemeinschaft wird, desto besser.

In der Vielfalt etablieren sich Gruppen und Organisationen neben der Einheitsgemeinde. Was denken Sie darüber?
schmitz: Natürlich ist es für die Politik einfacher, wenn man einen Ansprechpartner hat. Ich glaube, dass eine Einheitsgemeinde effektiver ihre Interessen gegenüber der Politik und der Gesellschaft durchsetzen kann. Sollte sich die Situation ändern, wird man damit umgehen müssen. Ich persönlich hoffe nicht, dass es dazu kommt. Ich glaube, für die Interessen der jüdischen Gemeinschaft ist das Festhalten an der Einheitsgemeinde wichtig, aber es muss natürlich funktionieren.

Im rbb-Rundfunkrat funktioniert es gerade nicht. Zwei Gemeinden können sich nicht auf einen Vertreter einigen. Die Folge: Der Stuhl bleibt leer.
schmitz: Ich bin sonst von Natur aus sehr optimistisch. Aber da ich mit allen Beteiligten Gespräche geführt habe, stellt sich mir die Situation im Moment so dar, als wenn leider die jüdischen Interessen von einem eigenen Vertreter im Rundfunkrat nicht wahrgenommen werden können. Was wirklich an den Vertretern der jüdischen Einrichtungen liegt. Ich wäre gerne vermittelnd tätig geworden. Aber da scheint sich im Moment keine Lösung abzuzeichnen.
Sie haben sich stets um das Thema jüdische Bildung gekümmert, waren häufig zu Gast beim Touro-College in Berlin. Liegt Ihnen das Thema besonders am Herzen?
schmitz: Auf dem Gebiet kann nie genug getan werden, weil Bildung eine wichtige Ressource für eine zivilisierte Gesellschaft im 21. Jahrhundert ist. Es gab vor dem Holocaust einen großen Fundus an jüdischer historischer und religiöser Bildung in Berlin. Es ist sehr wichtig, dass sich hier jetzt wieder kleine Pflänzchen entwickeln. Deshalb habe ich das Touro-College immer wieder unterstützt, als erste deutsch-amerikanische private jüdische Universität in Berlin. Das finde ich toll, es sollte davon viel mehr geben. Nur am Rande: Am 27. Mai fahre ich nach New York, wo mir als erstem Deutschen vom Touro-College die Ehrendoktorwürde verliehen werden soll. Das freut und ehrt mich sehr.

Am 25. Februar gab es einen Anschlag auf einen jüdischen Kindergarten. Wie wurde das im Roten Rathaus aufgenommen? Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit hat sich öffentlich nicht dazu geäußert.
schmitz: Der Senat hat gleich reagiert und war sofort durch den Innensenator vor Ort präsent. Man muss allerdings bei solchen Vorfällen aufpassen, dass man nicht in Rituale der Betroffenheit verfällt. Aber ich nehme allen Beteiligten die Betroffenheit ab. Gerade in Deutschland und Berlin sollte man meinen, dass so etwas nicht mehr passieren würde, aber es gibt immer Ewiggestrige. Ich habe schon den Eindruck, dass so etwas in Berlin mit hoher Aufmerksamkeit wahrgenommen wird.

Wirklich? Kein Nachbar kam mit Farbe vorbei, um wenigstens die Hakenkreuze zu übermalen. Für die Beseitigung der Schäden muss der Betreiber des Kindergartens selbst aufkommen. Hat die Zivilgesellschaft hier versagt?
schmitz: Im Prinzip haben Sie recht. Andererseits kann man die Zivilgesellschaft nicht täglich zu solidarischen Akten ermuntern. Aber es wäre schon die Reaktion, die man erwartet hätte und die es ja an vielen anderen Stellen auch gibt. Denken Sie nur an die öffentlichen Reaktionen und Demonstrationen bei Aufmärschen von Neonazis in dieser Stadt. Aber in diesem Fall will ich Ihnen gar nicht widersprechen. Das ist etwas, was man in jeder Generation neu einüben muss. Daher ist es richtig, dass Sie solche Fragen stellen und es einfordern. Gleichzeitig verstehe ich die Frustration, denn man hofft, man habe einen Zivilisationsstand erreicht, auf den man aufbauen kann. Offensichtlich ist das nicht so. Deshalb ist mir das Thema Bildung so besonders wichtig, damit auch in dieser Frage mehr jüdisches Wissen verbreitet wird und mehr Sensibilität für historische Verantwortung und jüdisches Leben in dieser Stadt entsteht.

Mit dem Kulturstaatssekretär sprach Detlef David Kauschke.

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