Jazz und Kommunismus
Der Historiker Eric Hobsbawm wird 90
Er ist einer der letzten lebenden Vertreter einer einst bedeutenden Strömung, die der Historiker Isaac Deutscher »nichtjüdische Juden« genannt hat: Männer und Frauen, die sich als junge Leute in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vom Judentum ab- und dem Sozialismus zuwandten. Eric Hobsbawm (die anglizierte Version des deutschen Namens »Obstbaum«), geboren am 9. Juni 1917 in Alexandria, aufgewachsen in Wien und Berlin, trat 1936 als 19-jähriger im englischen Exil der Kommunistischen Partei Großbritanniens bei, der er bis zu ihrer Selbstauflösung 1991 treu blieb. Nicht aus ideologischer Borniertheit: Schon relativ früh hatte Hobsbawm sich vom sowjetischen Modell des Kommandosozialismus ebenso abgewandt wie vom dogmatischen Marxismus-Leninismus. Trotzdem in der Partei zu bleiben, war für ihn, wie er in seinen Memoiren Gefährliche Zeiten 2003 schrieb, eine Frage der charakterlichen Standhaftigkeit, genauso wie er, trotz erklärten Atheismus’ und Distanz zum Zionismus, immer zu seiner jüdischen Herkunft gestanden hat.
Weit über die Linke hinaus hat Eric Hobsbawm, der lange Jahre am Londoner Birbeck College lehrte, sich als Wissenschaftler weltweites Renommee erworben. Er gilt als einer der profiliertesten Sozialhistoriker unserer Zeit. Wegweisend waren seine Studien über frühe Sozialrebellen. Seine zweite große Leidenschaft ist der Jazz, über den er in Fachkreisen hoch anerkannte Bücher verfasst hat. Seit 1978 ist Eric Hobsbawm Mitglied der britischen Akademie der Wissenschaften. 1998 wurde er von Königin Elizabeth II. zum »Companion of Honour« berufen. Michael Wuliger