Trotz internationaler Forderungen nach einer Waffenruhe im Gazastreifen will der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu den Krieg gegen die palästinensische Terrororganisation Hamas fortsetzen. »Wir machen weiter bis zum Ende, bis zum Sieg, bis zur Zerstörung der Hamas, auch angesichts internationalen Drucks«, sagte er am Mittwoch vor Soldaten nach einer Mitteilung des Regierungspresseamtes. »Nichts wird uns aufhalten.«
Die letzte Waffenruhe war von der Hamas gebrochen worden. Israel hatte einer Verlängerung zugestimmt, denn aufgrund des durch die israelischen Streitkräfte (IDF) aufgebauten militärischen Drucks hatte die Hamas täglich Geiseln freigelassen - im Austausch für die Freilassung palästinensischer Häftlinge aus israelischen Gefängnissen. Dann begann die Terrorgruppe wieder mit Raketenangriffen und verübte einen tödlichen Anschlag in Jerusalem.
Angesichts der katastrophalen humanitären Lage im Gazastreifen verliert Israel allerdings immer mehr an Rückhalt für den Krieg. Diesen begann jedoch die Hamas am 7. Oktober mit ihren Massakern in Israel. In der UN-Vollversammlung hatten mehr als 150 Länder einen sofortigen humanitären Waffenstillstand verlangt.
Druck aus Washington
Selbst aus den verbündeten USA wächst der Druck. Das Weiße Haus erwartet vom Besuch des Nationalen Sicherheitsberaters in Israel ab diesem Donnerstag »äußerst ernste Gespräche«. Jake Sullivan will mit Netanjahu und dem Kriegskabinett über die nächste Phase der militärischen Operationen im Gazastreifen und die israelischen Bemühungen sprechen, präziser vorzugehen und den Schaden für die Zivilbevölkerung zu verringern.
Angesichts der wachsenden Kritik an den zivilen Opfern der Militäroffensive im Gazastreifen warfen die israelischen Streitkräfte der Hamas erneut vor, Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen. »Unsere Truppen haben große Waffendepots und Tunnel in mehreren Schulen gefunden. Sie haben sogar versteckt in einem Teddy-Bären ein Scharfschützengewehr entdeckt«, sagte Militärsprecherin Keren Hajioff.
Dennoch bemühten sich die IDF, bei ihrem Einsatz gegen die Hamas zivile Opfer zu vermeiden. »Unser Krieg gilt der Hamas, nicht den Menschen in Gaza«, sagte Hajioff. »Aber während die Hamas jeden unschuldigen Toten als Teil ihrer Strategie betrachtet, ist für uns jeder Tod eines Unschuldigen eine Tragödie.«
Umfrage: Hamas im Aufwind
Nach dem Massaker in Israel mit 1200 ermordeten Israelis und dem dadurch ausgelösten Gaza-Krieg stieg das Ansehen der Hamas einer Umfrage zufolge im Westjordanland deutlich. 44 Prozent der Menschen unterstützten die Hamas, während es dort im September nur 12 Prozent waren, hieß es in einer Erhebung des als seriös geltenden palästinensischen Umfrageinstituts PSR.
Auch im Gazastreifen stieg das Ansehen der Hamas, wenn auch weniger stark von 38 Prozent auf 42 Prozent. In der Frage, ob der Hamas-Überfall auf Israel vor mehr als zwei Monaten richtig war, gehen die Meinungen zwischen den Palästinensern im Westjordanland und dem Gazastreifen allerdings auseinander. Während im Westjordanland 82 Prozent den Angriff befürworteten, waren es im direkt betroffenen Küstenstreifen nur 57 Prozent.
Die Hamas feuert nach Angaben der israelischen Streitkräfte weiterhin Raketen aus der von Angriffen ausgenommenen humanitären Zone im Gazastreifen ab. Seit der Einrichtung der Schutzzone für Zivilisten am 18. Oktober seien aus dem Gebiet rund um die Ortschaft Al-Mawasi an der Mittelmeerküste 116 Raketen auf Israel abgeschossen worden, teilte das Militär am Mittwoch mit. 38 Geschosse seien innerhalb des Gazastreifens eingeschlagen.
Gefahr für Zivilisten
»Die Hamas nutzt die humanitäre Zone weiterhin, um terroristische Aktivitäten auszuüben und bringt damit das Leben von Zivilisten im Gazastreifen und in Israel in Gefahr«, hieß es in der Mitteilung der Streitkräfte weiter.
Aufgrund von heftigen Regenfällen verschärft sich die Lage der Vertriebenen im Gazastreifen weiter. »Wir haben Angst um unsere Kinder wegen der Kälte und des Regens, die mit dem Wintereinbruch immer schlimmer werden«, sagt Chadija al-Scharafi, der im Gazastreifen wohnt. Er und seine Familie hätten auf der Flucht aus dem nördlichen Teil des abgeriegelten Gebiets alles zurückgelassen. Jetzt seien sie ohne ausreichend Kleidung dem Wetter ausgesetzt.
Nach Angaben des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA sind mittlerweile fast 1,9 Millionen Menschen wegen des Kriegs im Gazastreifen Binnenvertriebene - bei mehr als 2,2 Millionen Bewohnern insgesamt. Viele Menschen schlafen unter freiem Himmel. Ihre eigene Führung, die Hamas, brachte die Menschen in diese Lage.
Söder trifft Herzog
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der sich gerade in Israel aufhält, will heute einen der am 7. Oktober von der Hamas attackierten Kibbuzim besuchen. Am späteren Nachmittag sind politische Gespräche mit Staatspräsident Izchak Herzog geplant. Am Mittwoch hatte Söder Außenminister Eli Cohen getroffen.
Ein Trümmerteil einer von Israels Luftabwehr abgefangenen Rakete aus dem Gazastreifen ist indessen in einen Supermarkt der Küstenstadt Aschdod gekracht. Auf den Bildern einer Überwachungskamera ist zu sehen, wie das etwa zwei Meter lange, schwere Metallrohr die Decke des Gebäudes durchschlägt und zusammen mit Dachtrümmern in die Auslagen stürzt. Zum Glück sei niemand verletzt worden, weil Kunden und Angestellte des Geschäfts in die Schutzräume gegangen seien, schrieb der Leiter des Supermarktes auf der Plattform X. Aschdod liegt rund 30 Kilometer nordöstlich des Gazastreifens. dpa/ja