william friedkin

»Im Herzen bin ich Dokufilmer«

William Friedkin, sie haben als Filmemacher Ende der 60er-Jahre begonnen, als Hollywood im Umbruch war. Wie haben Sie die Veränderungen damals erlebt?
Dennis Hoppers »Easy Rider« veränderte alles. Plötzlich hatten junge Regisseure wie ich, wie Martin Scorsese, Francis Ford Coppola, Peter Bodgdanovich eine Chance in Hollywood. Es war eine sehr unruhige Zeit in Amerika mit den Morden an J. F. Kennedy und an Martin Luther King, den Manson-Morden, dem Vietnam-Krieg. Die Filme von uns jungen Regisseuren reflektierten die irrationalen Ängste der Amerikaner, die Paranoia, die sich überall ausbreitete. Wir spiegelten einfach, was um uns herum geschah. Wir machten die Filme, die wir sehen wollten, und dachten nicht, dass sie sehr viel größere Auswirkungen haben würden als während der paar Wochen, in denen sie in den Kinos zu sehen waren – es gab ja noch keine DVDs. Das Land erlitt damals einen Nervenzusammenbruch, und von dem hat es sich eigentlich bis heute nicht erholt.

Ein zentrales Element Ihrer Spielfilme ist ein stark am Dokumentarischen orientierter Stil. Viele der Stoffe Ihrer Filme basieren auf realen Ereignissen, auch »Der Exorzist«. Was ist für Sie das richtige Verhältnis von Authentizität und Fiktion in einem Film?
Entscheidend für mich war die Erkenntnis, dass auch die »vierte Mauer« fallen darf, dass also die Seite der Kamera Teil der Inszenierung ist und man, wie in einem Vermeerbild, die Illusion von Tiefe erlebt. Im Herzen bin ich bis jetzt ein Dokumentarfilmer, auch wenn ich heute oft Opern inszeniere, in denen Gefühle alle ausgesungen werden und die Plots lächerlich sind. Denn letztlich ist nicht die Authentizität wichtig, Kunst ist immer schon eine Art von Interpretation, eine Impression, eine Metapher, sie funktioniert auf der Ebene von Traum und Imagination. Selbst ein Dokumentarfilm ist eine Interpretation, man entscheidet, wie man die Geschichte erzählt, durch die Kameraposition, aber vor allem durch den Schnitt. Heute dominiert im Kino die »Tolkien-Schule« – was ich übrigens sehr interessant finde: In den 60er-Jahren wollte niemand fantastische Stoffe verfilmen –, doch ich gehöre weiterhin eher der realistischen »Hemingway-Schule« an.

Sie arbeiten mit Schauspielern, die starke und sehr unterschiedliche Persönlichkeiten sind, und mit bekannten Cuttern. Inwiefern lassen Sie sich in Ihrer künstlerischen Arbeit von ihnen beeinflussen?
Wenn ein Film abgedreht ist, fische ich im Schneideraum nicht herum, um herauszufinden, wo der Film ist – ich sehe ihn vor meinem inneren Auge. Cutter sind deshalb für mich vor allem ein Paar Hände. Aber wenn sie gute Ideen haben und mich überzeugen können, lasse ich mich gern ein wenig beeinflussen. Die Arbeit mit den Schauspielern ist viel zentraler, denn oft ist der Dreh auch für mich noch ein Entdeckungsprozess. Ich will den Schauspielern keine einfachen Lösungen auf dem Silbertablett präsentieren. Manchmal erzeuge ich bei ihnen bewusst unbehagliche Gefühle: So hat Al Pacino, der den Polizisten in »Cruising« gespielt hat, beim Dreh nie erfahren, wer nun wirklich der Mörder war – was ihn sehr irritiert hat.

Was sind ihre Lieblingsfilme?
Ich sehe mir Antonionis »Blow Up« immer wieder an. Dieser Film ist ambivalent, er hält sein Rätsel zurück bis zum Ende, und selbst dann gibt es keine einfache Lösung, diese Lücke muss jeder Zuschauer selbst ausfüllen. Von Orson Welles’ »Citizen Kane« habe ich gelernt, dass Filme unterhaltend sein können, aber auch einfach, tief und komplex, wie gute Literatur. Und ich sehe mir kinematografische Genüsse wie »An American in Paris« gerne an, oder auch »The Treasure of the Sierra Madre«. Im europäischen Kino haben mich insbesondere Filme von Alain Resnais sowie von Godard und Fellini sehr stark beeinflusst. Aktuell empfehle ich »The Hurt Locker« von Kathryn Bigelow, einen neuen Film über junge amerikanische Soldaten im Irakkrieg: Den dürfen Sie nicht verpassen! Es gibt wirklich keinen Grund, warum wir dort sind.

Sie sind jüdisch, haben sich als Filmemacher bisher aber noch nie mit jüdischen Erfahrungen befasst. Hatten Sie schon einmal erwogen, darüber zu arbeiten?
Nein, bisher tatsächlich nicht. Aber ich habe wunderbare Filme aus Israel gesehen, die Komödie »The Band’s Visit« oder den Dokumentarfilm »Checkpoint«. Diese Richtung interessiert mich. Wir brauchen Optimismus für Frieden im Nahen Osten – aber ich bin nicht sehr optimistisch. Ich war schon öfter in Israel, 2005 habe ich die Oper »Samson und Delilah« in Tel Aviv inszeniert und ging nachts allein durch die Straßen, besichtigte den Ort, wo die Bombe vor der Dolphin-Disco explodiert ist. Doch ich muss sagen: Ich habe mich den Irakis näher gefühlt, als ich mich in den frühen 70er-Jahren längere Zeit in Mossul aufhielt, und ich bin sehr traurig darüber, was dort heute geschieht. Schalom aleikum!

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