sex und kunst

Im Auge des Betrachters

Merav Maroody ist eine Frau, in deren Biografie so viele Gegensätze stecken, dass sie sie kurzerhand zum Beruf gemacht hat. Wer ihr ins Gesicht sieht, kann die Wurzeln dieser Gegensätze erahnen: dunkle Augen, fast schwarzes Haar zu heller Haut, die im Winter fast weiß wird. Geboren in Arad, der vielleicht sandigsten Stadt Israels tief in der Negevwüste, wuchs Maroody in einer Einwandererfamilie auf, die zur einen Hälfte im Irak, zur anderen in Rumänien wurzelt.
Gleichberechtigung war in ihrer Familie ein Fremdwort: Putzen und Kochen – eindeutig Frauensache. Gleichzeitig liebte der väterliche Zweig die Mathematik. Maroody sollte beides lernen – und wehrte sich nach Kräften. »Mit fünf Jahren schwor ich mir: Ich werde nie so wie meine Eltern.« Sie rannte in die Wüste und kauerte stundenlang unter Felsen, wenn sie einen Besen in die Hand nehmen sollte. »Noch heute wird mir unwohl, wenn ich ein paar Zahlen addieren muss.« Stattdessen begann Maroody zu fotografieren, eine Fertigkeit, mit der keiner sonst in der Familie etwas anfangen konnte. Sie war so gut, dass die Bezalel-Akademie, die beste Kunsthochschule Israels, sie nach dem Armeedienst sofort aufnahm.

billig Mittlerweile hat die 32-Jährige als Künstlerin erste Erfolge. Auf der diesjährigen Ausstellung »Fresh Paint!« in Tel Aviv wurde sie als eine der vielversprechendsten jungen israelischen Künstler ausgezeichnet. Maroody fotografierte verlassene Fabrikgelände in Bulgarien, kaputte Zeugnisse kommunistischer Massenproduktion, und schaffte es, diese märchenhaft schön aussehen zu lassen. Demnächst wird sie ein Magazin herausbringen, das es so noch nie gegeben hat – weder in Israel noch anderswo. »MS.USE« wird das etwa 100-seitige Heft heißen. Das Thema: Sex und Kunst. Die Idee: das scheinbar Niedrigste mit dem Höchsten verbinden. »Sexmagazine sind immer schlecht. Die Fotos sehen billig aus, fantasielos, pornografisch und werden fast nur von Männern gekauft. Kunstmagazine wiederum sind teuer und werden von einer Elite gelesen. MS.USE dagegen druckt qualitativ hochwertige Bilder und Texte, die sich mit einem Thema beschäftigen, das alle interessiert.«
Es begann, als Maroody vor etwa einem Jahr einen Brief an Freunde und Bekannte schickte, in dem sie darum bat, ihr Bilder und Texte zum Thema Sex zu schicken. Diese leiteten den Aufruf weiter, der Rücklauf war enorm. Arbeiten sowohl etablierter Künstler als auch von Amateuren erreichten sie. Maroody lernte so Sivan Shtang kennen, die an der Bezalel-Akademie lehrt, über Sexualität und Geschlechter forscht und nun als Textchefin die Beiträge des Magazins betreut.
Maroody und Shtang, zwei Frauen, die ein Magazin produzieren, das von Sex handelt – eine Domäne, in denen Frauen meistens Statisten, aber selten Kunden oder Produzenten sind. Dafür steht auch der doppeldeutige Name MS.USE: Darin steckt das englische Wort »misuse«, das die Zweckenfremdung eines Sexmagazins für die Kunst andeutet, und die Worte »Miss« und »Use«, also eine Frau, die benutzt. Ein Gegensatz zum Klischee des Mannes in der Pornografie, der Frauen zum Objekt macht.
Sowohl Kunst als auch Sexualität sind zwei große Themen in Maroodys Leben, und es sind beides Themen, mit denen die Öffentlichkeit in einer Weise umgeht, die ihr nicht gefällt. Der Normalverbraucher kommt bekanntlich mit Kunst nur dann in Berührung, wenn er ins Museum geht. Im Alltag wird darüber nur wenig gesprochen. Ähnliches gelte für Sex. Denn obwohl er durch die Massenmedien und in ihnen allgegenwärtig scheint, sei er kein Thema, mit dem offen umgegangen werde.

Ohnmacht Maroody erinnert sich an ihre Pubertät in der Wüstenstadt: »Ich habe überall nach Informationen gesucht. Aber es gab nichts, absolut nichts. Das Einzige, was ich finden konnte, waren Artikel, die sich auf medizinische Weise mit dem Thema beschäftigten – und Pornos. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Aus diesen Materialen können wir zwar lernen, wie wir Krankheiten vermeiden und welche Sextechniken es gibt. Es hilft uns überhaupt nicht dabei, die Bedeutung von körperlicher Liebe in unserem Leben, in unserer Identität und im gesellschaftlichen Mit- einander zu verstehen.« Später, als erwachsene Frau in Tel Aviv, ging es ihr nicht besser. Im Auftrag eines Sexshops hielt sie Vorträge, in denen sie männliche und weibliche Körper erklärte. »Jedes dritte Mal wurde einem Zuhörer schlecht oder jemand fiel in Ohnmacht, meistens Männer.« Seltsam, denn sexuelle Freizügigkeit gehört zum positiven Selbstverständnis Israels, das auch nach außen getragen wird: Vor zwei Jahren initiierte das israelische Konsulat in New York eine Image-Kampagne mit Bildern nackter IDF-Soldatinnen, die sich auf den Seiten des Magazins Maxim räkelten. In politischen Diskussionen weisen Israelis häufig darauf hin, dass ihr Staat nicht nur die einzige Demokratie im Nahen Osten sei, sondern auch das einzige Land der Region, in dem Menschen mit ihrer Sexualität offen umgehen können. Arabische Homosexuelle, die in den palästinensischen Gebieten wegen ihrer Sexualität verfolgt werden, finden Asyl in Israel.

wunschdenken Als im August ein Attentäter auf eine Homosexuellen-Bar schoss, war dies ein Schock – nicht nur der Toten, sondern auch der Symbolik wegen. »In Jerusalem hätte es niemanden gewundert. Aber in unserem modernen, freigeistigen Tel Aviv? Wie konnte das passieren?«, fragt Sivan Shtang, Textchefin bei MS.USE. Sie meint, dass der Glaube an diese Freiheit eher Wunschdenken sei. »Wir sind nicht wirklich offen. Wir halten uns für tolerant, weil wir Lebensweisen dulden, die nicht den Standards entsprechen. Aber wir wollen diesen Menschen nicht wirklich die gleichen Rechte geben. Ich kann in Tel Aviv lesbisch sein, alleinerziehende Mutter oder transsexuell, und ich werde dafür nicht auf offener Straße verprügelt. Aber die wenigsten wollen, dass mich der Staat genauso unterstützt wie ein heterosexuelles Standardpärchen.« Deshalb brauche Israel MS.USE, um eine gesellschaftliche Debatte anzustoßen. Nicht bei allen Kunstwerken, die in dem Magazin abgebildet werden, ist der sexuelle Inhalt offensichtlich. Da finden sich auch Bilder von Männern in Anzügen, die in einem Baumhaus Zigarren rauchen. Es ist eine Frau im langen Abendkleid zu sehen, die in einer zerstörten Wohnung steht. »Man muss keine Geschlechtsteile abbilden, um Sex anzudeuten«, sagt Marooody. »Meiner Meinung nach kann alles sexuell betrachtet werden, genau so, wie man fast jedes Ereignis oder Kunstwerk auf eine politische, nationale oder geschichtliche Weise analysieren kann. Das Sexuelle ist ein zusätzlicher Blickwinkel, nichts anderes. Dafür muss es enttabuisiert werden.« Wie weit sie davon entfernt ist, merkt Merav Maroody an scheinbaren Kleinigkeiten. »Sie werden MS.USE über Google nur dann finden, wenn sie direkt nach dem Namen suchen. Bei Recherchen zumThema, das mit dem Projekt verwandt ist, werden Sie nicht darauf verwiesen. Das liegt daran, dass Google MS.USE als pornografischen Inhalt markiert.« Doch Maroody ist sich sicher, auf dem richtigen Weg zu sein. Neulich traf sie auf der Straße eine alte Schulfreundin, »sehr konservativ, die normalerweise nie ein Sexmagazin in die Hand nehmen würde«. Nachdem die Bekannte das Heft durchgesehen hatte, gab sie es Maroody verwundert zurück: »Aber Merav, in deinem Magazin sind ja nur Heterosexuelle.« In Wirklichkeit, sagt Maroody, »ist das Heft voll mit Schwulen und Transsexuellen. Dass sie es nicht gemerkt hat, zeigt mir, dass ich etwas richtig gemacht habe: Sie hat einfach nur Menschen gesehen.«

Capri

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