Die Zeit vergeht wie im Flug. Schon wieder ist Freitag. Am Abend ist in meinem Büro Ruhezeit, und ich kann über die vergangene Arbeitswoche nachdenken und Pläne für die nächsten Tage machen. Was ist mir gelungen? Was habe ich nicht geschafft?
Ich erinnere mich zum Beispiel an den Mittwoch. Unser festes Arbeitsteam vom Integrationszentrum »Globus« in Chemnitz, wir waren ein bisschen aufgeregt, ob am Tag darauf alles klappt. Wir haben eine gemeinsame Veranstaltung mit dem Verein »Neue Arbeit Chemnitz« vorbereitet, der sich um Arbeitslose kümmert. Es gab ein gemischtes Programm aus deutschen, russischen und jüdischen Liedern und Texten. Beide Vereine wollen, dass sich die Menschen näherkommen, Menschen in meinem Alter und älter, die die gleichen Probleme im Leben haben.
Der Verein »Globus« ist mein Lebensmittelpunkt. Ich habe ihn im Mai 2003 gemeinsam mit meinem Mann Igor gegründet. Wir sind beide Lehrer und können ohne den Umgang mit Menschen nicht leben. Das Integrationszentrum gibt uns die Möglichkeit, diese Ziele zu verwirklichen. Unser Verein unterstützt die Integration russischsprachiger Migranten durch Aktivitäten auf den Gebieten Kultur, Tourismus und Sport. Gleichzeitig leisten wir Hilfe in sozialen Fragen. Es ist so wichtig, dass unsere Leute wissen, wo sie hingehen, wen sie fragen können, wenn sie im Alltag nicht weiter wissen. Ich bin stolz, dass schon viele Menschen durch eine ABM-Stelle oder einen Ein-Euro-Job bei uns Arbeit gefunden haben, auch wenn es nur vorübergehend war. Die meisten bleiben uns als ehrenamtliche Mitarbeiter erhalten.
Zurzeit sind wir alle im Büro tätig. Es gehört sogar eine kleine Küche dazu. Meistens kocht Ludmila. Es ist immer genug da, um auch Gästen etwas zu geben. Das gemeinsame Mittagessen ist ein tägliches Ritual, wir unterhalten uns auch viel über Privates. Manchmal muss ich mich beeilen, wenn ich ein Gespräch auf einem Amt oder eine Beratung außerhalb habe. Letzte Woche war ich nicht viel außer Haus.
Vergangenen Montag habe ich eine Menge Post und E-Mails erledigt. Fragebögen, wie für die Aufnahme in ein Verzeichnis russischsprachiger Vereine in Deutschland oder eine Liste der gemeinnützigen Vereine im Chemnitzer Stadtteil Sonnenberg, sind schnell ausgefüllt. Ein neues Buch auf Russisch über die Beziehungen zwischen Deutschen und Juden, das mit der Post gekommen ist, muss noch warten. Ich will dazu in diesem Jahr eine Diskussionsrunde organisieren.
Seit einem Jahr haben wir neue Räume, sie liegen günstig im Stadtzentrum. Die Leute können mit dem Bus oder mit der Straßenbahn kommen. Viele Juden wohnen auf dem Sonnenberg, das ist gleich hinterm Haus. Es ist uns nicht leicht gefallen, den Entschluss zu fassen, ein Büro zu unterhalten. Wir müssen immer wieder Anträge stellen und Projekte einreichen, damit Geld kommt. Allein die Tafel für den Unterricht hat 500 Euro gekostet. Man muss viel arbeiten, um für ein Projekt grünes Licht zu bekommen. Mein Motto lautet: »Ohne Fleiß, kein Preis«. Als Ergebnis unserer Mühe erhielten wir im vergangenen Jahr den Chemnitzer Friedenspreis.
Ich bin Jüdin im Herzen. Ich verbinde jüdisches Leben in der Familie mit meiner Arbeit. Wenn wir musikalisch-literarische Programme vorbereiten, nehmen wir jüdische Gedichte und Lieder mit auf. Bei Bildungsausflügen, zum Beispiel nach Prag, befassen wir uns vorher mit der jüdischen Geschichte des Ortes. Und in dem von meinem Mann aufgebauten Volleyball-Integrations-Netzwerk spielt eine Mannschaft des Sportvereins »Makkabi« mit.
Am Dienstag kam eine jüdische Familie zu mir. Sie hatte ein Problem mit dem Sozialamt, und ich sollte ganz schnell helfen. Erst einmal höre ich zu, dann schreibe ich den Brief ans Amt. Die Telefonliste arbeite ich ab, wenn die anderen nach Hause gegangen sind: Ich informiere die Leute über Arzttermine, die ich für sie vereinbart habe, andere wollen Informationen über die nächsten Veranstaltungen, oder ich lade zum Winterfest ein.
Manchmal bekomme ich auch am Wochenende oder spätabends Anrufe, wie neulich von einer alleinstehenden Frau. Sie fühlte sich schlecht, brauchte dringend einen Arzt. Sie war hilflos, weil sie schlecht deutsch spricht. Ich habe den Notarzt gerufen und die Sache geschildert. Ja, die Sprache ist ein großes Problem.
Wir haben im Verein zwei Kurse für ältere Leute. Sie brauchen die richtigen Ausdrücke für den Arztbesuch, beim Einkaufen oder auf dem Bahnhof. Den Anfängerkurs – da sind die Jüngsten 70 Jahre! – halte ich selbst. Das macht mir Spaß, es ist ein Bezug zu meinem Beruf. Am Montag hat ein Mann berichtet, dass er mit seiner Frau zur Kur war und dort ganz viel deutsch gesprochen hat. Darauf war er sehr stolz. Die alten Leute sind eifrig dabei, aber gerade im Winter können sie nicht immer kommen, dann entschuldigen sie sich und wollen die Hausaufgaben haben. Den Deutschkurs für die Fortgeschrittenen gibt meine Mutter. Sie hat früher in der Ukraine Deutsch als Fremdsprache unterrichtet.
Jeden Dienstagnachmittag haben wir Vereinsmitarbeiter Sprachkommunikation mit Herrn Görner. Er hat als Fachübersetzer in der Industrie viel mit der Sowjetunion zu tun gehabt. Wir unterhalten uns auch über Politik, vor einigen Wochen waren die Wahlen in Russland ein Thema. Herr Görner schaut außerdem ein bisschen auf unsere Zeitung »Globus – inform«. Die geben wir seit Oktober 2006 monatlich in Russisch und Deutsch heraus. Die Zeitung war eine Idee meiner Mitarbeiterin Ludmila Beribes. Ich habe sie ermuntert, sie auch selbst umzusetzen. Ich denke, es ist eine große Leistung, wenn Menschen sich hinsetzen und einen Artikel schreiben über das, was sie erlebt haben oder was sie empfinden. Dahinter steht kein journalistischer Anspruch, aber für unsere Leute, die wenig Möglichkeiten haben, sich sonst zu verwirklichen, ist eine solche Aufgabe sehr wichtig.
Aber das Leben besteht nicht nur aus Arbeit. An den Wochenenden besuchen uns manchmal unsere beiden Töchter. Sie studieren beide in Göttingen. Dieses Wochenende aber haben Igor und ich ganz für uns allein. Das passiert nicht oft. Wir werden wegfahren, in den Spreewald. Manchmal sind solche Fahrten auch Dienstreisen, weil »Globus« ja auch für Tourismus steht. Vielleicht organisieren wir im Frühling für unseren Kundenkreis eine Fahrt dorthin.
Und so vergeht Woche um Woche. Ich bin eine zielstrebige Frau. Diese vielseitige Arbeit macht mir Spaß und ich fühle mich am richtigen Platz.
Aufgezeichnet von Gisela Bauer