Flüchtlinge

Hungrig im Bunker

von Sabine Brandes

Der Gestank schlägt einem schon auf der ersten Stufe entgegen. Abgestandene Luft, getränkt mit Urin und anderen menschlichen Körpergerüchen. Unten angekommen liegen Männer auf dünnen Matratzen, starren ins Leere oder schlafen, so sie denn können. Draußen kitzeln die ersten Sonnenstrahlen die Nasen der spielenden Kinder, hier unten herrscht Dunkelheit. 150 Menschen sind in diesen Bunker gepresst, fast vergessen von der Welt und doch mitten in der weißen Stadt am Mittelmeer. Kein Tageslicht, keine frische Luft, nur Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und oft auch Hunger. Etwa 900 Flüchtlinge leben in diesen oder ähnlichen Umständen inmitten von Tel Aviv. Sie kommen aus Eritrea, Äthiopien, dem Sudan oder der Elfenbeinküste und wollen in Israel nur eins: überleben.
Kebrom kam vor zwei Wochen an. Er stammt aus Eritrea, lebte dort allein mit seiner Mutter. Als die starb, sollte er in die Armee eingezogen werden, ein sicheres Todesurteil wie Kebrom meint. Er schleppte sich über den Sudan, wurde halbtot geprügelt, beschimpft und ausgenutzt und gelangte schließlich nach Ägypten. Immer allein. Aber auch hier war er alles andere als sicher, musste sich auf der Straße durchschlagen, einzig andere Flüchtlinge halfen ihm weiter. Mit letzter Kraft schlüpfte er durch die löchrige Grenze zwischen Israel und dem südlichen Nachbarland in der Hoffnung, dass die einzige Demokratie der Gegend ihm endlich zu einem halbwegs erträglichen Leben verhelfen würde. Er wünscht sich nicht viel, nur die Möglichkeit, zur Schule zu gehen, regelmäßiges Essen und Sicherheit. Das sagt er immer wieder.
Seine Hoffnungen wurden enttäuscht. Eine Schule hat er auch hier noch nicht von innen gesehen, die einzigen Menschen, die sich um ihn kümmern, sind die Mitflüchtlinge oder Volontäre der Organisation ARDC (Center für die Entwicklung afrikanischer Flüchtlinge), meist selbst ehemalige Flüchtlinge. »Ich habe gedacht, in Israel geht es mir besser. Aber das ist nicht so. Jetzt kann ich nur noch auf Gott warten.« Vor ein paar Tagen ist Kebrom 16 geworden.
Die Geschichten der Menschen ähneln sich. Fast immer sind sie schier unerträglich, geprägt von unvorstellbarer Armut und Gewalt. Seit 2004 strömen immer mehr Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern nach Israel, das kleine Land ist völlig überfordert. Die praktisch nicht existente Grenze im Sinai stoppt kaum jemanden. Einzig die scharf schießenden ägyptischen Grenzer stellen eine lebensgefährliche Bedrohung dar. Erst vor zwei Wochen wurde eine Mutter von zwei kleinen Mädchen vor den Augen ihrer Kinder erschossen. Die Mädchen wurden von den Ägyptern weggebracht, niemand hat je wieder von ihnen gehört.
Hilfe kommt fast ausschließlich von privaten Organisationen oder »einfach guten Menschen«, wie Sigal Rozen, Pressesprecherin der Hilfsorganisation »Hotline für Fremdarbeiter«, erklärt. Die Stadt Tel Aviv tue, was sie kann, besonders die stellvertretende Bürgermeisterin und Tochter von Mosche Dayan, Yael Dayan, ist bemüht, die Situation für die Betroffenen so erträglich wie möglich zu machen. Nicht immer mit Erfolg, denn täglich strömen mehr Menschen hierher, und die Stadt bekommt keinen einzigen Schekel vom Staat. »Die Regierung tut schlicht nichts«, weiß Rozen, »denn sie will kein Exempel statuieren, sie hat Angst, dass sonst ›ganz Afrika kommt‹. Das aber ist völliger Unsinn, die wenigsten haben das Geld und die Kraft, nach Israel zu reisen, es ist immer eine lebensgefährliche Tour de Force. Sie kommen, weil sie keine Wahl haben.« Die rechtliche Situation ist vertrackt, es existiert keine einheitliche Regelung. Vor einigen Monaten überreichte der Staat 450 glücklichen Menschen aus Darfur den A5-Status temporärer Einwohner, 150 sollen ihn bald erhalten. Außerdem haben 1.400 Eritreer eine vorübergehende Arbeitserlaubnis, viele sind in Restaurants, Hotels und der Landwirtschaft beschäftigt. 2.000 weitere Menschen aus dem Südsudan und den Nuba-Bergen tragen ein Papier bei sich, das besagt, Arbeitgeber werden keine Strafe erhalten, wenn sie diese illegalen Einwanderer beschäftigen. Die Menschen in den Bunkern aber haben nichts, außer einem kleinen Streifen, auf dem ein Termin beim UNHCR, dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen in Jerusalem, vermerkt ist. Zum Teil können sie dort erst im Juli vorsprechen, bis zum Termin dürfen sie nicht arbeiten.
»Es ist eine absurde Situation«, meint Rozen. »Wer sich auskennt, der weiß, dass etwa die Flüchtlinge aus den Nuba-Bergen genauso gefährdet sind, wie die Darfurianer.« Um Klarheit zu schaffen, haben sich verschiedene private Hilfsorganisationen unter dem Namen Refugees’ Rights Forum (Forum für Flüchtlingsrechte) zusammengetan und ein Prinzipienpapier anhand der bestehenden Gesetze und Völkerrechte aufgesetzt, das jetzt der Regierung vorgelegt werden soll.
Mindestens tausend Menschen sind zu-
dem im Gefängnis Ketsiot untergebracht, darunter um die 60 Kinder mit ihren El-
tern. »Ein völlig unhaltbarer Zustand, der gegen internationales Recht verstößt«, erläutert Rozen. »Der Staat Israel bricht das Gesetz, indem er diesen Kindern vorenthält, zur Schule zu gehen.« Ihre Organisation hat Klage eingereicht, und seitdem, so die Menschenrechtlerin, dürften die Flüchtlinge nicht mehr besucht werden.
Jaffa Senesch, Pressesprecherin der Ge-
fängnisbehörde, betont, es werde alles ge-
tan, um ein würdiges Dasein zu schaffen. »Es ist schlicht kein anderer Platz da.« Der Staat Israel tue alles in seiner Macht stehende, um den armen Menschen zu helfen, doch die Situation sei extrem schwierig, dabei könne es auch vorkommen, dass Kinder von ihren Eltern getrennt werden, erklärt Senesch. Auf die Frage, warum niemand mehr die Menschen besuchen dürfen, gibt es keine Antwort. »Immerhin sind sie hier geschützt, niemand tut ihnen et-
was zuleide«, betont die Pressesprecherin.
Das könnte sich sehr schnell ändern, denn Premier Ehud Olmert kündigte am Montag an, alle »illegalen Eindringlinge« so schnell es geht zurück nach Ägypten zu schicken, wahrscheinlich noch an diesem Wochenende.
Hier, in Tel Aviv, fehlt es derweil an al-
lem, besonders Matratzen, Decken, Bettbezügen, Zahnbürsten und -pasta, Kleidung und Essen. Der Unterkunftsmanager, Alfa Okoko, selbst Flüchtling aus dem Kongo, hilft, wo er kann, beschafft praktisch aus dem Nichts eine Matratze für ein Kind, das sonst auf dem nackten Steinboden hätte schlafen müssen, organisiert hier etwas Essen, verteilt gerade gespendete Bettwäsche. Besonders schlimm ist die Situation für die Kinder. Dies ist kein Ort für Jungen und Mädchen, die zum Teil schwer traumatisiert sind. Wie Lydia. Das 18 Monate alte Mädchen ist mit ihrem Vater angekommen. Von der Mutter und ihrem Bruder fehlt jede Spur, die beiden wurden an der Grenze von den Ägyptern geschnappt und weggebracht. »Seitdem isst Lydia kaum mehr«, sagt Salomon, der den beiden immer wieder Mut zuspricht. »Ich würde ihnen so gern helfen«, sagt er, »doch womit, wenn nichts da ist?« Es gibt noch nicht mal genug Essen für die Kleinen, Lydia hat keine Babynahrung, keine Banane, nichts. Sie nuckelt an einem Lutscher, den ihr ein Geschäftsinhaber von nebenan geschenkt hat.
Von Weitem mögen sie lediglich wie Nummern anmuten. »In einer Nacht kamen 123 Flüchtlinge in Tel Aviv an«, titelte vor wenigen Tagen eine große Tageszeitung. Aber diese 123 heißen Daniel, Hursum, Enis, Sia oder Achmad, haben Ge-
sichter und Gefühle. Hier, in der Straße Har Zion 3 sind es Männer, Frauen und Kinder mit großen traurigen Augen, die nur eins versuchen – jeden einzelnen Tag zu überleben.

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