Kadima

Hoch auf Zeit

von Wladimir Struminski

Den dramatischen Ausfall des Ministerpräsidenten hat Israels Regierungssystem mustergültig überstanden. Die Übertragung der Machtbefugnisse des Premiers auf dessen Stellvertreter ist heute, anders als etwa zu Zeiten Menachem Begins, klar geregelt und ging binnen einer halben Stunde nach Scharons Einlieferung in die Notaufnahme über die Bühne. Es gab kein Machtvakuum; die Institutionen des Landes funktionieren. Allerdings könnte Israel eine andere Form der Unregierbarkeit drohen – nach den Wahlen Ende März.
Die Schlüsselfrage lautet: Wie schneidet Scharons Kadima, ohne ihren Gründungs- und Übervater ab? Seit Gründung der Partei im November galt es in Israel als eine absolute Wahrheit, daß Kadima Ariel Scharons Einmannshow sei. Ohne den charismatischen Parteigründer hätte sie, darin waren sich die Experten einig, bei der bevorstehenden Knessetwahl keine Siegeschance. Möglicherweise würde sie sogar binnen kurzer Zeit zerfallen. Um so größer war das Staunen, als die ersten Umfragen nach Scharons Schlaganfall Kadima noch immer den Status der stärksten Fraktion in der nächsten Knesset in Aussicht stellten. Einer der Prognosen zufolge würde Kadima auch ohne Scharon 35 der 120 Knessetsitze erringen, während die Arbeitspartei mit neunzehn und der Likud mit siebzehn Mandaten vorliebnehmen müßte. Eine andere Umfrage gab Kadima unter Scharons Vize Ehud Olmert gar 40 Mandate, der Arbeitspartei achtzehn und dem Likud dreizehn Abgeordnete.
Offenkundig hat ein großer Teil der Wähler über den Glauben an Scharon hinaus eine echte politische Präferenz für den von ihm formulierten Kurs entwickelt. Kadima bekennt sich offiziell zum internationalen »Friedensfahrplan«. Und Olmert hat vor einem Jahr weitere einseitige Gebietsverzichte in der West Bank nicht ausgeschlossen; jetzt hat seine Meinung besonderes Gewicht.
Gleichzeitig aber ist Kadima im Verhältnis zur palästinensischen Autonomiebehörde alles andere als vertrauensselig. Es gilt daher als sicher, daß der schonungslose Kampf gegen den Terrorismus unter einer Kadima-Regierung auch ohne Scharon weitergehen wird. Diese Mischung aus Pragmatismus und hartem Durchgreifen hat viele Bürger überzeugt. Zudem hat Kadima die plötzliche Krise, in die Scharons Erkrankung sie gestürzt hat, bisher gut gemeistert. Statt nach israelischer Manier Diadochenkämpfe auszutragen, stellte sich die Führungsmannschaft der Partei geschlossen hinter den kommissarischen Regierungschef Olmert. Der wiederum konnte durch sein sachliches Auftreten punkten. Einer weiteren Umfrage zu- folge sprechen ihm derzeit 28 Prozent der Wähler die beste Eignung für das höchste Regierungsamt zu. Likud-Chef Benjamin Netanjahu muß sich mit 23 Prozent Zuspruch begnügen, während der Vorsitzende der Arbeitspartei, Amir Peretz, nur auf 16 Prozent kommt.
Es gibt noch einen weiteren Grund für die jüngste Umfragestärke von Kadima. Nach Auffassung der Meinungsforscher spiegeln die hohen Werte auch die Anteilnahme der Israelis an Scharons Schicksal wider. Doch dieser Vorteil werde sich in den kommenden Wochen zunehmend verflüchtigen. Sollte Kadima dennoch mehr als 30 Mandate einheimsen, wird sie in der künftigen Koalition nicht nur den Premier stellen, sondern auch die Regierungsrichtlinien bestimmen können. Werden aber die drei großen Parteien – Kadima, Likud und Arbeitspartei – bei einem Niveau von jeweils zwanzig bis dreißig Mandaten in ungefähr gleicher Fraktionsstärke in die Knesset einziehen, wird es mit der Regierungsbildung wohl schwierig. Die Folge könnte ein Bündnis werden, das lediglich durch ein Gleichgewicht des Schreckens zwischen den ideologisch zerstrittenen Partnern zusammengehalten wird. Das aber macht eine einheitliche Politik unmöglich. Das mußten die Israelis in den achtziger Jahren schon einmal erleben: In den damals gebildeten großen Koalitionen legten der Likud unter Jitzchak Schamir und die Arbeitspartei unter Schimon Peres einander zeitweise lahm.
Daß es zu einer kleinen, aber ideologisch geschlossenen Koalition kommt, sei es von links oder von rechts, scheint ebenfalls ausgeschlossen. Selbst mit Hilfe der ultraorthodoxen Parteien kommt die nationale Rechte – also der Likud und siedlernahe Parteien – in den Umfragen nur auf ein Drittel der Knessetsitze. Selbst wenn die Rechte bis zum Wahltag am 28. März aufholen kann, ist eine eigenständige Parlamentsmehrheit kaum in Sicht.
Die zionistische Linke, also Arbeitspartei und Meretz, steht noch schlechter da. Sie dürfte bestenfalls ein Viertel der Wählerstimmen erhalten. In Ermangelung natürlicher Verbündeter kommt sie damit einer Regierungsbildung nicht einmal nahe. Israel ohne Scharons Führungsstärke? Abwarten.

Hamburg

Zehn Monate auf Bewährung nach mutmaßlich antisemitischem Angriff

Die 27-Jährige hatte ein Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft nach einer Vorlesung über antijüdische Gewalt attackiert

 28.04.2025

Fernsehen

Mit KI besser ermitteln?

Künstliche Intelligenz tut in Sekundenschnelle, wofür wir Menschen Stunden und Tage brauchen. Auch Ermittlungsarbeit bei der Polizei kann die KI. Aber will man das?

von Christiane Bosch  21.04.2025

Reaktionen

Europäische Rabbiner: Papst Franziskus engagierte sich für Frieden in der Welt

Rabbiner Pinchas Goldschmidt, der Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner, würdigt das verstorbene Oberhaupt der katholischen Kirche

 21.04.2025

Berlin

Weitere Zeugenvernehmungen im Prozess gegen Angreifer auf Lahav Shapira

Der Prozess gegen Mustafa A. am Amtsgericht Tiergarten geht weiter. Noch ist unklar, ob am heutigen Donnerstag das Urteil bereits gefällt wird

 17.04.2025

Indischer Ozean

Malediven will Israelis die Einreise verbieten

Es ist nicht die erste Ankündigung dieser Art: Urlauber aus Israel sollen das Urlaubsparadies nicht mehr besuchen dürfen. Das muslimische Land will damit Solidarität mit den Palästinensern zeigen.

 16.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025

Spenden

Mazze als Mizwa

Mitarbeiter vom Zentralratsprojekt »Mitzvah Day« übergaben Gesäuertes an die Berliner Tafel

von Katrin Richter  10.04.2025

Jerusalem

Oberstes Gericht berät über Entlassung des Schin-Bet-Chefs

Die Entlassung von Ronen Bar löste Massenproteste in Israel aus. Ministerpräsident Netanjahu sprach von einem »Mangel an Vertrauen«

 08.04.2025

Würdigung

Steinmeier gratuliert Ex-Botschafter Primor zum 90. Geburtstag

Er wurde vielfach ausgezeichnet und für seine Verdienste geehrt. Zu seinem 90. Geburtstag würdigt Bundespräsident Steinmeier Israels früheren Botschafter Avi Primor - und nennt ihn einen Vorreiter

von Birgit Wilke  07.04.2025