Jerusalem

Heilig und heikel

von Walter Laqueur

Jerusalem ist eine der interessantesten Städte, die ich kenne. Aber auch eine der problematischsten. Meine Erinnerungen gehen bis in den November 1938 zurück, als ich ein paar Tage nach der »Kristallnacht« als jüngster Student der Hebräischen Universität dort ankam. Es war die spannendste Zeit kurz vor und nach der Entstehung des Staates Israel. Ich lebte unter Juden, Arabern und Engländern. Seitdem habe ich, wie man so sagt, ein besonderes Verhältnis zu Jerusalem. Es ist eine der wenigen Städte, die sich äußerlich zum Guten verändert haben. Das ist hauptsächlich Teddy Kollek zu verdanken, dem langjährigen Bürgermeister. Aber Jerusalem ist immer noch die ärmste Stadt des Landes. Und zudem eine widersprüchliche Stadt: Politisch ist sie eher rechts eingestellt, aber die Mehrzahl der Einwohner (Ultraorthodoxe und Araber) sind keineswegs Zionisten.
Zion und die Heilige Stadt erscheinen im Tanach und in vielen Gebeten. Im Koran, was häufig vergessen wird, kommt die Stadt nur ein einziges Mal vor, und das auch nur indirekt. Aber das irdische Jerusalem war keineswegs ein Magnet für die jüdischen Einwanderer der vergangenen hundert Jahre. Auch für die Menschen aus Deutschland, die Alija machten, war sie kein Ziel. Von den zionistischen Führern ließ sich keiner dort nieder. Theodor Herzl wollte Haifa zur Hauptstadt des Judenstaates machen. Chaim Weizmann, der erste Präsident Israels, zog Rechovot vor. In den Tagebüchern von David Ben Gurion findet man wenige Komplimente für die Einwohner Jerusalems. Und: Die Abwanderung aus der Stadt in den vergangenen zehn Jahren ist bedeutend größer gewesen als die Zuwanderung. Das irdische Jerusalem verkörpert eben zu viel von dem, was der Zionismus hinter sich lassen wollte: eine Mischung aus osteuropäischem Schtetl und einer osmanischen Provinzhauptstadt.
Bei aller historischen Verbundenheit mit Zion war die zionistische Führung 1947 dennoch bereit, einer Teilung des Landes zuzustimmen – ohne die Altstadt mit der Klagemauer, selbst ohne die jüdischen Viertel. Jerusalem sollte dem Teilungsplan der Vereinten Nationen zufolge ein »corpus separandum« sein. Es kam dann anders.
Nach den Kämpfen und der Belagerung der Stadt wurde Jerusalem geteilt, und so blieb es bis zum Krieg 1967. Damals fielen die Mauern, und die Stadt wurde wieder- vereinigt. Doch auch damals war vielen führenden Politikern Israels und den religiösen Parteien klar, dass man einer Stadt, die drei Weltreligionen heilig ist, möglichst viel Autonomie einräumen muss. Man sah schon damals, dass jede andere Lösung endlose und schwerwiegende politische Komplikationen mit sich bringen würde. 1967 hoffte man, dass mit einem nahen Friedensschluss auch das politische Problem Jerusalem gelöst werden würde. Doch dazu kam es nicht.
Die arabischen Regierungen lehnten Frieden mit Israel grundsätzlich ab. Damit blieb Jerusalem gänzlich in israelischer Hand, wurde de jure und nicht nur de facto die Hauptstadt Israels. Die befürchteten Komplikationen blieben nicht aus. Der politische Konflikt wurde auch ein religiöser. Der Alleinanspruch führte notwendigerweise zu Kritik bei den christlichen Konfessionen und war für die palästinensi- schen Araber ein willkommener Anlass, um die Unterstützung muslimischer Staaten einzufordern, die sich bis dahin für den Konflikt herzlich wenig interessiert hatten.
Wie wird es mit Jerusalem weitergehen? Früher oder später werden die Waffen im Nahen Osten wieder schweigen, und es wird zu Friedensverhandlungen kommen. Die Zukunft Jerusalems wird dabei eine entscheidende Rolle spielen. Dass Israel die Nachkommen der Flüchtlinge von 1948 nicht aufnehmen kann, braucht nicht betont zu werden. Dass Israel sich gegen bewaffnete Angriffe von außen mit aller Macht wird wehren müssen, ist ebenso klar. Doch die Zukunft Jerusalems wird ein Gegenstand von Verhandlungen sein. Die biblischen Propheten ha- ben sich oft und emphatisch über die Rolle Jerusalems im Fühlen und Denken der Juden geäußert. Aber keiner hat gesagt, dass seine Hand verdorren werde, wenn nicht alle Teile der Stadt ausschließlich in israelischer Hand sein werden.

Der Autor, 1921 in Breslau geboren, ist Historiker und Publizist. Er lebt in London und Washington D.C. Von ihm stammt auch das Buch »Jerusalem. Jüdischer Traum und israelische Wirklichkeit« (Ullstein).

Berlin

Chanukka-Basar in der Synagoge Pestalozzistraße: Kuchen, koscherer Glühwein und ein Bühnenprogramm

Am Sonntag findet der Basar im Innenhof der Synagoge statt. Es gibt ein vielfältiges Bühnenprogramm. Auch die »The Swinging Hermlins« werden auftreten

von Christine Schmitt  13.12.2024

Mario Voigt mit Stimmen der Linken zum Ministerpräsident gewählt

 12.12.2024

RIAS: AfD ist eine Gefahr für Juden in Deutschland

 11.12.2024

Amsterdam

Nach antisemitischer Hetzjagd: Haftstrafen für drei Angeklagte gefordert

Einen Monat nach den Übergriffen stehen nun sieben Menschen vor Gericht

 11.12.2024

Brandenburg

Antisemitismusbeauftragter fordert Priorisierung der Bildungsarbeit

Auch die Sicherheit jüdischer Einrichtungen und Menschen müsse gewährleistet werden, sagte Büttner

 10.12.2024

Berlin

Nach dem Sturz von Assad: Wie geht es nun weiter für die syrischen Flüchtlinge in Deutschland?

von Anne-Béatrice Clasmann  09.12.2024

Ausstellung

Projekt zu verlorenen Büchern aus der NS-Zeit erreicht Israel

Ausstellungseröffnung am Montagabend in Tel Aviv

 09.12.2024

Israel

Netanjahu beginnt Aussage in seinem Korruptionsprozess

Die Anwälte des Ministerpräsidenten hatten sich wegen der Kriegszustände in der Region vergeblich um einen längeren Aufschub seiner Aussage bemüht

 09.12.2024

Nahost

Machtwechsel in Syrien: Was wir wissen - und was nicht 

von Martin Romanczyk  08.12.2024