von Carsten Hueck
In der Dauerausstellung des Jüdischen Museums Berlin entsteht der Eindruck, als ob die Geschichte der deutschen Judenheit mit dem Holocaust endete. Ist das tatsächlich so? Nein, antwortet das Berliner Centrum Judaicum mit der Ausstellung »Jeckes. Die deutschsprachigen Juden in Israel«. Die Schau richtet den Blick über nationalstaatliche Grenzen hinaus. Dabei wird deutlich, dass deutsches Judentum in Israel kraftvoll und kreativ weiter existierte.
Obwohl die meisten deutschsprachigen Juden nach 1933 nicht zum Aufbau eines zionistischen Gemeinwesens ans Mittelmeer zogen, wurden sie im damaligen Mandatsgebiet Palästina doch bald zum unverzichtbaren Bestandteil des sich entwickeln- den jüdischen Staates. Sie brachten feste Verwurzelung mit den Traditionen ihrer Heimat, Erfahrung, Bildung und Kultur der Weimarer Republik an den Strand von Tel Aviv, in die Kaffeehäuser von Jerusalem und unter die Zeltplanen der Kibbuzim. Die bis dahin von osteuropäischen Landarbeitern geprägte Atmosphäre in Eretz Israel war ihnen so fremd wie das mediterrane Klima. »Jeckes« nannte man belustigt oder abfällig diese Neueinwanderer, die auch bei größter Hitze Jacketts trugen. Überwiegend stammten sie aus bürgerlichen Berufen, waren Ärzte, Lehrer, Kaufleute, Beamte, Rechtsanwälte, aber auch Musiker und Maler. Sie passten sich an, doch bewahrten sie auch einen stattlichen Teil ihrer Identität. »Das Deutsche« der »neuen Hebräer« wurde bestaunt, und oft genug mokierte man sich darüber. Höflichkeit und Ordnungsliebe der Jeckes gaben Anlass zu zahlreichen Witzen – die sie inzwischen selbst voller Stolz erzählen.
Denn heute schätzt man ihren Einfluss. Nach 1948 waren Jeckes entscheidend an der Gestaltung des jungen, jüdischen Staates beteiligt. Bis in die 70er-Jahre war die Hälfte aller israelischen Richter im deutschen Rechtssystem ausgebildet. Die Hebräische Universität in Jerusalem, das Technion in Haifa – undenkbar ohne jüdische Akademiker aus Deutschland. Auch in Industrie und Wirtschaft waren Jeckes erfolgreich. Im Universitätswesen, der Architektur, in der Verwaltung und Rechtssprechung, aber auch in Landwirtschaft und Industrie leisteten Jeckes Entscheidendes für Israel. Vermitteln sollen das zwei Filme in der Ausstellung sowie 29 Schautafeln mit Fotos und Kurzbiografien.
Seinen Ursprung hat die Ausstellung in den Aktivitäten des ehemaligen Freikorpskämpfers Hans Herbert Hammerstein, der 1901 in Berlin geboren wurde und nach dem Krieg als Bibliothekar in einen Kibbuz eintrat. In Naharija, einer von deutschen Juden gegründeten Stadt im Norden Israels, begann er in den 70er-Jahren, ein kleines »Museum der deutschen Judenheit« aufzubauen. Zwanzig Jahre später entschloss sich der Unternehmer Stef Wertheimer, dieses Museum inmitten seines Industrieparks in Tefen weiterzuentwickeln. Leider ist in Berlin nicht einmal ein Bruchteil der Schätze zu sehen, die Wertheimer und seine Kuratorin Ruthi Ofek zusammengetragen haben. Das Haushaltsbuch einer deutsch-jüdischen Familie ist das einzige Objekt zur Geschichte der deutschen Juden in Israel. Ansonsten Schautafeln. Die sind freilich praktisch zu transportieren, aber völlig unsinnlich und ohne jede Aura. Die didaktisch präsentierten Fotos, Texte und Filme hätte man auch auf eine DVD pressen und an der Kasse des Centrum Judaicums verkaufen können. Die Idee der Ausstellung ist gut und wichtig. Um aber Anschauliches über die Geschichte der deutschen Juden nach dem Holocaust zu erfahren, muss man eben doch nach Israel reisen.
Die Ausstellung im Berliner Centrum Judaicum, Oranienburger Straße 28/30, ist noch bis 31. Dezember zu sehen. Geöffnet: Sonntag und Montag 10 bis 20 Uhr, Dienstag bis Donnerstag bis 18 Uhr, Freitag bis 17 Uhr.