Wenn sich Russen im Ausland treffen, tauschen sie sich irgendwann über ihre Herkunft aus. Nicht selten steht am Ende die kollektive Erkenntnis: »Wir Russen sind über die ganze Welt verstreut.« Ihre Wurzeln haben die Auswanderer der 90er-Jahre-Emigrationswellen allerdings meist nie vollkommen vergessen.
Das kann Moische Treskunow bestätigen. »Jeden Monat bekommen wir zahlreiche Anfragen aus aller Welt. Die Menschen wollen wissen, wo ihre Vorfahren beerdigt sind«, sagt der Pressesprecher der jüdischen Gemeinde in St. Petersburg. Die Anfragen waren der zündende Funke für eine Idee: Eine Website sollte Informationen über alle jüdischen Grabstätten in St. Petersburg vereinen. Über eine Online-Suche sollten Angehörige die letzte Ruhestätte ihrer Vorfahren selbst finden können. »Die Idee schwebte lange in der Luft. Anfang des Jahres erklärte sich der Petersburger Geschäftsmann Michail Hidekel bereit, das Projekt zu finanzieren«, so Treskunow.
Mitte Mai ging die Website www.jekl.ru online. Darauf sind Informationen von mehr als 80.000 Gräbern des St. Petersburger Preobraschenskoje-Friedhofs versammelt. Laut Treskunow sind das 97 Prozent aller Gräber auf dem einzigen ausschließlich jüdischen Friedhof im Südosten der nordrussischen Metropole. Bald sollen alle erfasst sein und zusätzlich die jüdischen Grabstätten auf dem »Friedhof des 9. Januar« sowie auf einigen weiteren Begräbnisplätzen in der Stadt.
Bislang verfügt die Website lediglich über eine einfache Suchfunktion: Gesucht werden kann nach Familienname, den Initialen von Vor- und Vatersname sowie Geburts- und Todesjahr. Das Suchergebnis umfasst neben den genannten Namens- und Datumsangaben die genaue Ortsangabe und ein Foto vom Grab. Biografische Angaben zu den Verstorbenen gibt es nicht. Dabei wecken zahlreiche bekannte Namen die Neugier des Website-Besuchers, darunter Abramowitsch, Beresowski, Fridman und Ginsburg. »Natürlich haben wir darüber nachgedacht, kurze Informationen über bedeutende Persönlichkeiten auf die Website zu stellen. Es gibt auch die Überlegung, dass Angehörige die Fotos und Informationen hochladen«, sagt Treskunow. Doch für die Umsetzung dieser Ideen fehlen Zeit und Geld.
Seit Mitte Juli kann man Grabpflege-Services direkt auf der Website buchen. Das Angebot reicht vom Grünschnitt über das Anstreichen der Grabbegrenzung bis hin zur Erneuerung der Buchstaben auf dem Grabstein. »Wir bieten diesen Service aus zwei Gründen: Erstens ist der Friedhof in einem bedauernswerten Zustand. Und zweitens erhalten wir auch immer wieder Anfragen von Angehörigen, die uns für die Grabpflege bezahlen wollen«, sagt Treskunow.
Ebenfalls seit Mitte Juli im Angebot: Besuch und Gebet eines Rabbiners am Grab des Verwandten. MP3-Hörbeispiele des Kaddischs in sefardischer und askenasischer Version stehen schon jetzt bereit und sollen offenbar die Auswahl der Dienstleistung erleichtern. Aus Sicherheitsgründen gibt es zunächst noch keine Online-Bezahlung; der Auftraggeber muss seine Rechnung ausdrucken und am Bankschalter begleichen.
Auch wenn das St. Petersburger Projekt im Internet nicht so einmalig ist, wie Treskunow glaubt, ist es für Russland doch eine Neuerung. Und im Unterschied zu tatsächlich bestehenden, kommerziellen Websites, auf denen man neben dem Beerdigungskranz auch gleich noch T-Shirts und Design-Urnen bestellen kann, scheint www.jekl.ru für die User einen eher ideellen Wert zu haben. Stellvertretend für zahlreiche ähnlich klingende Dankes-Mails, die nach dem Start der Website bei der St. Petersburger Gemeinde eingingen, zitiert Treskunow den Text von Olga und Samuel W.: »Vielen Dank für das, was sie machen. Das ist sehr wichtig für die nachfolgenden Generationen, die nicht immer die Möglichkeit haben, die Gräber ihrer Vorfahren zu besuchen.« Christian Jahn
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