Chanukka

Glauben zeigen

von Detlef David Kauschke

Als ich kürzlich mit meiner Tochter beim Einkauf war, entdeckte sie zwischen den vielen Weihnachtskarten auch ein paar Glückwunschkarten zu Chanukka. Zugegeben: Die sahen ein bißchen kitschig aus. Außerdem wäre es jetzt auch zu spät, sie noch loszuschicken. Aber »Happy Chanukka« im Schreibwarenladen bei uns an der Ecke? Meine Tochter war erfreut. Und ein bißchen stolz. Stolz, jüdisch zu sein.
Das paßt zu Chanukka. Schließlich wird mit diesem Fest ein Sieg gefeiert – der Sieg der Makkabäer über die Hellenisten, der Sieg des jüdischen Glaubens über die griechisch-syrische Kultur, der Sieg des Lichts über die Finsternis. Nicht umsonst wird das Fest gefeiert, wenn die Tage am kürzesten und die Nächte am längsten sind. Ob wir den Leuchter der Halacha zufolge nun ins Fenster stellen oder links vor den Hauseingang, oder wie es im Talmud heißt, auf die Straße: Das Licht soll nach außen strahlen.
Chanukka ist kein biblisches Fest. Dennoch ist es das einzige im jüdischen Kalender, das öffentlich begangen werden soll. Pessach, Schawuot oder Purim können zu Hause gefeiert werden, im Verborgenen sozusagen. Das Wunder von Chanukka hingegen soll publikgemacht werden. Nicht das Wunder des Auszugs aus Ägypten. Nicht die Übergabe der Tora am Sinai. Nicht die Errettung vor der Vernichtung durch die Perser. Nein, das Wunder von Chanukka. (vgl. S. 15)
Inzwischen gibt es die etwas modernere Tradition des öffentlichen Lichterzündens mitten in der Stadt nicht mehr nur in Jerusalem, New York oder Paris, sondern auch in Berlin, Dresden oder Frankfurt am Main. Und dort ist zu erleben, wie Juden beisammenstehen, draußen, auf öffentlichen Plätzen, mitten im weihnachtlichen Trubel. Sie sagen gemeinsam die Brachot, die Segenssprüche. Sie singen Maoz Tzur und die anderen Chanukka-Lieder. Oder sie reden einfach nur miteinander und lassen sich die Pfannkuchen schmecken.
Juden stehen mitten in Deutschland in größeren Gruppen beieinander – das ist nichts Alltägliches. Ein oder zweimal im Jahr bei Gedenkveranstaltungen vielleicht. Das ist wichtig. Aber wichtig es ist auch, nicht nur die Erinnerung, sondern lebendigen jüdischen Glauben und jüdische Tradition zu zeigen. Mitten in Deutschland.
Das ist in diesem Land nach der Schoa nicht immer möglich, vielleicht auch nicht immer gewollt und schon gar nicht einfach. Man betet oft hinter verschlossenen Türen, trifft sich in gut gesicherten Gemeindezentren, feiert die Feste im kleinen Kreis. Viele Synagogen stehen auf dem Hinterhof. Es ist immer noch und schon wieder gefährlich, sich offen zu seinem Judentum zu bekennen. Um nicht auf dem Kurfürstendamm angepöbelt und geschlagen zu werden, verbergen Juden die Kippa unter einer Mütze oder meiden die Öffentlichkeit. Wenn eine jüdische Oberschülerin in Berlin-Kreuzberg von muslimischen Mitschülern bedroht wird und nur unter Polizeischutz zum Unterricht gehen kann, dann verläßt sie die Schule.
Aber ist Religion nicht ganz und gar Privatangelegenheit? Natürlich ist es jedem einzelnen überlassen, ob und zu welchem Glauben er sich bekennt. Religion setzt aber das Bekenntnis zur Gemeinschaft voraus. Ein offenes, ein öffentliches Bekenntnis. Beispiel München: Die neue Synagoge am Jakobsplatz ist groß, unübersehbar, mitten in der Stadt. Gut so. Das gilt auch für Chanukka. In Berlin wird der große Leuchter wieder am Brandenburger Tor stehen, im Zentrum? Warum nicht! Fünf Meter hoch? Na klar! Der Weihnachtsbaum am Brandenburger Tor ist auch stolze 22 Meter hoch.
Wer im Internet nach dem englischen Begriff »Jewish Pride« sucht, stößt auf zahlreiche Einträge. Unter anderem auf den eines Rabbiners aus Connecticut/USA. Er schreibt, daß es gerade zu Zeiten des stetig anwachsenden Antisemitismus viele Gründe gibt, als Jude stolz zu sein. Unter anderem, weil jüdische Erziehung nicht die Lehre des Hasses und des politischen Märtyrertums beinhaltet. Weil jüdische Gelehrte nicht dazu aufrufen, Andersgläubige zu töten. Weil Israel nach dem tragischen Tod von Zivilisten den Tod jedes einzelnen bedauert und nicht mit Bonbons und Gewehrsalven feiert. Und er ist stolz, so schreibt er, Jude zu sein, weil Mel Gibson kein Jude ist.
Wer den deutschen Begriff »jüdischer Stolz« in die Internet-Suchmaschine Google eingibt, erhält neun Einträge. Neun! Sind wir uns so unsicher? Kein Grund. Wir sollten uns zeigen. Und das, was uns wichtig ist. Nicht nur zu Chanukka.

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