Rundgang

Ganz offen mittendrin

von Vera von Wolffersdorff

Noch darf kaum jemand hinein. Von außen sieht man den immensen Quader der neuen Hauptsynagoge schon größtenteils in den Himmel aufragen. Doch der Blick aufs Ganze ist noch verstellt. Dort, wo der hölzerne Bauzaun Lücken läßt, erkennt man Zementmischtürme, gelbe Dämmplatten, Rohre, Holzpaletten – und reihenweise Baucontainer. Auch die Steinplatten, die die Fassaden der drei Gebäude des neuen Jüdischen Zentrums mitten in München zieren werden, sind noch nicht alle montiert. Vereinzelt lehnen sie hoch oben auf den Baugerüsten der Synagoge, des Jüdischen Museums und des Gemeindehauses.
Geht man durch das Drehkreuz an dem Container vorbei, in dem zwei Pförtner, von der Hitze ermattet, sitzen und den Eingang zur Baustelle überwachen, nimmt man schon mehr wahr. Eindrucksvoll groß sind die Gebäude: 33 Meter lang und 22 Meter breit die Synagoge, das Gemeindehaus ersteckt sich sogar über 65 auf 41 Meter. Jehoshua Chmiel, Vize-Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde München, der die Besucher durch die Baustelle führt, erklärt gleich eine bauliche Finesse: »Die Fassaden aller drei Gebäude sind mit dem gleichen, hellen Travertin-Stein verkleidet, identisch sind sie aber nicht. Die Oberflächen unterscheiden sich in ihrer Struktur, die Platten stammen aus verschiedenen Gesteinsschichten.« So ist die Fassade der Synagoge stark konturiert, hat eine wellige Oberfläche und wirkt fast wie eine Skulptur. Die Außenhäute der anderen beiden Gebäude sehen sich zum Verwechseln ähnlich, doch der Stein des Gemeindehauses ist poröser, durchlässiger als der der glatteren Museumsfassade. Genau hinschauen lohnt also.
Der Weg in die neue Synagoge führt schräg über den Sankt-Jakobs-Platz. In dessen Mitte liegt der Eingang zum Gotteshaus. Am 9. November soll feierliche Eröffnung sein, mit viel Prominenz. Innen wirkt der Raum der Synagoge beeindruckend hell und großzügig. Von oben flutet Tageslicht herein. Zahllose Rauten aus bronzefarbenem Stahl türmen sich zwölf Meter hoch über dem rechteckigen Sockel des Baus. Sie sind mit Glas ummantelt. Der Sockel, im übertragenen Sinne das Fundament, ist acht Meter hoch. Ein leichtes Bronzegewebe wird das Rautennetz später nochmals überwölben. Der Blick auf den freien Himmel bleibt trotzdem erhalten. »Tempel« und »Zelt« sind die beiden Begriffe, denen die Architekten der Synagoge Gestalt verleihen wollten. Derzeit montieren Handwerker die Wandverkleidung und die Emporen aus Zedernholz im Innenraum. Auf den Bänken sollen später bis zu 600 Menschen Platz finden.
Das Saarbrücker Architekturbüro Wandel Hoefer Lorch hat das neue Zentrum geplant. Synagoge und Gemeindehaus errichtet die Israelitische Kultusgemeinde München, das Jüdische Museum ist Sache der Stadt. Architektonisch ist der Museumsbau spiegelverkehrt zur Synagoge konzipiert: Oben eine geschlossene Steinfassade, der untere Teil mit Foyer, Buchladen und Café wird verglast.
»Offen für alle soll das Jüdische Zentrum sein«, betont Chmiel. Er wünscht sich einen lebendigen Ort städtischen Lebens in der Altstadt, an dem jeder willkommen ist. Die Lage ist dafür wie geschaffen, zentraler geht es nicht. Nur ein paar Schritte sind es zum altehrwürdigen Viktualienmarkt und der neu gestalteten Schrannenhalle. So groß und wuchtig die drei Gebäude auf den ersten Blick aussehen, es soll viel Platz drumherum bleiben. Lediglich ein Drittel des gesamten Grundstücks ist bebaut. »Von innen nach außen leben«, so beschreibt Chmiel seine Vision von der künftigen Nutzung des Jakobsplatzes. Bäume, ein Brunnen und ein Kinderspielplatz sollen dazu einladen, Zeit unter freiem Himmel zu verbringen. In der Hauptsynagoge führen ein paar Stufen in den unterirdischen Verbindungsgang zum Gemeindehaus. An der einen Wand des Ganges sollen die Namen der circa 4.500 von den Nationalsozialisten ermordeten Münchner Juden stehen. Auf indirekt beleuchtetem Glas. Ihnen gegenüber werden auf einer Betonwand kurze Texte auf historische Ereignisse, die für das Leben der jüdischen Bevölkerung von entscheidender Bedeutung waren, hinweisen. »Geschichtspunkte« nennt Chmiel die geplante Leiste zwischen Gemeindehaus und Synagoge. »Das soll auch räumlich darstellen, daß wir wissen, woher wir kommen, wer wir sind und wohin wir gehen«, fügt er hinzu. In das Gemeindehaus werden eine Ganztagsschule, ein Kindergarten, ein Jugend- und Kulturzentrum, die komplette Verwaltung der jüdischen Gemeinde, sowie ein koscheres Restaurant einziehen. Die Schule, eine staatlich anerkannte Privatschule, und der Kindergarten nehmen auch nicht-jüdische Kinder auf. Im Untergeschoß des Gemeindehauses stößt man auf den Rohbau einer Turnhalle, die für Schul- und Vereinssport gleichermaßen geeignet ist. Auch Wettkämpfe, beispielsweise im Basket- oder Handball, könnten hier stattfinden, Duschen und Umkleideräume befinden sich gleich nebenan.
Einige Treppen höher, im Erdgeschoß, wird gerade der große Veranstaltungssaal mit Platz für 700 Menschen fertiggestellt. Das Parkett im Saal wird demnächst verlegt, ins Foyer kommt ein Steinboden. Ein idealer Ort für Konzerte und Theateraufführungen, auch eine Leinwand für Filmvorführungen gibt es. Wofür der Saal hauptsächlich genutzt werden wird, muß sich erst herausstellen. In der Münchner Altstadt jedenfalls wird er von nun an der größte Veranstaltungssaal dieser Art sein.
Über Staub und Putzreste auf Treppenstufen, vorbei an Kabelsträngen, die noch aus der Wand hängen, geht es eine Etage nach oben, dorthin, wo der Kindergarten eingerichtet werden wird. Platz zum Spielen gibt es dort reichlich: Auf mehr als 1.000 Quadratmeter begrüntem Innenhof können Kinder herumtoben. An einer Seite ist der Hof überdacht, zum Platz hin ist er geschlossen, Fenster durchbrechen die Fassade. Hier, unter dem Dach, kann man sich auch draußen aufhalten, wenn es regnet. Doch den schönsten Panorama-Blick auf die Stadt und ihre Wahrzeichen hat man von der obersten Terrasse aus, dort, wo Vorstand und Verwaltung des Jüdischen Zentrums ihre Büros beziehen werden: Ganz links die beiden Türme der Frauenkirche, dann der des Münchner Rathauses, die Kirche St. Peter und die Heiliggeistkirche. Für die meisten läßt diese imposante Aussicht noch auf sich warten. Endgültig fertig soll das Gemeindehaus im Frühsommer 2007 sein.
Trotz des langen, kalten Winters in diesem Jahr liegen die Bauarbeiten im Zeitplan. »Die Hand Gottes liegt über dem Bau«, meint Chmiel. Etwa 400 Leute arbeiten auf der Baustelle. »Die Stimmung ist hervorragend, als ob jeder spürt, daß seine Arbeit hier etwas ganz Besonderes ist.
Es geht eben nicht um ein Bauprojekt unter vielen. Alle, die hier mitarbeiten, wissen, daß es vermutlich die einzige Synagoge ist, die sie in ihrem Leben bauen werden – »und nicht nur ein weiteres Hochhaus«, beschreibt Chmiel die Motivation aller Beteiligten. Beinahe noch erstaunlicher als die Einhaltung des Zeitplans: Die kalkulierten Baukosten von 57 Millionen Euro werden wohl exakt eingehalten. »Das kann fast niemand glauben«, sagt Chmiel mit einem Grinsen. »Normalerweise verschlingt so ein Millionenprojekt immer mehr als anfangs gedacht. Hier nicht.« Der Grund dafür? Chmiel zuckt mit den Schultern. Er weiß es nicht, es gibt keine schlüssige Erklärung. »Das Projekt steht unter einem guten Geist.« Und wurde offenbar hervorragend geplant und kalkuliert.
Der gute Geist soll weiterhin zu spüren sein. »Auf dem Platz werden keine Einsatzkräfte der Polizei stehen«, erklärt Chmiel. Bewußt verzichtet man auf dieses Zeichen besonderer Schutzbedürftigkeit. Dennoch gibt es ein Sicherheitskonzept, ein System aus elektronischer Überwachung und unterirdischer Verbindungsgänge – für den Notfall. »Im Inneren der Gebäude steht jeder, der zu uns kommt, unter unserem Schutz«, sagt Chmiel. Doch von außen soll es keine Trennung, keine symbolischen Grenzen zwischen Bewachern und Bewachten geben.
Knapp sechzig Jahre nach der Zerstörung der Synagoge an der Herzog-Max-Straße kehrt ein Stück öffentlichen jüdischen Lebens für alle in die Münchner Stadtmitte zurück.

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