Seminar

Eine Frage der Motivation

von Christina Schaffrath

Mit Speck fängt man Mäuse. Josef Schuster schmunzelt bei der Eröffnung der Tagung »Jugendarbeit in jüdischen Gemeinden« in Köln. Seit 30 Jahren beschäftigt sich der Jugenddezernent des Zentralrats der Juden in Deutschland mit diesem Thema. Er weiß, man muß sich auch mal über starre Regeln hinwegsetzen, um Jugendliche für die jüdische Gemeinde zu gewinnen. Jugendarbeit, ein wichtiges Thema für ihren Fortbestand in Deutschland. Sie zu koordinieren und die verschiedenen Verantwortlichen für Jugendarbeit miteinander bekannt zu machen, war die Aufgabe der viertägigen Tagung am vergangenen Wochenende in Köln. Die mehr als 50 Teilnehmer kamen aus der ganzen Bundesrepublik und stellten sich den drängenden Fragen: Was ist zu tun, damit mehr Jugendliche in die Gemeinden kommen? Und welche Probleme gibt es vor Ort?
In den Gemeinden ist die Situation sehr unterschiedlich. Nava Fallscheer-Bosch ist in Karlsruhe für die Jugendarbeit zuständig. Von 800 Mitgliedern gehen nur etwa 15 Kinder und Jugendliche ins Jugendzentrum. Für die Kleinen gibt es einen Mal- und Bastelkurs, zu dem sie gerne kommen. Die Älteren zu motivieren, ist schon schwieriger. Was tun? Auf Vorschlag eines Gemeindemitglieds initiierte Nava Fallscheer-Bosch einen Frauentreff. Hier kommen Frauen zusammen, um zu reden, nicht in erster Linie über religiöse Themen, sondern über Dinge des Alltags. Aber: Sie bringen ihre Kinder mit. Und die gehen ins Jugendzentrum. Ein Schritt, von dem sie profitieren. Denn Nava Fallscheer-Bosch hat die Erfahrung gemacht, daß Jugendliche Halt suchen und mehr über ihre jüdische Religion und Identität wissen wollen. »Die Kinder sind wie ein Schwamm; sie sollen so viel aufsaugen können, wie sie wollen.« Doch dazu müssen sie erst einmal den Weg in die Gemeinde finden.
Ein paar Kilometer weiter südlich, im badischen Emmendingen, sieht die Situation anders aus. Viktoria Marjanowskaja leitet hier die Jugendarbeit. Sie ist Madricha und gerade 18 Jahre alt. Jeden Freitag und Sonntag kommen 20 Kinder zu ihr ins Jugendzentrum – bei einer Gemeindegröße von 290 Mitgliedern. Sie feiern Schabbat, bereiten die Feiertage vor, beschäftigen sich mit jüdischer Geschichte. Am Sonntag können sie malen oder Karate üben. Doch Viktoria Marjanowskaja hat auch Sorgen: Seit Anfang des Jahres gibt es im Landesverband Baden keinen Jugendreferenten mehr, ein wichtiger Ansprechpartner fehlt. Und Marjanowskaja sorgt sich trotz des guten Zuspruchs um die Zukunft. »Wer soll meine Arbeit einmal weiterführen, wenn ich mit der Schule fertig bin?« Denn die möglichen Nachfolger sind alle noch zu jung.
Mehr als zwei Drittel der Emmendinger Gemeindemitglieder kommen aus der ehemaligen UdSSR – eine Situation, die sich in vielen Gemeinden wiederfindet. Und die sich besonders bei den Jugendlichen bemerkbar macht. Dana Lehrer, 21 Jahre alt, ist Jugendleiterin in Duisburg und die einzige Alteingesessene unter den Jugendlichen. Die Sprache ist in der jungen Generation kein Problem, die zugewanderten Jugendlichen sprechen alle Deutsch. Schwie- riger ist es, geeignete Madrichim zu finden. Denn viele der Jugendlichen kennen die jüdische Religion nicht von zu Hause. Gebete, Bräuche, Feiertage – das alles müssen sie erst lernen. Das Jugendzentrum ist ein wichtiger Raum, um gelebtes Judentum kennenzulernen, und zwar in der Praxis durch das Freizeitangebot.
»Religion ist nicht irgend etwas, das man nur in der Synagoge macht«, findet Susanne Benizri von der Hochschule für Jüdische Studien. Doch die Jugendlichen dauerhaft zu gewinnen und ihnen den Glauben zu vermitteln, ist keine leichte Aufgabe. Gerade die 15- bis 18jährigen unternehmen in ihrer Freizeit lieber andere Dinge. Wieviel Religion braucht ein Jugendzentrum? Und wie kann man den Jugendlichen Anreize geben, ins Jugendzentrum zu kommen? Die Diskussion zwischen den Jugendarbeitern ist eröffnet, konkrete Antworten und Pläne müssen sich erst noch entwickeln.
Um die zukünftigen Träger der Gemeinden für sich zu gewinnen, muß auch ein Konflikt innerhalb der jüdischen Gemeinschaft überwunden werden. Seit 16 Jahren treffen hier die Zugewanderten aus der ehemaligen Sowjetunion auf die alteingesessenen Juden in Deutschland. »Wenn wir das nicht ölen, werden wir keine Gemeinsamkeiten finden«, sagt Deni Kranz, Jugendreferent der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWSt). Er will den Gegensatz überwinden. Denn um Jugendliche für eine Gemeinschaft zu gewinnen, müssen sie sich auch mit ihr identifizieren können. Dazu braucht es Offenheit von beiden Seiten. Und ein gemein- sames Konzept jüdischer Erziehung, das keinen ausgrenzt.
Jugendarbeit beruht stark auf persönlichem Engagement, wie beispielsweise in Dresden. Vor vier Jahren gab es hier noch kein Jugendzentrum. Katja Novominska aus Kiew ergriff mit zwei Freunden die Initiative. Sie telefonierte mit Eltern, sprach Jugendliche direkt an, organisierte Treffen. Heute gibt es in Dresden ein Jugendzentrum, in dem sich sonntags bis zu 25 Jugendliche im Alter zwischen 13 und 18 Jahren treffen. Zusätzlich suchen die jungen Leute den Kontakt zu den Gemeinden der Region.
Deni Kranz bietet den Jugendleitern für ihre Arbeit Unterstützung an: Referenten der Zentralwohlfahrtsstelle können für Vorträge in die Jugendzentren kommen, es gibt Gelder für konkrete Projekte, und auch das Internet soll mehr genutzt werden. Inzwischen gibt es dort eine Seite für die Jugendarbeit der ZWSt, auf der sich zum Beispiel eine Projektbörse findet. Kranz wünscht sich eine verstärkte Zu-sammenarbeit zwischen den Gemeinden. Die Tagung sei ein erster Schritt dazu. Schon bald will man sich wieder treffen, um die Ansätze zu konkretisieren und zu vertiefen. Doch Deni Kranz weiß: »Die beste Jugendarbeit kommt von Herzen.« Und vielleicht ist diese Einstellung der wertvollste Speck.

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