Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald S. Lauder, hat kritisiert, dass es nach wie vor in fast allen europäischen Staaten Kunstwerke gibt, die in der NS-Zeit Juden gestohlen und noch nicht an die rechtmäßigen Besitzer rückübereignet wurden. Lauder forderte in Berlin bei der Eröffnung einer internationalen Tagung über Provenienzforschung und den Umgang mit NS-Raubkunst vollkommene Transparenz der Sammlungen von Museen und öffentlichen Archiven durch Digitalisierung der Bestände. Die dreitägige Konferenz steht unter dem Motto »20 Jahre Washingtoner Prinzipien: Wege in die Zukunft«.
Im Interview mit der Jüdischen Allgemeinen sagte Lauder zudem: »Deutsche Museen und Sammlungen haben in den vergangenen 20 Jahren viel zu wenig getan. Es scheint fast so, als wären viele immer noch geneigt, alles zu tun, um gestohlene Kunstwerke um jeden Preis in ihren Sammlungen zu halten und so die Aufarbeitung der Verbrechen des Nazi-Regimes zu verhindern. Es gibt keinen Grund mehr, dieses unverantwortliche Verhalten fortzusetzen.«
LIMBACH-KOMMISSION Scharfe Kritik übte Lauder auch an der sogenannten Limbach-Kommission. »Ich denke, die Tatsache, dass die Limbach-Kommission in 15 Jahren nur 15 Fälle bearbeitet hat, spricht für sich selbst – das ist beschämend. Die von Grütters vor zwei Jahren eingeleiteten Reformen waren ein guter erster Schritt, aber ich habe immer gesagt, dass die damals ergriffenen Maßnahmen nicht ausreichen.«
»Deutsche Museen und Sammlungen haben in den vergangenen 20 Jahren viel zu wenig getan«, sagte Lauder.
Bezüglich der jüngst angekündigten Reformen der Limbach-Kommission durch die Bundesregierung betonte Lauder: »Leider haben wir schon früher vielversprechende Ankündigungen gehört. Ich werde erst zufrieden sein, wenn die Reformen auch wirklich umgesetzt worden sind.«
Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) bekräftigte auf der Tagung den Willen der Bundesregierung zur Aufarbeitung und Rückgabe von NS-Raubgut. Es seien weiter erhebliche Anstrengungen nötig, »um die Aufarbeitung des NS-Kunstraubs voranzutreiben«, sagte Grütters.
PRINZIPIEN Die 1998 vereinbarten Prinzipien hätten weltweit Maßstäbe für »gerechte und faire Lösungen« gesetzt, sagte Grütters. Dies sei eine Verpflichtung gegenüber den Opfern der NS-Terrorherrschaft und deren Nachfahren. Schätzungen zufolge haben die Nazis zwischen 1933 und 1945 mindestens 600.000 Kunstwerke geraubt, die Hälfte davon allein in Osteuropa. Mehrere Zehntausend befinden sich noch immer in öffentlichen Sammlungen oder in Privatbesitz.
Grütters unterzeichnete zum Auftakt der Konferenz gemeinsam mit dem Sonderbotschafter des US-Außenministeriums für Holocaust-Fragen, Stuart Eizenstat, eine Erklärung, in der sich beide Staaten zur weiteren Umsetzung der »Washingtoner Prinzipien« bekennen. Zugleich werden darin die bisherigen Fortschritte in Deutschland anerkannt.
Das 1998 in der US-Hauptstadt verhandelte Abkommen war seinerzeit von rund 40 Staaten und von jüdischen Organisationen unterzeichnet worden, ist aber völkerrechtlich nicht bindend.
RÜCKGABEN Grütters betonte, Deutschland habe die Rahmenbedingungen für die Erforschung und Rückgabe von NS-Raubkunst seitdem stetig verbessert. Dabei verwies sie unter anderem auf die steigende Zahl von Rückgaben und den Ausbau der Provenienzforschung. Seit der Verabschiedung 1998 sind demnach bis September dieses Jahres mehr als 5750 Kulturgüter an die rechtmäßigen Eigentümer oder deren Erben zurückgegeben worden. Hinzu kamen mehr als 11.670 Bücher und anderes Bibliotheksgut. Von 2008 bis 2017 habe der Bund rund 31 Millionen Euro für Provenienzrecherche zur Verfügung gestellt. Für 2018 und 2019 seien rund 17 Millionen Euro vorgesehen.
Grütters verwies auch auf die Gründung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste 2015 in Magdeburg als entscheidenden Schritt für die Provenienzforschung. Hinzu gekommen seien einschlägige Professuren an deutschen Hochschulen und spezifische Datenbanken.
Die 1998 vereinbarten Washingtoner Prinzipien hätten Maßstäbe für »gerechte und faire Lösungen« gesetzt, sagte Grütters.
Geplant ist außerdem eine zentrale Anlaufstelle, ein sogenanntes Help Desk, für Opfer des NS-Regimes. Auch die einseitige Anrufung der »Beratenden Kommission« solle bei Streitfällen mit Einrichtungen, die Bundesgelder erhalten, erleichtert werden. Zudem soll die Erbensuche finanziell unterstützt werden.
DIGITALISIERUNG In der gemeinsamen Erklärung wird unter anderem die weitere Digitalisierung der Bestände in öffentlichen Museen, Bibliotheken und Archiven als nützliches Werkzeug beschrieben. Zudem soll die Prüfung der Bestände in deutschen Einrichtungen beschleunigt werden. Grütters rief private Kunstbesitzer, Sammler und Auktionshäuser auf, die Herkunft ihrer Kunstwerke zu erforschen.
Die historische und moralische Verantwortung für die Aufarbeitung des NS-Kunstraubes liege nicht allein beim Staat, sagte Grütters. Eizenstat ergänzte, Provenienzforschung sei die Voraussetzung, um den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. epd/ja
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