Terroristen

Die Teheran-Connection

von Bruno Schirra

»Hast du getötet?«
»Ja«, sagt er.
»Hast du töten lassen?«
»Ja«, antwortet er.
»Hast du seit unserem letzten Treffen wieder töten lassen?« Er lächelt. »Ja«, sagt er. Ein Lächeln, das sich, so scheint es, in seinem Bubengesicht tatsächlich dann in Trauer verliert. »Ich weiß es nicht«, antwortet er fast schüchtern auf die Frage, für den Tod wievieler Menschen er in diesen letzten Jahren verantwortlich gewesen ist. Waren es fünf, zehn oder gar mehr? »Ich weiß es wirklich nicht. Ich zähle die Toten nicht.« Er klingt ratlos, so als könne er es sich selbst nicht so recht erklären, welche Ursachen es gewesen sind, die ihn diese Karriere haben einschlagen lassen. »Ich bin kein Killer«, sagt er. »Ich bin im Krieg. Also töte ich Menschen, so einfach ist das«, und dann, nach einer Pause, »und so schlimm.« Und wie er dies sagt, verliert seine Stimme jeden Ton, seine Augen jeden Ausdruck. Er sitzt auf dem Dach eines Hauses in Dschenin, blickt über die endlose Hügellandschaft im nördlichen Westjordanland, die so schön und ruhig und fast toskanisch scheint. »Dies hier ist mein Land«, sagt er versonnen, »die Israelis haben hier nichts verloren. Niemals.« Seine dunklen Augen blicken sanft. Er sagt »die Israelis«. Er sagt nicht »die Juden«, wie so viele andere hier, aber das macht die Sache auch nicht besser. Er hatte sich, so war mein Eindruck, gefreut, als wir uns in den ersten Märztagen des Jahres 2006 nach einem halben Jahr wiedergesehen hatten, was so selbstverständlich nicht war, denn er steht seit Jahren auf der israelischen Liste derer, die gezielt zu töten sind, sehr weit oben. (...)
Dem 29 Jahre alten Zakaria Mohammed Abd al Rahman Zubeidi ist die Unschuld abhanden gekommen, denn die Zeitläufte und unbedingte Treue zu seinem Führer, zu Yassir Arafat, haben ihn in den Krieg katapultiert. Er hat es weit gebracht, ist vom Gelegenheitsdieb zum Fußsoldaten und bis hin zum Strategen des Terrors hochgespült worden und zum Anführer von Yassir Arafats Al-Aqsa-Brigaden im Distrikt Dschenin und darüber hinaus zu einem der wichtigsten Kommandeure im Westjordanland aufgestiegen. Zubeidi genießt die Achtung, die Ehre, ja die Zuneigung der Menschen hier in Jenin, die ihm entgegenwogt. Aber dann passiert es bei diesem Gang durch die Straßen, daß er unversehens stehenbleibt. Das sind Momente, in denen er regungslos ins Nichts starrt und schweigt, als sinniere er seinem Leben hinterher. Wie verloren in sich selbst. Und in dem alten Mann, dem er bedingungslos gefolgt ist. Auch wenn der gegangen ist. »Ich lebe für Yassir Arafat«, sagt er dann mit entleerter Stimme. »Ich kämpfe für ihn. Der Rais und nur er ist mein Kommandeur. Auch, wenn er nun tot ist.« Er hat ihm vertraut wie sonst keinem. »Ich bin der einzige, der jemals Abu Ammar mit einer Pistole bewaffnet besuchen durfte.« Der Vater des Krieges – Abu Ammar. Das war der nom de guerre, der Kriegsname des Friedensnobelpreisträgers Yassir Arafat.
Es ist schon recht warm an diesem frühen Märztag, und Zubeidi hat zum Essen auf dem Dach eines Hauses eingeladen, sitzt nun entspannt auf seinem Stuhl und ist schwerbewaffnet. Mit Pistole und Handgranaten am Gürtel. Auf dem Schoß das M16-Sturmgewehr. Unten liegen in der Ecke eines Raumes drei Gürtel, acht und zwölf Kilogramm schwer. Für Selbstmord-Bomber, die er auf den Weg schicken wird. Irgendwann. Nach Israel. »Deine Leute töten Frauen, Männer, sie töten Kinder. Wie ist das für dich, wenn du jemanden zum Töten losschickst. Tun dir deine Opfer leid?« Er wartet. Gibt sich lange Zeit. »Ja«, sagt er dann, »aber es muß nun mal sein. Sie töten uns, also töten wir sie. So einfach ist das.« Der 29 Jahre alte Zakaria Zubeidi lehnt sich in seinem Stuhl zurück, trommelt mit den Fingerspitzen gedankenverloren auf der Pistole herum, die in seinem Schoß liegt, und wie er so über das Töten von Israelis spricht, liegt in seinem Bubengesicht dieses schüchterne, fast verlegene Lächeln. »Du bist ein Terrorist.« Zubeidi hört die Anklage, zuckt nur mit den Schultern. »Was du Terrorismus nennst, nenne ich Freiheitskampf.« Zakaria Zubeidi hat in den letzten drei Jahren Dutzende Terroranschläge innerhalb Israels organisiert und ist so zu einem Führer geworden, dessen Wort nicht nur in den karstigen Bergdörfern der Westbank gehört wird. Bei meinem letzten Besuch im Libanon im Sommer 2005 im palästinensischen Flüchtlingslager Ein al Hillweh, in der Nähe von Sidon, hatten sie voll Ehrfurcht über Zakaria Zubeidi gesprochen. Der Führer der PLO dort hatte nichts dagegen, daß ich dabei war, als er zusammen mit einem Kommandanten der schiitischen Hisbollah eine Telefonkonferenz mit Zubeidi in Jenin abhielt. Sie redeten über Strategien im Kampf gegen den Feind, darüber, daß die Schonfrist von Mahmud Abbas, dem Nachfolger von Yassir Arafat, nun endgültig vorbei sei und der Kampf im Sinne des verstorbenen Rais fortgeführt werden müsse. (...)
Zakaria Zubeidi hatte unser Treffen im März nach zwei Stunden beendet und mich durch das Flüchtlingslager zurück ins Zentrum der Stadt gebracht. Auf dem Weg dorthin skizzierte er seine Strategie für die nächsten Monate. Nachdem Hamas nun die palästinensische Regierung stellt, ist Zubeidi dabei, das Bündnis zwischen dem von Teheran finanzierten Palästinensischen Islamischen Dschihad und seinen Al-Aqsa-Brigaden noch enger zu schmieden. »Hamas«, erklärte Zubeidi, »wird in den nächsten Wochen und Monaten keine militärischen Operationen in Israel ausführen. Diesen Part werden wir, die Brigaden und der Dschihad, übernehmen.« Genau das befürchten israelische Sicherheitsexperten. Nach der katastrophalen Wahlniederlage, so deren Überlegung, werde die Fatah sich möglicherweise unter einer neuen, jungen Führung radikalisieren und versuchen, mit Anschlägen innerhalb Israels eine neue Legitimität bei dem palästinensischen Volk aufzubauen – unterstützt von Teheran. Wie groß der Einfluß Teherans mittlerweile geworden ist, gibt Zakaria Zubeidi ganz offen zu. Der junge Führer der Al-Aqsa-Brigaden im Westjordanland hat kein Pro- blem damit, die umfassende Unterstützung aus dem Libanon und dem Iran offen zu bestätigen. »Natürlich unterstützt der Iran uns, und wenn Europa das palästinensische Volk verrät, wird der Iran an Europas Stelle treten. Ohne die Hilfe unserer Brüder der Hisbollah könnten wir unseren Kampf längst nicht mehr weiterführen«, erklärt er. »Sie geben uns Geld und Waffen. Wir sprechen unsere militärischen Operationen gemeinsam ab. Die Israelis müssen mit Schmerz und Angst und Blut für die Besatzung meines Landes bezahlen. So lange, bis sie meinem Volk sein Recht und seine Freiheit wiedergeben.« Er schlendert unbefangen durch die Gassen des mit Geld aus den Vereinigten Arabischen Emiraten wiederaufgebauten Flüchtlingslagers, streichelt hier einem kleinen Mädchen übers Haar, tätschelt dort einem Buben die Wange, hört sich huldvoll die Klage eines Straßenhändlers an, nimmt die ehrfurchtsvollen Grüße von Passanten an. Da baut sich einer auf, bereit zum Sprung auf die Führungsebene der Fatah. Zakaria doziert: »Die alten Führer der Fatah hatten ihre Chance. Sie haben mit den Israelis geredet, geredet, geredet –und nichts erreicht. Die Israelis verstehen nur eine Sprache: die Sprache des Kampfes. Nur so kommt mein Volk zu seinem Recht. In diesem Kampf nehme ich jede Unterstützung an, egal, wer sie mir anbietet. Auch aus dem Iran«, meint er und hebt demonstrativ das funkelnagelneue M16-Sturmgewehr. (...)
Bis zum 11. September 2001 hat keine Terrorgruppe mehr amerikanische Bürger getötet als die libanesische Hisbollah. Die Hisbollah, »die Partei Gottes«, so die Bedeutung ihres Namens, wurde 1982 unmittelbar nach dem Einmarsch der israelischen Armee in den Libanon gegründet. Von Beginn an war sie der bewaffnete Arm Teherans, mit dem die Mullahs sowohl die USA als auch Israel treffen wollten. Instrukteure der iranischen Revolutionären Garden trainierten die schiitischen Kämpfer und rüsteten sie auf, und ihre Offiziere kontrollierten die Befehlsstruktur der libanesischen Hisbollah. Unter der Aufsicht des iranischen Botschafters in der syrischen Hauptstadt Damaskus, Ali Akbar Mohtashemi-Pour, stieg die Hisbollah binnen weniger Monate zu einer schlagkräftigen Kampfmiliz im libanesischen Bürgerkrieg auf. Mohtashemi-Pour, der während der Amtszeit des reformorientierten iranischen Staatspräsidenten Chatami zu einem der profiliertesten Reformer aufstieg, war während seiner Botschafterzeit in Syrien in den achtziger Jahren weitaus mehr Geheimdienstoffizier als Diplomat gewesen. Er orchestrierte Dutzende Entführungen westlicher Bürger im Libanon und war für mindestens dreißig Terroranschläge verantwortlich. Der Mann, der ihm dabei half, war Imad Mughniyah. Die Hisbollah wurde und wird bis heute mit monatlichen Zahlungen aus Teheran alimentiert und militärisch aufgerüstet. Die Waffenarsenale der Terrorgruppe sind prall gefüllt. Im Herbst 2004 bestätigte Scheikh Nasrallah, der Führer der Hisbollah, dass der Iran seiner Organisation mehr als 12.000 Raketen geliefert hat, mit denen der gesamte Norden Israels bis nach Haifa attackiert werden könne. Die schiitische Organisation ist nicht nur im Nahen und Mittleren Osten gut vernetzt. In Europa, in den USA, in Afrika wie in Lateinamerika hat sie ein globales Netzwerk aufgebaut. Sie kooperiert eng und global mit den sunnitischen Terrorgruppen. Was in Israel und im Westen Terror genannt wird, ist für die schiitischen Gotteskrieger legitimer Widerstand. Seit dem Amtsantritt von Mahmud Ahmadinedschad kam es in Teheran wie auch in Syrien, dem engsten Verbündeten des Irans, immer wieder zu Treffen zwischen den Führern verschiedener sunnitischer und schiitischer Terrorgruppen. Auch Mahmud Ahmadinedschad wohnte einigen Treffen bei. Aber schon vor dessen Wahl zum Staatspräsidenten war Teheran seit dem Beginn der zweiten Intifada im September 2000 wieder massiv auf der palästinensischen Bühne präsent. (...)
Wenn der Iran seine militärische Kooperation mit den diversen palästinensischen Terrorgruppen ausbaut und intensiviert, dann – so glaubt man in Jerusalem – droht eine dritte, noch blutigere Intifada, als es die Al-Aqsa-Intifada war. Allerdings sind sich israelische Strategen sicher, auch diesen erneuten Aufstand niederschlagen zu können. Trotz iranischer Unterstützung, trotz einer möglichen aktiven Beteiligung der von Teheran geführten Hisbollah. Israelische Politiker und Sicherheitsexperten treibt spätestens seit der sich immer schneller drehenden Eskalationsspirale im Streit um das iranische Atomprogramm die eine Sorge um: daß ein nuklear bewaffneter Iran, getrieben von dem Willen, Israel zu vernichten, die Endzeitvision seines neuen Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinejad in die Realität umsetzt. In Jerusalem weiß man sehr wohl, daß die theoretisch vorhandene Zweitschlagkapazität, die der jüdische Staat durch seine mindestens 250 Atomwaffen theoretisch ausüben kann, keine Sicherheit bietet. Der Einsatz eines einzigen nuklearen Gefechtskopfes gegen Israel würde nichts anderes als die Vernichtung des jüdischen Staates zur Folge haben. Das wäre dann der nukleare Holocaust.

Diesen Text (ein Auszug aus dem Kapitel »Israel. Der Traum von der Vernichtung«) entnahmen wir mit freundlicher Genehmi- gung des Econ-Verlags dem soeben erschienenen Buch von Bruno Schirra: »Iran. Sprengstoff für Europa« (334 Seiten, 18 Euro).

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