Kitas

Die lieben Kleinen

von Tobias Kühn

An die ersten anderthalb Jahre mit ihrem Sohn denkt Jas Patterson nicht gern zurück. Immer wenn Nik eingeschlafen war, setzte sich die Frankfurter Anwältin an ihren Schreibtisch. Anders ging es nicht. Nik war noch ein Baby, und sie betreute weiterhin einige Mandanten, denn ihre gut eingeführte Kanzlei wollte sie nicht aufgeben. »Es war sehr, sehr anstrengend«, sagt sie, »ich hatte einen 20-Stunden-Tag.«
Als Nik ein Jahr alt war, meldete Jas Patterson ihn im jüdischen Kindergarten am Röderbergweg an. Dort werden seit Mitte 2000 Kinder schon ab anderthalb Jahren betreut. Was als Modellprojekt anfing und im ersten Jahr von der Frankfurter Fachhochschule wissenschaftlich begleitet wurde, hat sich inzwischen etabliert. Heute sind zehn der 43 Kinder jünger als drei. »Vor allem die Nachfrage nach Plätzen für diese jungen Kinder wird immer größer«, sagt Kindergartenleiterin Shira Malloy. Ihre Warteliste ist lang: Im Sommer werden sieben Plätze frei, 30 Eltern sind daran interessiert. Jüdische Kinder würden zwar bevorzugt, sagt Malloy, aber in diesem Jahr könne sie noch nicht einmal die alle aufnehmen.
Auch in Köln ist die Nachfrage größer als das Angebot. Seit sechs Jahren betreibt eine private Elterninitiative in den Räumen der Synagogengemeinde eine Kinderkrippe: »Die Roonis«, benannt nach der Adresse des Gemeindehauses in der Roonstraße. Eine Erzieherin und eine Kinderpflegerin betreuen hier acht Kinder im Alter zwischen eins und drei. Die Krippe ist offen für jüdische und nichtjüdische Kinder. Auch bei den »Roonis« gibt es eine Warteliste, Gemeindemitglieder werden bevorzugt. »Juden, die nicht zur Gemeinde ge- hören, bekommen keinen Platz«, hebt Eran Blajchman, der Vorsitzende der Elterninitiative, hervor. »Denn wir sehen nicht ein, dass jemand, der keine Kultussteuer bezahlen will, an unseren Gemeindeangeboten partizipiert.«
Noch haben »Die Roonis« keine staatliche Anerkennung. »Offiziell sind wir ein Eltern-Kind-Kreis«, sagt Blajchman. Er bekomme keine staatlichen oder städtischen Zuschüsse. Die Gemeinde stellt die Räume zur Verfügung, der Verein erhebt Elternbeiträge: pro Kind 350 Euro monatlich, wenn die Eltern der Gemeinde angehören, 450 Euro für Nichtgemeindemitglieder. Das Mittagessen bereiten die Erzieherinnen in der koscheren Gemeindeküche selbst zu. Doch man sei in Verhandlungen mit einem koscheren Restaurant, sagt Blajchman. »Wenn die Zusammenarbeit eines Tages steht und das Restaurant den Kindergarten mit Essen beliefert, dann können wir beim Jugendamt die staatliche Anerkennung beantragen.« Vergrößern wolle man die »Roonis« aber nicht, sagt Blajchman, denn der Platz im Gemeindezentrum sei beschränkt.
Ausgelastet ist auch der jüdische Kindergarten in Dortmund. Seit einigen Monaten verhandelt die Gemeinde mit dem Jugendamt der Stadt über Betreuungsplätze für jüngere Kinder. Man möchte die Kita, in der Kinder ab drei Jahren betreut werden, um einige Plätze für Säuglinge ab vier Monaten erweitern. Doch dafür muss angebaut werden, und das kostet Geld. Eine Keimzelle des erweiterten Kindergartens gibt es bereits: Zweimal in der Woche treffen sich in der Sporthalle des Kindergartens zwei Krabbelgruppen: mittwochs die Ein- bis Dreijährigen und freitags die ganz Kleinen unter einem Jahr. Immer ist auch ein Elternteil dabei. Bis auf einen kleinen Jungen, der von seinem Vater begleitet wird, sind es Mütter, die kommen. Etliche Eltern in diesen Krabbelgruppen hätten Interesse daran, ihre Kinder schon vor dem dritten Lebensjahr in der Gemeinde-Kita betreuen zu lassen, sagt Rabbiner Avichai Apel. Er selbst gehöre dazu. Seine kleine Tochter ist vor wenigen Tagen eins geworden. »Die Nachfrage ist groß«, bestätigt Kindergartenleiterin Monika Röse, die seit einiger Zeit in ihre Warteliste auch Anmel- dungen für Kinder unter zwei aufnimmt. »Vor allem die Zuwanderer sind daran interessiert, denn sie können die Sprachkurse nur dann besuchen, wenn sie ihre Kinder in dieser Zeit betreuen lassen.«
Doch es gibt in Deutschland auch Orte, an denen gerade Zuwanderer ihre Kinder nicht in eine Krippe geben möchten. »Die Nachfrage nach Plätzen für Kinder unter drei ist gleich null«, sagt Rabbiner Shneur Havlin, dessen Organisation Chabad Lubawitsch in Dresden einen Kindergarten betreibt. »Unsere Eltern können sich das nicht leisten«, erklärt er. In Sachsen erhalten Eltern, bis ihre Kinder drei Jahre alt sind, einkommensabhängiges Erziehungsgeld von bis zu 300 Euro im Monat. »Fast alle unsere Kinder kommen aus Zuwandererfamilien«, sagt Havlin, »die sind auf dieses Geld angewiesen. Wenn sie ihre Kinder in die Krippe geben, bekommen sie das Geld nicht mehr.«
In manchen jüdischen Gemeinden, wie in Bremen, stellt sich die Frage, das Betreuungsangebot auch auf die ganz Kleinen auszuweiten, schlichtweg aus demografischen Gründen nicht. »Unsere Gemeinde ist überaltert«, sagt Marina Cornea, Leiterin des Kindergartens der Jüdischen Gemeinde Bremen. »Pro Jahr werden bei uns im Durchschnitt zwei Kinder geboren, da braucht man keine eigene Krippe.« Cornea, die in Teilzeit als Sozialpädagogin in der Gemeinde arbeitet, ist selbst Mutter eines anderthalbjährigen Sohnes. »Ich habe für mich entschieden, dass er zu Hause bleibt, bis er drei ist«, sagt sie. »Wenn ich arbeiten gehe, passt mein Vater auf ihn auf.« Sollten jedoch eines Tages fünf bis sechs Eltern aus der Gemeinde an einer Kinderkrippe interessiert sein, dann könne man sich durchaus vorstellen, darüber nachzudenken, sagt Cornea.

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