Yakov Alperon

Die Kriminellen lassen bitten

von Sabine Brandes

Es war das Medienereignis des Jahres. Ein Popstar muss gestorben sein oder zumindest ein echter Philanthrop. Hätte man zu-
mindest meinen können, wenn man den Fernseher einschaltete. Oder das Radio. Oder eine Tageszeitung aufschlug. Tränenüberströmte Menschen, zerrissene Hemdkragen, Wehklagen am offenen Grab. Was war geschehen? Als Yakov Alperon in seinem Wagen durch Tel Aviv fuhr, explodierte eine Bombe und tötete ihn sofort. Alperon jedoch war alles andere als ein Menschenfreund. Er war der einfluss-
reichste Gangsterboss des Landes mit ei-
ner Liste von Vorstrafen so lang, dass sie für hundert Leben zu viel gewesen wären.
Der 54-Jährige ist einer von Dutzenden Kriminellen, die in den vergangenen drei Jahren von ihren Gangster-Gegnern ins Jenseits befördert wurden. Seine Feinde wa-
ren zahlreich, darunter Drogenbaron Zeev Rosenstein, die Abutbul- und Abergil-Familien. Es war der siebte oder achte Tötungsversuch, genau weiß das niemand mehr. Der Tel Aviver Polizeichef Ilan Franco er-
klärte auf einer Pressekonferenz hastig, dass diese Ermordung eine »echte High-Profile-Hinrichtung« gewesen sei und man wisse, was nun auf einen zukomme. Welche Konsequenzen genau zu befürchten seien, erläuterte Franco nicht. Die Polizei schweigt. Dafür sprechen die Erpresser, Mörder, Betrüger oder Gewalttäter selbst mit den Journalisten, die sie höchstpersönlich zur Audienz laden. »Natürlich sei es nur eine Frage der Zeit, bis es Rache geben wird«, meinte Alperons Bruder Nissim, selbst Topverbrecher von Beruf, ohne mit der Wimper zu zucken.
Auch andere äußerten sich mehr oder weniger charmant zu den Geschehnissen der Zukunft. Sohn Omer ballte während der Beerdigung die Hand zur Faust und drohte, dass man dem Täter die Arme ab-
schneiden werde. Und den Kopf natürlich.
Überhaupt war die Beisetzung ein Stelldichein der Unterwelt Israels – zumindest der Seite, die wohl nicht an der Tötung be-
teiligt war. Hunderte von Menschen ka-
men mit Limousinen und Geländewagen der Luxusklasse, ihre dunklen Designersonnenbrillen wichtigstes Utensil. Dutzende Motorräder und Mopeds veranstalteten ein Hupkonzert, während sich der Mob in Raanana vom Trauerhaus zum Friedhof bewegte. Beschützt von der heimischen Po-
lizei. Immerhin war Yakov Alperon Kopf eines umfassenden Verbrechernetzwerkes.
Besonders schmerzverzerrt sah neben der wasserstoffblondierten Witwe Ahuva seine Schwester Schoschana aus. Von Kopf bis Fuß bedeckt erweckte sie den Eindruck einer gottesfürchtigen Frau, vor einigen Jahren soll sie strengreligiös ge-
worden sein. Das hielt das einstige Oberhaupt der Familie nicht davon ab, den Kindern des Täters dasselbe Schicksal zu wünschen wie ihrem Bruder. »Wir sind keine Loser und wissen Dinge, die die Polizei nicht weiß.«
Einige von Alperons sieben Kindern sind bereits in seine Fußstapfen getreten. Zwei seiner Söhne sitzen seit Wochen we-
gen Erpressung, Nötigung und diverser an-
derer Delikte in Untersuchungshaft. Bei der Beerdigung des Vaters aber durften sie da-
bei sein und Flüche ausstoßen, eskortiert von mehreren Polizisten. Tochter Kim verabschiedete sich tränenerstickt vom Papa, wie sie ihn gekannt habe, immer hilfsbereit, immer lächelnd. Nicht so, wie ihn die Medien verzerrt hätten. »Er hat nie eine Schulaufführung verpasst.«
Alperon war in der israelischen Gesellschaft tatsächlich mehr als bloßer Krimineller. In den letzten Jahren war er so etwas wie eine kulturelle Ikone geworden, trat in zahllosen Fernsehinterviews auf und ließ seine direkte Familie in einer Reality-TV-Show mitspielen. Immer für ein paar Lacher gut. Gegen die Alperons wirken die Osborns aus L.A. mit ihrem schrägen Alltag nur noch wie die Wiener Sängerknaben.
Die Tel Aviver Psychologin Tal Gatt hat die Geschehnisse der letzten Tage genau verfolgt. Geschockt ist sie nicht, verwundert schon. »Es ist bizarr, in welcher Weise ein verurteilter Krimineller zu einer Art Superstar gehypt wird.« Einen Großteil hätten die Medien dazu beigetragen, die den Kriminellen-Clans verstärkt ein Fo-
rum gegeben hätten, meint sie. »Wer be-
kommt schon zig Zeitungsseiten und di-
verse Interviews zur besten Sendezeit, einfach weil er es will?« Die Polizei sei oft auch nicht besonders hilfreich mit unendlich verzögerten Untersuchungen. Gatt ist zudem überzeugt, dass die Öffentlichkeit diese Verbrecher sehen will. »Viele meinen, es seien doch nette Menschen, weil sie vor der Kamera so freundlich und witzig seien und vergessen dabei, dass das nicht Film ist, sondern es sich um echte Mörder und Erpresser handelt. Und natürlich ist eine gehörige Portion Voyeurismus dabei, wenn jemand mit einer derart dunklen Vergangenheit und viel Geld ein In-
terview gibt. Geld zieht in Israel immer.«
Währenddessen hat die Polizei noch immer keine heiße Spur vom Täter. Es mag eine Verschwörung verschiedener Familien gewesen sein oder eine Einzelperson. Namen von Verdächtigen fallen täglich: Amir Mulner, die Brüder Abergil, die Ohanas oder die Abutbuls. Doch eine Quelle aus der Einheit, die die Tat verfolgt, sagt: »Wir haben keine Eile, jemanden zu verhaften, bevor wir nicht ausreichende Beweise haben. Immer mehr Stimmen innerhalb der Sicherheitskräfte jedoch äußern die Befürchtung, dass Alperons Hinrichtung lediglich der Auftakt zu ei-
nem Bandenkrieg war. Immer wieder sind bei den Attentaten auch unschuldige Opfer geworden. Und die werden von niemandem beschützt.

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