Westjordanland

Die Hügeljugend

von Michael Borgstede

Normalerweise muss man sich als Journalist nicht gerade beeilen, wenn israelische Siedler mal wieder einen Hügel in den Palästinensergebieten besetzen. Da werden zunächst wilde Eigentumsansprüche gestellt. Dann findet ein Wohnwagen nach dem anderen seinen Weg auf den entsprechenden Hügel. Ein Zaun wird gebaut, Generatoren werden aufgestellt. Und die Regierung prüft in aller Ruhe die Sachlage. Die Armee stellt sicherheitshalber erst einmal ein halbes Bataillon Soldaten zum Schutz der gefährdeten Bewohner ab, die bereits so tun, als sei ihr widerrechtlicher Aufenthalt auf dem betreffenden Hügel die normalste Sache der Welt. Meistens passiert dann lange Zeit gar nichts mehr, und eine unhaltbare Situation wird zu einer stillschweigend akzeptierten Realität.
Es war also nicht wirklich damit zu rechnen, dass die spektakuläre Wiederbesiedelung von Homesch im Westjordanland rasch zu Ende gehen würde. Homesch war eine der Siedlungen, die gleichzeitig mit dem Gasastreifen im August 2005 geräumt wurden. Eine ehemalige Bewohnerin hatte nun die Beschneidung ihres Sohnes auf den Ruinen ihrer ehemaligen Heimat feiern wollen und einen entsprechenden Antrag gestellt. Warum Politik und Armee diesem ziemlich bizarren Wunsch nachge- geben haben, wird wohl ihr Geheimnis bleiben. Jedenfalls sollte erst nur ein Bus die geladenen Gäste in die ehemalige Siedlung bringen dürfen. Die Siedler aber forderten drei Busse – und bekamen wie so oft ihren Willen. Dann verkündeten sie – welche Überraschung! – Homesch nicht wieder verlassen zu wollen.
Bald kamen die ersten Reporter und prophezeiten Ärger. Die »New York Times« warnte ebenso wie »Der Spiegel« vor einer gewaltsamen Konfrontation. »Ich will auf diesem Hügel alt werden«, wurde ein 16 Jahre altes Mädchen zitiert. Man konnte das wohl ungefähr so ernst nehmen, wie wenn Mädchen in diesem Alter von der ewigen Liebe reden.
Nach 48 Stunden war dann doch alles vorbei, und jene Batia Danziger befand sich auf dem Rückweg in die neun Kilometer entfernt gelegene Siedlung Schavei Schomron. In Homesch, oder besser, auf dem Hügel, wo früher einmal Homesch war, warten am Mittwochmorgen nur noch einige gelangweilte israelische Soldaten: »Du bist zu spät«, sagen sie lachend. »Sie sind schon alle weg«. Ein Drama sei die Räumung nicht gerade gewesen, sagt Shai, der im vergangenen Jahr schon in Gush Katif dabei war. »Sie hatten schon alles selbst weggeräumt.« Die Beleuchtungsanlage sei feinsäuberlich verpackt gewesen. Sogar einige Zelte hätten die 480 Siedler selbst abgebaut. »Vom Hügel mussten wir sie trotzdem tragen«, erzählt Shai gutgelaunt. Dut- zende Jugendliche hätten sich schützend um ein Dutzend Familien gestellt. Doch der Widerstand sei passiv geblieben. »Ein Glück«, sagt ein anderer Soldat etwas nachdenklich. »Heute kann man sich nicht mehr sicher sein, wie diese Dinge ablaufen.« Aus dem Wasserturm der ehemaligen Siedlung ragt noch eine israelische Fahne.
In Schavei Schomron trudeln derweil die letzten Siedler aus Homesch ein. Familien mit kleinen Kindern, schwangere Frauen und sehr viele Jugendliche lassen sich auf den hübsch gepflegten Rasenflächen der Siedlung nieder. Vielen steht die Erschöpfung ebenso wie die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Sie sind fast zehn Kilometer durch die Hügellandschaft marschiert. Die wenigsten haben von dem Transportangebot der Armee Gebrauch gemacht. Hört man sich nun in Schavei Schomron um, dann kann man fast den Eindruck bekommen, diese Menschen würden von einer feindlichen Armee sprechen. »Ehe ich bei denen ins Auto steige, lass’ ich’s lieber drauf ankommen und lege mich mit ‹nem Araber an.« Das sagt ein eher gemütlich aussehender junger Mann, dem man so viel Kampfeslust gar nicht zutrauen mag. Aber seine Frau stimmt ihm zu: »Dass die Faschisten-Soldaten sich nicht schämen, jetzt Pessach zu feiern. Das sind doch keine Juden. Ich habe mit denen nichts mehr zu tun.« Und ein ganz junger Spunt, mit Kippa auf dem Kopf und einer aufkleberübersäten Gitarre unter dem Arm stellt klar: »Zu der Armee gehe ich nicht. Lieber wandere ich in den Knast.« Die Zeiten, da die Armee den größten Konsens innerhalb der immer schon meinungsfreudigen israelischen Gesellschaft darstellte, sind vorbei. Viele Siedler fühlen sich von ihrem Staat im Stich gelassen. Ob dieses Gefühl den Tatsachen entspricht oder ob es sich vielleicht nur andeutet, dass der Staat Israel eines Tages nicht mehr willens sein könnte, sein Schicksal in die Hand einer ideologisierten Minderheit zu legen, sei dahingestellt. Die Frustration, die Enttäuschung und daraus resultierende Wut sind besonders unter den jungen Leuten groß. »Alle reden immer vom jüdisch-demokratischen Charakter des Staates«, gibt zum Beispiel Amir zu bedenken. »Aber als Jude ist mir der jüdische Charakter viel wichtiger als der demokratische.« Solche Äußerungen machen der älteren Siedlergeneration durchaus Angst. »Wir wurden verraten«, sagt zwar auch Efraim Rappaport, der bereits 1972 ins Westjordanland zog. »Scharon hat uns verraten, Olmert hat uns verraten, und Netanjahu wird uns auch verra- ten.« Aber Gewaltanwendung und Staatsverdrossenheit kommen für ihn nicht in Frage. »Ich bin ein Zionist. Mein ganzes Leben habe ich dem Wohl dieses Landes gewidmet – auch, wenn mein Land mir das nicht dankt.« Doch sein Sohn, Efraim seufzt leise, sein Sohn wohne im Außenposten Migron und wolle mit dem Staat nichts mehr zu tun haben. Zuerst habe er sich gedacht: »Ah, eine pubertäre Rebellion gegen die Eltern! Ganz normal.« Doch heute sieht er die Lage ernster: »Der Staat verstößt seine Kinder. Diese Entwicklung führt früher oder später dazu, dass dieses Land auseinanderbrechen wird.« Die letzten Worte hat er sehr leise gesprochen, vielleicht aus Trauer, vielleicht auch, um von seinen Kampfesbrüdern nicht gehört zu werden.
Efraims Sohn gehört zur sogenannten Hügeljugend. Deren Anhänger findet man auf einsamen Hügeln mitten in den Palästinensergebieten. Sie tragen nicht selten ein Gewehr über der Schulter und lassen ihre illegalen Außenposten von riesigen Hunden bewachen. Selbst sehen sie sich gerne als abenteuerliche Biobauern und die letzten Verfechter der zionistischen Siedlungstradition. Wie viele von ihnen im Ernstfall wirklich die Hand gegen israelische Soldaten erheben würden, weiß niemand. Doch schon ihre Existenz macht den Politikern in Jerusalem Angst, verzögert oder verhindert so manch unbequeme Entscheidung.
In Schavei Schomron haben die Jugendlichen jetzt schon wieder Mut gefasst und singen ihre Lieder. Wenn die muntere Pfadfinderstimmung dieser begeisterungsfähigen Jugendlichen eines Tages einer verbitterten Aggressivität weichen sollte, kann man Efraims Sorgen verstehen. Doch anscheinend teilen nicht alle seine Furcht. Benny Katzover, einer der Gründer der Siedlerorganisation »Gush Emunim«, erklärt wenig später freudig, man habe in diesen Tagen die Überzeugung der jungen Leute erkennen können. »Unsere Jugend wird auch jene Erwachsenen mitschwemmen, die die Notwendigkeit einer Richtungsänderung noch nicht erkannt haben«, verkündet er. Wie er sich diese Richtungsänderung genau vorstellt, das sagt Benny Katzover an diesem Morgen nicht.

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