Melody Sucharewicz

Die Botschafterin

Wer zu Melody Sucharewicz will, braucht ein Boot. Vom Steg aus führt der Weg zu ihrem Haus, irgendwo im tiefstn Bayern. Melody öffnet die Tür, neben ihr ein großer, braun-schwarzer Hund. »Mein Allenby-Straßenhund«, sagt sie. In Tel Aviv ist ihr die Hündin zugelaufen.

Melody hat lange blonde Locken und blaue Augen. Eine attraktive Erscheinung. Trotz ihrer Blitzkarriere als israelischer Reality-Show-Star wirkt sie auf den ersten Blick unprätentiös. Sie trägt eine helle hüftlange Wollstrickjacke, schwarze Leggings unter einem dunklen Rock und schwarze Lederstiefel. Den ungewöhnlichen Namen Melody verdankt sie ihren Eltern. Ihre Schwester heißt Charme.

Vor ein paar Stunden noch war Melody in Rom. Sie ist auf Stippvisite bei ihrer Mutter, am nächsten Tag wird sie weiter nach Berlin fliegen, um an einer Demonstration gegen den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad teilzunehmen, die sie selbst mit organisiert hat. Denn in ihrem Leben dreht sich alles um ihr Engagement für Israel.

Melody setzt sich an ein Tischende im antik möblierten Speisezimmer, schlägt die Beine übereinander und fährt sich kurz durch die Haare, in dem aussichtslosen Bemühen, ihre Locken zu bändigen.

Im Sommer 2006 hat sie die zweite Staffel der israelischen Reality-TV-Show »Hashagrir – The Ambassador« gewonnen. Aus mehr als tausend Bewerbern wurden 14 ausgewählt, am Ende der Staffel kürte eine Jury den Sieger. Anstelle von Preisgeld gab es den Titel eines »offiziell gewählten inoffiziellen Botschafters für Israel«, der ein Jahr in der Welt herumreisen und PR für Israel machen sollte. Es ging darum, vom Alltag der Menschen zu erzählen, von dem, was sie bewegt, wie sie ihr Leben führen. Melody gewann den Wettbewerb, in Israel kennt sie mittlerweile jeder. Die Menschen dort begegnen ihr »auf eine unverkrampfte, freundliche Art«, erzählt sie. Aber die Bekanntheit scheint ihr nicht allzu viel zu bedeuten. Sie wollte nicht berühmt werden. Es war die Aufgabe als Botschafterin, die sie reizte. Politisches Enga- gement kennt sie von kleinauf: Ihr Vater leitet die Organisation ILI - I like Israel. Sich aktiv für Israel einzusetzen, ist für Melody eine Herzensangelegenheit.

Sie ist 26 Jahre alt und lebt seit sieben Jahren in Tel Aviv. Bis zum Abitur wohnte sie mit ihren Eltern in München. »Es war mir aber immer klar, dass ich eines Tages in Israel leben würde. Eigentlich wollte ich mit 14 schon auf ein Internat dort, das hat dann aber nicht geklappt.«

Wenn sie an die Zeit der Dreharbeiten für die Reality-Show zurückdenkt, strahlt sie: »Das Team war toll, die Erfahrung war toll, unsere Aufgaben waren toll. Ich bin froh über die Chance.« Die Dreharbeiten für die Show fanden in verschiedenen Ländern statt. In Uganda trafen die Kandidaten mitten im Dschungel auf einen Stamm Einheimischer, die sie mit Trommeln und Gesang begrüßten. Die Israelis revanchierten sich mit der Vorführung eines Volkstanzes – eine etwas andere Form gelebter Völkerverständigung. In New York hielten die einzelnen Bewerber eine kurze Rede vor UNO-Delegierten. In Stockholm versuchten sie Passanten, dazu zu bewegen, eine Zeitlang in einem Kibbuz zu arbeiten. »An einem Tag sagten rund 80 Leute zu.« Melody wirkt selbst noch erstaunt ob des Erfolgs. »Die jüdische Organisation, die sich sonst darum kümmert, bekommt so viele vielleicht in einem Jahr zusammen.«

Auch Publikum und Jury waren von Melodys Talent beeindruckt und hielten sie für eine geeignete Repräsentantin Israels. So setzte sich Melody schließlich gegen die anderen Kandidaten durch. Doch dass Ruhm eine zweischneidige Sache ist, erlebte sie schon kurze Zeit später. Als die junge Frau nach ihrem Sieg in New York ankam, um ihren Job als »offiziell gewählte inoffizielle Botschafterin« anzutreten, stellte sie fest, dass die Organisation, die mit der israelischen Fernsehproduktionsfirma zusammenarbeitete, keine Arbeitserlaubnis für sie beantragt hatte. Es gab keine Wohnung für sie, kein Büro, »und die Leute waren nicht sehr professionell«.

Melody entschied recht schnell, dass der Job für sie auf diese Weise keinen Sinn habe und fuhr wieder ab, um als »Botschafterin« in Europa selbst etwas für Israel zu tun. »Daraufhin inszenierte die US-Organisation eine regelrechte Medienkampagne in Israel«, erzählt sie. »Was die alles über mich erfunden haben, unglaublich!« Melody schüttelt den Kopf. Das ist zum Glück vorbei, darüber will sie nun nicht mehr reden. Stattdessen arbeitet sie jetzt auf eigene Faust weiter, zur Zeit in Rom, macht »Hasbara«, nimmt Kontakt zu jüdischen Organisationen wie Keren Hayesod oder dem American Jewish Committee auf, hält dort Vorträge, leitet Diskussionen – und versucht, durch ihre alltäglichen Erfahrungen in Tel Aviv Vorurteile abzubauen und einen authentischen Eindruck ihrer Wahlheimat zu vermitteln. Denn, Melody redet immer schneller und untermalt das Gesagte gestenreich, sie stelle in Israel eine Tendenz zur Bagatellisierung und Meinungsmache in den Medien fest, die sie für katastrophal hält. »Wenn in Deutschland eine Boulevardzeitung Unsinn schreibt, ist das zwar ärgerlich. Aber in Israel ist es viel schlimmer: Es ist existenziell wichtig, seriöse und richtige Informationen zu bekommen. Wir können uns so eine Verflachung der Berichterstattung einfach nicht leisten. Dazu ist die politische Situation zu instabil. Ich sehe das mit Sorge«, analysiert sie, und es zeigt sich, dass sie nicht nur schnell sprechen kann, sondern auch schnell denkt.

Als kleines Mädchen, im Alter von sechs, sieben Jahren landete sie zum ersten Mal auf dem Flughafen von Tel Aviv. »Das erste Faszinosum, das kann wahrscheinlich keiner nachvollziehen, war die Luft. Ein Wall aus Feuchtigkeit und Hitze, das ist für mich der Geruch von Ben-Gurion Airport«, sagt sie. »Dann die Leute, die Palmen, der Strand.« Es sprudelt geradezu aus ihr heraus. Seit ihrem achten Lebensjahr ist sie drei bis vier Mal im Jahr mit den Eltern nach Israel gefahren. Sie gewöhnte sich an eine Skyline, die sich ständig veränderte. »Das war so beeindruckend für mich: In Tel Aviv wurden dauernd Hochhäuser gebaut, alles sah bei jedem Besuch ein wenig anders aus, aber dennoch blieb es irgendwie gleich für mich, das Gefühl dort war immer dasselbe.« Den israelischen Pass hat sie zwar erst seit ein paar Jahren, aber ein Zuhause war Israel für sie schon in ihrer Kindheit.

In München erlebte sie während des ersten Golfkriegs, dass sie unter ihren Altersgenossen und Schulfreunden »ziemlich alleine dastand« mit ihrer Identität und ihrem Selbstverständnis. »Die Leute um einen herum konnten nicht wirklich mitfühlen, was Scud-Raketen bedeuteten, die auf Israel gerichtet waren. Ich spürte plötzlich einen anderen kulturellen Background«, erzählt Melody. »Mein zionistisches Elternhaus hat mich einfach sehr stark geprägt.« Sie hält für einen Moment inne und lehnt sich in ihren Stuhl zurück. Vor ein paar Tagen erst telefonierte sie mit einer Schulfreundin. Sie sprachen darüber, dass Melody doch eigentlich nur in Israel Urlaub machen wollte, nachdem das Abitur geschafft war. Die Lernerei hatten damals beide satt. »Dieses bayerische Schulsystem! Ich wollte nach dem Abitur nie wieder ein Buch in die Hand nehmen, lernen machte keinen Spaß«. Zu ihrer Freundin hatte sie zwar gesagt: »Ich mache nur Urlaub hier«, aber sie blieb dann einfach in Tel Aviv. Wahrscheinlich, so sieht sie es im Rückblick, wollte sie die Trennung von den Eltern und Freunden, die damit verbunden war, bloß nicht so richtig wahrhaben. »Sag nicht, du gehst jetzt weg, lass es ein bisschen diffuser, dann ist der Abschied nicht so schwer.« So erklärt Melody sich selbst ihren Aufbruch ohne große Ankündigung.

Anfangs wohnte sie in einer WG mit zwei Bekannten aus Deutschland. Doch nach kurzer Zeit wollte sie ganz ins Zentrum ziehen, direkt in die Shenkinstraße, »in das Tel Aviver Notting Hill«, wie sie es nennt. Begeistert schildert sie die dortige Nachbarschaft. »Da war ich mitten im Geschehen. Es herrscht da so ein Bohème-Lebensgefühl. Das kenne ich nicht aus New York, nicht aus Italien und nicht aus München.« Inzwischen ist sie noch einige Male in der Stadt hin- und hergezogen. Jeder Ort sei für sie ein »Traumplatz«.

Tel Aviv ist heute ihre Heimat. Sie studierte dort Soziologie und Anthropologie an der Universität und machte ihren Master of Science in Management mit Spezialgebiet Unternehmensmanagement. Das letzte Semester des Studiums fiel schon mit den Dreharbeiten für die Reality-Show zusammen. Sie wollte ihre Abschlussarbeit trotzdem schreiben. »Das war richtiger Stress. Aber meine Professoren haben mich fantastisch unterstützt. Sie sagten zu mir, ich dürfe ohne meinen Abschluss in der Tasche nicht we«, erklärt sie lachend und stützt einen Arm auf ihre Stuhllehne. »Das war ja auch richtig so. Also schrieb ich innerhalb von zwei Monaten meine Magisterarbeit, Tag und Nacht. Ich durfte sogar Prüfungen nachschreiben, wenn die Termine mit den Dreharbeiten kollidierten.«

Sie muss wieder lachen, wenn sie an den Marathon des vergangenen Jahres zurückdenkt. Sie steckte mitten in der Magisterarbeit, als der Libanon-Krieg ausbrach. Melody war so in ihre Studien vertieft, dass sie sich ganz pragmatisch verhielt. »Ich fing an, Koordinaten zu berechnen. Wo, in welcher Ecke des Zimmers stünde mein Computer am sichersten, falls doch irgendwelche Raketen kämen? Manchmal wachte ich nachts voller Panik auf, weil ich dachte, dass möglicherweise meine Magisterarbeit samt aller Materialien gelöscht wäre«, erzählt sie. Also schickte sie Teile der Arbeit per Email nach Deutschland, um so in jedem Fall eine Sicherungskopie zu haben. »Ich habe erst nach dem Krieg verstanden, dass das nächtliche Email-Kopieren meine Mutter sehr belastet hat.«

Ins Schwärmen gerät sie, wenn sie von der Hilfsbereitschaft berichtet, die in den Wochen des Krieges überall in der Stadt zu sehen und zu spüren war. »Ich kenne viele Leute, die Flüchtlinge aus dem Norden des Landes in ihre Wohnungen aufnahmen. Das war an der Tagesordnung.« Dieses Miteinander, dieses Zusammengehörigkeitsgefühl, das ist es, worin sich das Leben in Israel so stark von dem Alltag in Deutsch- land unterscheidet, glaubt sie: »Man bewegt sich eben nicht ganz alleine durchs Leben, sondern kümmert sich um die anderen. Man kann sich selbst auch darauf verlassen.«

Und die Zukunft? Eins steht fest: »Ich will Israel promoten und immer mehr Menschen an Bord holen.« Vielleicht arbeitet sie auch eines Tages als Unternehmensberaterin. »Ich bin kein Mensch, der gerne plant. Meistens kommt ja immer alles anders.« Bisher, so macht es zumindest den Anschein, ist sie mit dieser Strategie ganz gut gefahren.

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