von Christian Höller
Das Wiener Theaterpublikum ist verunsichert. Da streichelt ein schwuler Adolf hinternwackelnd den blonden Scheitel eines Nazis; SS-Showgirls tanzen, als Bratwurst und Brezen verkleidet; ein geldgieriger jüdischer Betrüger betuppt sexlüsterne alte Damen. Ja, darf man das?
Mel Brooks’ bunt-groteskes Erfolgs-Musical The Producers wird im Geburtsland des Führers erstmals auf Deutsch aufgeführt. Zur Premiere im renovierten Wiener Theater Ronacher war die Elite der Alpenrepublik erschienen, mit Bundesprä- sident Heinz Fischer an der Spitze. Doch das befreiende Lachen gelang nur wenigen. Viele Zuschauer waren irritiert, blick-ten verstohlen zu ihren Nachbarn. Denn Brooks, der 1926 in Brooklyn als Melvyn Kaminsky geborene Sohn jüdischer Immigranten aus Galizien, bricht in seinem Stück Tabus: Juden, Schwule, Nazis – alle bekommen ihr Fett ab. Mit den simplen Mitteln der Groteske, gelegentlich auch der Klamotte, wird die Nazi-Ideologie als Verirrung von Verrückten dargestellt.
Erzählt wird die Geschichte des erfolglosen jüdischen Broadwayproduzenten Max Bialystok, der gemeinsam mit dem ebenfalls jüdischen Buchhalter Leo Bloom auf der Bühne einen gigantischen Flop produzieren möchte, um sich dann mit den Investorengeldern nach Brasilien abzusetzen. Die beiden Betrüger schreiben ein geschmackloses, naziverherrlichendes Stück namens »Frühling für Hitler« und heuern dafür miese Schauspieler und einen unfähigen Regisseur an. Doch der Plan geht nicht auf. Entgegen allen Erwartungen wird die Musikrevue ein ausgesprochener Erfolg, weil sie vom Publikum als gelungene Farce empfunden wird. Statt an der Copacabana landen Bialystok und Blum im Knast.
The Producers gilt als einer der gelungensten Versuche, sich komödiantisch mit dem Nationalsozialismus ebenso auseinanderzusetzen wie mit seiner kulturellen Rezeption nach Kriegsende. 1968 von Brooks als sein erster Film gedreht – die deutsche Fassung hieß Frühling für Hitler – und gleich mit einem Oscar für das beste Drehbuch ausgezeichnet, kam das Stück 2001 als Musical an den Broadway, wo es eine der erfolgreichsten Shows der vergangenen Jahrzehnte wurde und zwölf Tonys gewann, die Oscars der Theaterszene. 2005 machte Susan Stroman aus dem Musical einen Film mit Matthew Broderick und Uma Thurman.
Dass dieses Stück jetzt seine deutsche Erstaufführung in Wien hat, passt eigentlich gut. 2008 ist das Gedenkjahr, in dem sich das offizielle Österreich an den »Anschluss« an Hitlerdeutschland vor 70 Jahren erinnert. Mit der Vergangenheitsbewältigung tut sich die Alpenrepublik tradi- tionell schwer. Seine Nachkriegsidentität bezog Österreich zum Großteil aus dem Mythos, »Hitlers erstes Opfer« gewesen zu sein, obwohl der doch geborener Österreicher war, ebenso wie Adolf Eichmann und viele andere Holocaustverantwortliche. Es dauerte lange, ehe sich wenigsten das offizielle Österreich zu einer klaren Position über den Anteil der Schuld des Landes an den Verbrechen des Dritten Reichs durchringen konnte. Ob das inzwischen auch im Bewusstsein der Gesellschaft angekommen ist, ist eine andere Frage. »Die Wiener waren immer Antisemiten gemeinster und blödester Weise und sind es heute mehr denn je«, schrieb 1949 der Operettenlibrettist Alfred Grünwald. Eine Aufführung von The Producers in einer Stadt, in der Juden unter Johlen der Bevölkerung 1938 auf Händen und Knien die Trottoirs putzen mussten, müsste eigentlich angetan sein, eine Debatte über Nazismus auch in Österreich anzuheizen.
In anderen Ländern, auch weniger betroffenen, wie Argentinien, Südkorea, Tschechien, Ungarn, Finnland und Australien, erregte das Stück die Gemüter und entfachte heftige Debatten, ob und wann man über Hitler und die Nazis lachen darf. Doch in Wien war und ist man peinlich darauf bedacht, eine inhaltliche Auseinandersetzung erst gar nicht aufkommen zu lassen. Um auch ja keinen Anstoß zu erregen, wurde die deutschsprachige Erstaufführung bis ins kleinste Detail an die New Yorker Vorlage angepasst, insbesondere bei den Revuenummern, Songs und Tanzszenen. Fällt nach drei Stunden der Vorhang, applaudiert das Publikum politisch korrekt. Und das war es auch schon.
Die Verkrampftheit ist auch in den österreichischen Medien zu spüren. Diese flüchteten sich nach der Premiere in ausführliche Lobeshymnen über die Schauspieler. Die Besetzung der Hauptrollen habe sich als Glücksgriff erwiesen, freute sich der liberale Standard und widmete sich ausführlich der Karriere des Schauspielers Cornelius Obonya, der den Max Bialystok verkörpert. Obonya brilliere »wie ein alter Musical-Profi, der singt, spielt und tanzt, als hätte er sein Leben nichts anderes gemacht«, befanden auch die Salzburger Nachrichten. Die Wiener Tageszeitung Presse fand die Aufführung zwar »rundum perfekt ausgeführt”, monierte aber, ob bei den städtischen Bühnen, zu denen auch das Ronacher gehört, nicht besser »mehr echte Orginalität bei Eigenproduktionen angebracht wäre, statt teuer von auswärts einzukaufen«. Auch unter den Politikern gab es nach der Aufführung vor allem ein Diskussionsthema: ob der Umbau des Ronacher zu viel Geld gekostet hat. Vergangenheitsbewältigung auf österreichisch: nur nicht an Hitler erinnert werden und keinen internationalen Skandal provozieren.
An dieser Mentalität ist auch ein Österreich-Projekt des britischen Komikers Sascha Baron Cohen gescheitert. Der hatte nach dem Riesenerfolg seines Films Borat die Alpenrepublik mit Hitlerklamauk aufs Korn nehmen wollen. Geplant war eine Komödie über einen schwulen Lifestylejournalisten, der keinen Hehl aus seiner Naziverherrlichung macht und stolz darauf ist, aus dem Land zu stammen, in dem der Führer geboren wurde. Doch die österreichischen Behörden erteilten keine Drehgenehmigungen – mit der Begründung, bei einem solchen Film drohe Österreich ein Imageschaden im Ausland; die Millioneninvestitionen, die in den vergangenen Jahren in die Tourismuswerbung geflossen seien, wären damit umsonst gewesen. Wenn es um ihren Lands- mann Adolf Hitler und den Nationalsozialismus geht, verstehen die Österreicher keinen Spaß.