engagement

»Das Virus menschenverachtenden Denkens«

»Ich dachte, es sei vorbei, aber es ist nicht vorbei.« Im Mai 1945 wurden Ralph Giordano und seine Familie aus dem Keller in Hamburg befreit, in dem sie sich monate- lang vor Verfolgung und Deportation durch die Nationalsozialisten versteckt gehalten hatten. Schon kurze Zeit später schrie ein Fremder den damals 22-Jährigen auf der Straße an: »Die Juden sind an allem schuld!« Mit »Zähnen und Klauen« habe er den Mann bearbeitet, erinnert sich Giordano. Und diesen Kampf gegen Antisemitismus, gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus kämpft der Publizist und Schriftsteller noch heute. Wenn auch mit anderen Mitteln: Wortgewalt und einer bildreichen, engagierten Sprache.
Aus Köln war der 86-Jährige am Montag ins hessische Friedberg gekommen, um mit Lehrern über die »höchst aktive und höchst lebendige« Gefahr eines neuen Rechtsradikalismus zu diskutieren, die, wie Giordano bemerkt, seine »späten Tage verdüstere«. Auf Einladung des Amtes für Lehrerfortbildung (AFL) hatten die Pädagogen Arbeitsgruppen gebildet, um gemeinsam eine »Broschüre gegen Rechtsextremismus« zu erstellen, als Leitfaden für alle Kollegen und als Hilfestellung, wie man diesem Phänomen auf dem Schulhof und im Klassenzimmer begegnen kann.
Doch zunächst spricht Giordano und skizziert in wenigen, eindringlichen Sätzen, wie die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus sein Leben bis heute prägt. Zwar sei Hitler »militärisch besiegt«, das »Virus seines menschenverachtenden Denkens« wirke aber weiter. Die zweite Schuld hat Giordano daher eines seiner 19 Bücher genannt. Darin kritisiert er den »Geburtsfehler der Bundesrepublik«, die Tausende von Mittätern an den NS-Verbrechen nie zur Rechenschaft gezogen, ihnen stattdessen einen komfortablen Einstieg in die demokratische Nachkriegsgesellschaft geboten habe. Eigentlich wollte Giordano Deutschland gleich nach seiner Befreiung verlassen, aber dann entschied er sich dafür zu bleiben: »Ich wäre mir wie ein Deserteur vorgekommen.«
Immer wieder appelliert er an die Lehrer: »Meine Zuversicht ist angebröckelt, bitte, belehren Sie mich eines Besseren!« Wie er es schaffen könne, seinen Schülern jene innere Stärke zu vermitteln, dass sie eingreifen, wenn Skinheads Ausländer attackieren, will ein Schulleiter aus Butzbach wissen. »Was soll man entgegnen, wenn die Jugendlichen im Unterricht fremdenfeindliche Parolen grölen und sich dabei auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung berufen?«, fragt ein anderer Pädagoge.
Lehrer müssten heute eben mehr sein als Wissensvermittler. »Sie sollen Farbe bekennen, eine Wertehaltung repräsentieren, an der sich die Schüler dann abarbeiten können«, lautet die Empfehlung von AFL-Leiter Frank Sauerland. Ebenso wichtig sei es, sich besser mit den Moden, Codes und Ritualen der Neonaziszene vertraut zu machen, denn die neuen Rechten würden sich tarnen und bedienten sich zunehmend der Sprache des Aufbegehrens, um junge Menschen mitten in der Pubertätskrise für sich zu gewinnen. Auch Giordano räumt Versäumnisse ein: »Warum bin ich nie zu Lesungen und Gesprächen an Hauptschulen gegangen?«
Eine Referendarin aus Frankfurt nickt. Alles, was diskutiert wurde, gehe an ihrer Berufspraxis vorbei. Zwei deutsche Kinder sitzen in ihrer Hauptschulklasse, der große Rest, Jugendliche mit unterschiedlichem Migrationshintergrund, ist in rivalisierende Banden zersplittert. Gewalt und Selbstbehauptung sind ihre Themen, nicht die Aufarbeitung deutscher Geschichte. Gleichwohl: Die angehende Lehrerin hat es ge- schafft, ihre Klasse auf die Suche nach Spuren jüdischen Lebens zu schicken. Die Irritation in den Gesichtern von Museums- und Gedenkstättenpädagogen, als sie mit ihren Hauptschülern erschien, war ernüchternd: »Als wollte ich Rollstuhlfahrern das Wettlaufen beibringen.« Doch das erzählt sie nicht Ralph Giordano, sondern nur leise ihrer Tischnachbarin. Barbara Goldberg

Israel

Eli Sharabis Bestseller bald auch auf Englisch

Zum zweiten Jahrestag des Hamas-Massakers vom 7. Oktober 2023 soll das Buch der ehemaligen Geisel veröffentlicht werden

von Sabine Brandes  10.07.2025

Genf

Türk verurteilt US-Sanktionen gegen Albanese

Der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Volker Türk, sprach von »Angriffen« und »Drohungen« gegen die umstrittene Italienerin

 10.07.2025

Der unter liberianischer Flagge fahrende Massengutfrachter "Eternity C" beim Untergang im Roten Meer am Mittwoch, den 9. Juli 2025.

Terror auf See

Tote nach Huthi-Angriff auf Handelsschiff

Die Huthi-Miliz im Jemen versenkt innerhalb von 24 Stunden zwei Schiffe auf dem Roten Meer

von Nicole Dreyfus  10.07.2025

Wien

Vor Treffen mit Sa’ar: Wadephul ermahnt Israel

Der Bundesaußenminister will sich weiter für einen Waffenstillstand und die Freilassung der Geiseln einsetzen, verlangt aber bessere humanitäre Hilfe in Gaza

 10.07.2025

Gaza

Das Dilemma des Deals

Premier Benjamin Netanjahu hat das Weiße Haus ohne ein Freilassungsabkommen für die israelischen Geiseln verlassen. Die Verhandlungen gehen weiter

von Sabine Brandes  09.07.2025

Berlin

Bundestagspräsidentin will Angehörige israelischer Geiseln treffen

In dieser Woche sind Angehörige der von der Hamas verschleppten Geiseln in Berlin. Am Dienstag kommt Bundestagspräsidentin Klöckner mit ihnen zusammen. Sie formuliert im Vorfeld klare Erwartungen

 07.07.2025

Magdeburg

Batiashvili und Levit mit Kaiser-Otto-Preis ausgezeichnet

Der Kaiser-Otto-Preis ist die höchste Auszeichnung der Stadt Magdeburg. Er wurde im Jahr 2005 anlässlich des 1.200-jährigen Stadtjubiläums zum ersten Mal verliehen. In diesem Jahr ging er an zwei Künstler, die sich gesellschaftlich engagieren

von Oliver Gierens  03.07.2025

Israel

Gideon Saar: Mehrheit der Regierung will Gaza-Deal

Israels rechtsextreme Minister Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich möchten einen neuen Gaza-Deal verhindern. Laut Außenminister Saar sind die meisten Regierungsmitglieder aber anderer Ansicht

 02.07.2025

Politik

Dobrindt in Israel - Treffen mit Netanjahu geplant

Innenminister: »Ich will zeigen, dass wir Israel als engsten Partner im Kampf gegen den Terror unterstützen.«

 28.06.2025