Wenn der Hut die Wahrheit spräche, läge wohl ein unterzeichneter Deal auf dem Tisch. »Trump hatte in allem recht«, ist auf eine Baseballkappe gestickt, die der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu in der Hand hält, als er am Dienstag im Oval Office neben US-Präsident Donald Trump sitzt. Denn es ist vor allem Trump, der auf einen Waffenstillstand in Gaza und ein Geiselbefreiungsabkommen drängt. »Nächste Woche gibt es einen Deal«, hatte er vor einigen Tagen verkündet. Doch auch nach dem zweiten Treffen der beiden herrschte am Mittwoch Unklarheit, wie es in Gaza weitergeht.
»Unsere Bemühungen waren voll und ganz darauf ausgerichtet, die Freilassung unserer Geiseln sicherzustellen«, sagte Israels Premier vor Journalisten bei seinem Besuch in Washington. Das zweite Treffen mit Trump unter Ausschluss der Öffentlichkeit habe sich vor allem um dieses Thema gedreht.
»80 bis 90 Prozent« des Deals von beiden Seiten akzeptiert
Angeblich seien »80 bis 90 Prozent« des Deals zwischen Israel und der Hamas von beiden Seiten akzeptiert worden, doch vor allem die Zusicherung eines dauerhaften Waffenstillstands nach Ablauf der ersten Phase sei ein Konfliktpunkt, heißt es. Die Hamas besteht auf einem Ende des Krieges, doch Israel will der Terrororganisation keine Garantien geben.
Der US-Sender »Sky News« berichtete, stattdessen habe Trump persönlich der Hamas versichert, dass die Kämpfe im Gazastreifen nach Ablauf eines 60-tägigen Waffenstillstands nicht wiederaufgenommen würden. Dem Bericht zufolge übermittelte der palästinensische Geschäftsmann Bishara Bahbah die Botschaft des Präsidenten an die Terrororganisation. Angeblich habe die Hamas bereits rund 80 Prozent der Kontrolle über den Gazastreifen verloren, erklärte ein vermeintliches Hamas-Mitglied vor einigen Tagen gegenüber der BBC.
Die Frage der Verteilung der humanitären Hilfe für die notleidende Bevölkerung in Gaza, ein komplexes und kontroverses Thema, sei offenbar geklärt, hieß es aus den USA. Man hätte sich darauf geeinigt, dass sie über internationale Organisationen bereitgestellt werde. Diese hätten weder Verbindungen mit Israel noch mit der Hamas.
»Wir hatten vier strittige Themen, und zwei Tage später ist es nur noch eines«
Zuvor hatte der US-Sondergesandte für den Nahen Osten, Steve Witkoff, über die laufenden Annäherungsgespräche in Katar gesprochen und gesagt: »Wir hatten vier strittige Themen, und zwei Tage später ist es nur noch eines.« Er sei »hoffnungsvoll, dass wir bis Ende dieser Woche eine Einigung erzielen werden, die uns einen 60-tägigen Waffenstillstand ermöglicht«. Der jüngste Vorschlag des US-Gesandten sieht vor, dass dann zehn lebende und 18 tote Geiseln im Austausch gegen palästinensische Gefangene freikommen. In diesem Zeitraum würden beide Seiten Verhandlungen über ein umfassendes Abkommen aufnehmen, das den Krieg beenden soll.
Ein Teilabkommen sei ein grausamer Deal, der Geiseln zurücklasse, sagt Vicky Cohen.
Doch Netanjahu ist in der Zwickmühle, der Druck auf ihn wächst von allen Seiten. Während nicht nur die USA, sondern der Großteil der internationalen Gemeinschaft darauf drängen, den Krieg in Gaza nach fast zwei Jahren zu beenden, fordern die Angehörigen der Geiseln, dass alle auf einmal – und nicht in Gruppen, wie vorgesehen – freigelassen werden. Netanjahus rechtsextreme Koalitionspartner aber wollen nichts von alldem.
Wie kategorisch die Ablehnung der Vertreter dieser Parteien ist, macht die Aussage der Abgeordneten Limor Son Har-Melech von der Partei Otzma Yehudit deutlich: Am Montag wiederholte sie ihre Forderung nach dem Bau israelischer Siedlungen in Gaza. »Es gibt keine Möglichkeit, die Bedrohung zu beseitigen, wenn wir nicht die Kontrolle übernehmen und Siedlungen errichten. Entweder sie sind dort oder wir. Es gibt keine andere Option. Ich spreche nicht mehr von isolierten Enklaven, die von Feinden umzingelt sind. Ich spreche von Großstädten.«
Plan einer »Humanitären Stadt« für die Zivilbevölkerung Gazas
Eine mit der Angelegenheit vertraute Quelle erklärte gegenüber der linksliberalen israelischen Tageszeitung »Haaretz«, der Hauptstreitpunkt zwischen beiden Seiten sei die Kontrolle über den sogenannten Morag-Korridor, den die israelische Armee im Süden Gazas angelegt hat. Netanjahu bestehe darauf, ihn gemäß der Forderung von Rechtsaußen-Finanzminister Bezalel Smotrich (Religiöser Zionismus) unter israelischer Kontrolle zu behalten und den Plan einer »Humanitären Stadt« für die Zivilbevölkerung Gazas im Gebiet Rafah voranzutreiben.
Oppositionsführer Yair Lapid warf dem Premierminister vor, willkürlich rote Linien zu ziehen, um einen Deal über einen Waffenstillstand mit der Hamas in Gaza zu verhindern. »Netanjahu stellt einem Abkommen Hindernisse in den Weg«, sagte Lapid dem öffentlich-rechtlichen Sender Kan. »Plötzlich ist der Morag-Korridor der Grundstein unserer Existenz? Wir haben beschlossen, dass es einen Korridor zwischen Rafah und Khan Younis geben soll. Es war eine operative Entscheidung vor Ort. Und nun soll dies das Schicksal unserer unter der Erde begrabenen Kinder besiegeln?«
Währenddessen hoffen und bangen die Angehörigen der seit mehr als 640 Tagen in Gaza festgehaltenen Geiseln. Sie fürchten, dass viele zurückgelassen werden. Denn das sieht der Deal vor: Acht lebende Geiseln sollen am ersten Tag und zwei am 50. Tag freigelassen werden, gab ein arabischer Diplomat in israelischen Medien Auskunft. Fünf getötete Geiseln würden am siebten Tag überführt, fünf weitere am 30. Tag und acht weitere am 60. Tag. Damit wären am Ende der ersten Phase noch 22 Geiseln in Gaza, von denen die israelischen Sicherheitsbehörden sagen, dass zehn noch am Leben seien.
Von den insgesamt 50 Geiseln sind 20 noch am Leben
Derzeit heißt es, dass von den insgesamt 50 Geiseln noch 20 am Leben seien. Doch wer weiß, wie lange noch. Sie sind krank, verwundet und leiden unter den psychischen Folgen der endlosen Folter und der unerträglichen Zustände in der Gefangenschaft in den Tunneln unter Gaza. Einem Bericht von Kanal 12 zufolge habe die Regierung in Jerusalem Informationen über den Gesundheitszustand jeder einzelnen Geisel erhalten. Es heißt, diese Informationen würden als Grundlage für die Entscheidung darüber dienen, wer im Rahmen eines Deals zuerst nach Hause kommt – und wer nicht.
Vicky Cohen, die Mutter der Geisel Nimrod Cohen, macht deutlich, dass nach einem Jahr und neun Monaten der Gefangenschaft unter unmenschlichen Bedingungen alle Geiseln »humanitäre Fälle sind«. Ihr körperlicher und psychischer Gesundheitszustand sei katastrophal. Ein Teilabkommen sei ein grausames Abkommen, sagt sie, »das Geiseln zurücklässt. Es ist unmenschlich, ihnen das anzutun«.
Wie Netanjahu aus diesem Dilemma einen Ausweg finden kann, ist unklar. Eines aber ist gewiss: Der Druck wird weiter wachsen.