Große Hamburger Straße

Blick durch den Zaun

von Gideon Böss

Wer durch die Große Hamburger Straße in Berlin-Mitte eilt, kann schnell die Zeugnisse vergangener Tage übersehen. Zum Beispiel den »ältesten Begräbnisplatz der Jüdischen Gemeinde zu Berlin«, auf den eine unscheinbare schwarze Tafel hinweist, die vor einer unbebauten Grünfläche in die Mauer eingelassen ist. Oder den Gedenkstein und die Skulpturengruppe, in Erinnerung an das jüdische Altersheim und die Deportationen, die von hier aus in die Vernichtungslager führten. Ab und zu kommen Touristen vorbei, bleiben stehen, machen Fotos. Doch ist es den Berlinern und Besuchern der Stadt seit Monaten nicht möglich, den Denkmälern näherzukommen. Ein Bauzaun verhindert den Zugang.
Ursprünglich war die Fläche eine öf-
fentliche Grünanlage, 2001 wurde sie der Jüdischen Gemeinde übergeben. Als »ehemaliger Friedhof wird die Anlage fortbestehen«, heißt es beim Bezirksamt, dass eine Restaurierung gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung für den Zeitraum Februar bis Mai 2007 angekündigt hatte. Die Umgestaltung sollte »der Wiederherstellung des Charakters eines Friedhofs« dienen. Ein Jahr ist vergangen, doch der Zaun steht noch immer.
»Es hat ein paar Konflikte gegeben. Aber die Maßnahme an sich ist jetzt fertig«, sagt Joachim Jacobs vom beauftragten Büro für Gartendenkmalpflege und Landschaftsarchitektur.
Diese »paar Konflikte« hatten es in sich. Da ging es zum Beispiel um eine Auseinandersetzung mit Yitshak Ehrenberg. Der orthodoxe Gemeinderabbiner hatte, wie es heute heißt, »nicht rechtzeitig« alle Informationen erhalten. »Ich musste daher aus halachischen Gründen einen Baustopp« anordnen, sagt er. Ehrenberg wachte darüber, dass die Ruhe und Ehre der Toten an diesem Ort gewahrt bleibt. »Da die genaue Lage der Gräber nicht mehr zu ermitteln war, durfte daher auch nicht gegraben werden.« Dennoch sollte die Fläche mit Efeu begrünt werden. Also musste extra Erdreich aufgetragen werden, welches dann bepflanzt werden konnte.
Der Friedhof gehört zu den bedeutendsten Zeugnissen jüdischen Lebens in der Stadt. 1672 fand die erste Beerdigung statt. Wie viele Menschen dort bis zu seiner Schließung 1828 bestattet wurden, ist umstritten. Die Zahlen variieren zwischen 3.000 und 12.000. Die bekannteste dort begrabene Person ist der Philosoph Moses Mendelssohn, an den heute noch ein Ge-
denkstein – die mittlerweile dritte Kopie des Originals – erinnert.
Während des Nationalsozialismus wurde der Friedhof von der Gestapo zerstört und das Gelände als Massengrab genutzt. Nur wenige Grabsteine überstanden diese Zeit, darunter die aus der sogenannten Rabbinerreihe. Diese wurden schon gegen Ende des 19.Jahrhunderts in die Südmauer eingelassen.
In den Nachkriegsjahren war von ei-
nem Friedhof nicht mehr viel zu erkennen. Über Jahrzehnte änderte sich an diesem Provisorium nichts. Nun soll der Ort wieder als Friedhof erkennbar werden. Uri Faber, dem bisherigen Bildungsreferenten der Berliner Gemeinde, ging es vor allem darum, »dem Ort seine Würde wiederzugeben«. Neben dem Friedhof soll auch deutlicher an die beiden Altenheime er-
innert werden, die in unmittelbarer Nähe standen. Das größere eröffnete 1844 und hatte 120 Plätze. Die Nationalsozialisten nutzten die beiden Gebäude ab 1943 als Sammellager für die Deportation von 55.000 Berliner Juden. Ein Jahr später folgte ihr Abriss.
Schon seit Jahren gab es die Absicht, beide Orte entsprechend ihrer historischen Bedeutung zu gestalten. Doch eine bittere Pointe der Nazizeit sorgte zwi-
schenzeitlich noch für weitere Irritationen. Weil das Gelände am Ende des Krieges als Massengrab genutzt wurde, liegen dort auch deutsche Nichtjuden, darunter mehrere Mitglieder der SS. Eine Verlegung dieser Toten ist aus jüdischer Sicht unmöglich, erklärt Uri Faber: »Wer erst einmal hier beerdigt ist, darf nicht mehr angetastet werden. Das verbietet die Halacha.« Der Sohn von einem der dort begrabenen SS-Männer versuchte durchzusetzen, dass eine Tafel an seinen Vater er-
innert. Trotz ausführlicher Gespräche, die die Kriegsgräberfürsorge und die Gemeinde mit ihm führten, wollte er nicht begreifen, dass diese Forderung inakzeptabel ist. Da es aber kein Anrecht auf diese Ehrung gibt, handelte es sich vor allem um ein unangenehmes und zeitaufwendiges Är-gernis.
»Da ist der Streit mit dem Enkel des Bildhauers Will Lammert schon komplizierter, auch wenn wir da nun eine Lösung gefunden haben«, heißt es in der Gemeinde. Will Lammert hat die Skulptur »Jüdische Opfer des Faschismus« geschaffen. Ursprünglich hat sie frei im Bereich der Gedenkstätte gestanden. Nachdem bei den Umbauarbeiten auch der Grundriss des ehemaligen Altenheims markiert wurde, verlangte der Nachfahre des Künstlers, die Figurengruppe etwas zu versetzen. Auch diesem Ansinnen kommt man jetzt nach. Die Senatsverwaltung übernimmt die zu-
sätzlichen Kosten, der Sockel wird neu geschaffen, die Skulptur erhält einen neuen Platz, näher an der Straße.
»Und so findet eine lange Geschichte hoffentlich ein baldiges Ende«, sagt Architekt Joachim Jacobs. Er denkt, dass der Zaun in einigen Wochen fallen wird.

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