Attacke auf einen Rabbiner

Angst und Schrecken

von Daniela Breitbart

Der Schock sitzt tief. Zalman Gurevitch, Rabbiner in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main, ist am Freitagabend von einem bislang unbekannten Täter auf offener Straße niedergestochen worden. Dabei wurde der Rabbiner durch einen Messerstich in den Bauchraum schwer verletzt und musste operiert werden. Mittlerweile hat sich sein Zustand stabilisiert.
Der 42-Jährige war auf dem Nachhauseweg von der Synagoge im Frankfurter Westend, als ihn der Täter mit arabisch klingenden Worten ansprach. Als Gurevitch nachfragte, rief der Angreifer auf Deutsch »Scheiß-Jude, ich bringe dich um« und stach zu. Danach flüchteten er und seine beiden Begleiterinnen. Gurevitch merkte erst zu Hause, dass er blutete und ließ sich in ein nahe gelegenes Krankenhaus bringen. Die Suche nach dem Täter, den Zeugen als »südländisch, möglicherweise arabisch« aussehend beschrieben haben, läuft auf Hochtouren. Die Behörden veröffentlichten kurz nach der Tat ein Phantombild und lobten eine Belohnung für Hinweise zur Tat aus. Bislang meldeten sich keine weiteren Zeugen.
Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, lehnte in einem Zeitungsinterview einen »Generalverdacht« gegen Muslime ab. Er forderte von den muslimischen Verbänden aber »mehr Engagement« gegen Hassprediger in den eigenen Reihen. Es wird vermutet, dass sich auch der Täter unmittelbar vor seinem Angriff auf den Rabbiner durch eine solche Hasspredigt in einer Moschee hat aufstacheln lassen.
Zahlreiche Gemeindemitglieder besuchten den Rabbiner im Krankenhaus und zeigen sich bestürzt und schockiert. Die Stimmung ist angespannt, einige haben Angst vor weiteren Überfällen. »Die Tat hat natürlich in der Gemeinde eine große Verunsicherung ausgelöst. Die Mitglieder sind zum Teil geschockt, zum Teil enttäuscht«, sagt Salomon Korn, ebenfalls Vizepräsident des Zentralrats und Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt. »Die Menschen befürchten, die Stadt habe den ›Zustand der Unschuld‹ verloren, das heißt die Periode von unvoreingenommenem Vertrauen und Selbstverständlichkeit sei durch den Angriff unterbrochen worden. Da werden alte Wunden wieder aufgerissen.« Korn warnt allerdings vor voreiligen Schlussfolgerungen: »Nach dem jet- zigen Stand deutet alles auf eine spontane und zufällige Einzeltat hin, nicht auf einen gezielten Anschlag. Das mindert die Schwere des Verbrechens in keiner Weise. Ich bin aber zuversichtlich, dass sich das Vertrauen der jüdischen Gemeinschaft in die Stadt bald wieder herstellen wird.«
Mehr als jeder vierte Einwohner Frankfurts hat einen ausländischen Pass, es gibt rund 150 religiöse Gemeinden von Zuwanderern. »Durch diese hinterhältige Tat wird der Ruf Frankfurts, eine liberale und offene Stadt zu sein, beschädigt«, schrieb der Dezernent des Integrationsamts, Jean Claude Diallo (Grüne), in einem offenen Brief an die Jüdische Gemeinde.
Der Angriff auf den Rabbiner hat nicht nur Trauer und Entsetzen ausgelöst. Er hat auch die Debatte um sogenannte No-Go-Areas für Minderheiten neu entfacht. Nicht nur im Osten, sondern auch im Westen der Bundesrepublik müsse man solche Gebiete möglicherweise bestimmen, äußerte Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch. Die liberale, weltoffene Multi-Kulti-Stadt Frankfurt eine Bannmeile für religiöse oder ethnische Minderheiten? Salomon Korn widerspricht dem vehement: »Es gibt in Frankfurt keine No-Go-Areas.« Auch Petra Roth, Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt, kann und will sich das nicht vorstellen. Ganz im Gegenteil. »Verbohrte und gewalttätige Ideologen sind in Frankfurt die absolute Minderheit. Wer Hass und Intoleranz das Wort redet, hat in dieser Stadt nichts zu suchen.« Roth sagte nach einem Besuch am Krankenbett des Rabbiners, die Stadt werde alles dafür tun, dass sich die jüdische Bevölkerung weiterhin wohl und sicher in Frankfurt fühlen könne. Sie sei erschüttert, dass derjenige, der sich öffent- lich zu seinem Glauben bekenne, Gefahr laufe, niedergestochen zu werden. Dann helfe nicht nur vermehrte Polizeiüberwachung, »sondern dann ist das das Dokument dafür, dass wir nicht genügend in unseren Kulturen aufgeklärt haben. Es muss selbstverständlich sein, dass innerhalb jeder Religionsgemeinschaft zur Toleranz gegenüber Andersgläubigen aufgerufen wird«, so die Oberbürgermeisterin.
Die Sicherheitsvorkehrungen für jüdische Einrichtungen in Frankfurt wurden nach der Messerattacke – noch – nicht verstärkt. Allerdings, so die Polizei, werde die Lage in Absprache zwischen Behörden und jüdischer Gemeinde täglich neu beurteilt. Oberbürgermeisterin Petra Roth bekräftigt: »Es darf nicht sein, dass durch einen so gemeinen Angriff in das Leben der hier wohnenden Juden wieder Angst und Schrecken einkehrt.«

Video

Was Sinwar kurz vor dem Überfall auf Israel machte

Die israelischen Streitkräfte haben Videomaterial veröffentlicht, das Yahya Sinwar am Vorabend des Hamas-Überfalls am 7. Oktober 2023 zeigt

 20.10.2024

Gaza

100.000 Dollar für jede lebende Geisel

Der Unternehmer und ehemalige Sodastream-CEO Daniel Birnbaum hat den »guten Menschen in Gaza« ein Angebot gemacht

 20.10.2024 Aktualisiert

Baden-Württemberg

Jüdisches Mosaik in Karlsruhe beschädigt

War es ein Unfall, Vandalismus oder eine gezielte Tat?

 15.10.2024

80. Jahrestag

Gedenkstätte Sachsenhausen erinnert an ermordete KZ-Häftlinge

Auch mehrere Kinder und Enkel von Opfern nahmen teil

 14.10.2024

Zahl der Woche

Unsere Zahl der Woche

Fun Facts und Wissenswertes

 11.10.2024

Kulturgeschichte

Erfundene Tradition

Wie das Dirndl zuerst jüdisch und dann nationalsozialistisch wurde

von Karin Hartewig  11.10.2024

Berlin

Wanderwitz: AfD »lebt ein völkisch-rassistisches Menschenbild«

Die rechtsextreme Partei vertrete »ihr Ziel der sogenannten Remigration ganz offen«, sagt der SPD-Abgeordnete

 11.10.2024

7. Oktober 2023

Baerbock betont Israels Recht auf Selbstverteidigung

»Wir stehen an Eurer Seite«, sagt die Außenministerin in Richtung Israel

 06.10.2024

Interreligiöser Dialog

»Jede Klasse ist da sehr verschieden«

Muslime und Juden gehen im Rahmen des Projekts »Meet2Respect« gemeinsam an Berliner Schulen

 05.10.2024