Grigorij Driker

»Am Anfang ging ich oft in die Synagoge«

von Matilda Jordanova-Duda

Grigorij Driker hat einen Traum. Er möchte alle sechs Kölner Synagogen wieder aufbauen – aus Holz und im Maßstab 1:100. Drei Modelle stehen schon im Wohnzimmer des ehemaligen Architekten aus Odessa. Über die anderen drei hat Driker auch nach mehrjährigen Recherchen in Archiven und im Internet keine Aufzeichnungen gefunden. Mehrmals hat er im Kölner Gemeindeblatt Anzeigen aufgegeben, nach Fotos oder Bauplänen gesucht, doch vergeblich. Jetzt hat er seine Schwester in Israel gebeten, sich in Yad Vashem und an der Universität in Jerusalem zu erkundigen.
Viel Zeit bleibe ihm nicht übrig, fürchtet der knapp 80-Jährige. Die Gesundheit sei nicht mehr die beste, sagt er. Man glaubt es ihm kaum, wenn er munter aufspringt, um seine Schätze aus dem Schrank zu holen. Zu zeigen hat er einiges. Er fertigt aus Holz nicht nur Synagogen, sondern auch winzige Torarollen, Spielzeug und Musikinstrumente en miniature: ein Klavier, Geigen, Celli – mit gespannten Saiten.
Nichts wiederholt sich, darauf legt Driker viel Wert. Auch in seinem Beruf habe er früher nie zweimal das Gleiche gebaut. Er holt ein kleines Motorrad vom Schrank herunter, eines, an dem kein Detail fehlt, das sich aus Holz machen lässt. Vor einem Laden für Holzarbeiten in Italien hatte Driker ein täuschend echt aussehendes Holz-Motorrad stehen sehen. »So etwas muss ich auch machen können«, dachte er. Und nach einigen Wochen des Sägens und Schleifens hatte er es tatsächlich geschafft. Natürlich viel kleiner – wie alles, was er baut. Für die ganze Größe gäbe es in der engen, mit Bildern, Fotos und Nippes vollgestopften Wohnung auch keinen Platz. Alle Arbeiten macht Driker nach guter alter sowjetischer Tradition in der Küche. Es fallen eine Menge Staub und Späne an. »Aber meine Frau schimpft nicht.« Vorausgesetzt, er mache danach sauber.
Doch zurück zu den Synagogen: Schon die Suche nach den ersten drei Bauplänen war abenteuerlich. Alle Kölner Synagogen wurden in der Pogromnacht zerstört. Nur eine wurde nach dem Krieg wieder aufgebaut, jedoch mit Änderungen. Als Grigorij Driker 1998 nach Köln kam und zum ersten Mal die Synagoge sah, war er von deren Schönheit beeindruckt. Sein professionelles Interesse war geweckt, und er hatte den Ehrgeiz, sie detailgetreu nachzubauen. Schließlich gehörte es Jahrzehnte lang zu seinem Job: im kleinen Maßstab künftige Fabriken, Krankenhäuser, Kinos und Wohnblöcke darzustellen – was hatte er in der Sowjetunion nicht alles geplant, mehr als 250 Gebäude. Heute visualisieren die Architekten alles dreidimensional im Computer, aber damals war es noch echte Handarbeit.
Doch die jüdische Gemeinde wollte ihm die Baupläne der einzigen übriggebliebenen Synagoge nicht zur Verfügung stellen, angeblich seien sie geheim, erzählt Driker. Er wandte sich an die Werkstatt des Architekten Goldschmidt, des Wiedererbauers. Dort half man dem Kollegen. Und von außen musste Driker das Gebäude zeichnen. Als er eines Tages stundenlang mit Stift und Malblock um die Synagoge herumstrich, schöpfte ein Nachbar Verdacht und rief die Polizei. Zwei Ordnungshüter wollten ihn abführen. Aber der alte Mann, der kaum ein Wort Deutsch spricht, schaffte es, ihnen mitzuteilen, doch bitte in der Synagoge nachzufragen. Dort kannte ihn der Pförtner als Gemeindemitglied und entlastete ihn vom Verdacht, ein Terrorist zu sein. »Am Ende wünschten mir die Polizisten ›Frohes Schaffen‹«, sagt Driker und lächelt verschmitzt mit allen seinen Falten.
Das fertige Modell brachte Driker gemeinsam mit einem Freund ins Kölner Stadtmuseum. Der Direktor war begeistert, verlangte jedoch auch nach einem Modell des historischen Vorkriegsgebäudes, wohl um es danebenzustellen. Driker machte sich erneut an die Arbeit. Und weil ihm das historische Original noch viel besser gefiel, wollte er auch die anderen verlorenen Synagogen nachbauen. Von der zweiten fand er die Pläne und eine Zeichnung der Fassade im Internet als Teil eines studentischen Forschungsprojekts. Bei der dritten half eine Gedenktafel mit dem Umriss des Bethauses und der dazugehörigen Schule. Auch gab es noch ein altes Foto von dem Gebäude. Den Rest wie die Aufteilung der Räume, die Form und Anzahl der Fenster musste sich der Architekt selbst dazu denken.
Grigorij Driker würde seine Modelle gern ins kleine Museum der Synagogen-Gemeinde geben. Die Mitglieder, gerade die jüngeren und die zugewanderten, sollen die Vergangenheit kennenlernen, meint er. Und sehen wäre besser als hören. Doch bisher habe ihm die Gemeinde keinen Platz dafür angeboten. Nur zum Papstbesuch im Sommer 2005 habe man eines der Modelle ausgestellt, doch bald verschwand es wieder. Driker kann seine Verbitterung darüber nicht verbergen. Er will kein Geld für seine Kunstwerke (obwohl ihn jedes etwa vier Monate Schuften gekostet hat, sechs Stunden am Tag). Sie sollen nur öffentlich gemacht werden, das ist alles. So verwandelt er sein Wohnzimmer in einen Ausstellungsraum. »Wer Lust hat, sie zu sehen, darf kommen.« Er würde auch gerne den Kindern in der Gemeinde das Basteln mit Holz beibringen. »Computer ist schön und gut, aber eine Sache mit eigenen Händen zustande zu bringen, das ist etwas ganz anderes.« Doch auch da sei bisher kein Interesse, sagt Driker traurig.
Wäre er nicht nach Deutschland gekommen, würde er wahrscheinlich bis heute arbeiten. In der Ukraine sei das möglich gewesen. Er habe bis zu seiner Auswanderung 1998 gearbeitet, obwohl er schon längst im Rentenalter war. »Ich konnte nicht zu Hause herumsitzen«, sagt er.
Fast 50 Jahre hat der Rastlose gearbeitet. Die letzten 20 war er Projektleiter in einem der größten Bauinstitute von Odessa. Seine Frau war Ärztin und auch in leitender Position. Und das, obwohl beide keine Mitglieder der Kommunistischen Partei waren, wie er betont. Doch die Drikers entschlossen sich, mit der ganzen Familie auszuwandern: einerseits wegen des wachsenden Antisemitismus in der Ukraine, andererseits, weil sie einen wehrpflichtigen Enkel hatten und die Verhältnisse in der Armee fürchteten.
Die ersten Jahre in Deutschland ging Driker regelmäßig in die Synagoge. Jeden Schabbat, sagt er. Zwar sei er nicht religiös, aber von einer sehr frommen Großmutter erzogen worden. Sie habe ihm Respekt vor dem Glauben und den Gläubigen eingeimpft. Jeder, auch ein nichtreligiöser Mensch, müsse die Vergangenheit seines Volkes kennen, sagt Driker. Einmal vor vielen Jahren, erinnert er sich, traf er ein paar jüdische Freunde auf der Straße. Und da es Pessach war, hatten die jungen Männer die Idee, in die Synagoge zu gehen. Gesagt, getan. Schon am nächsten Morgen rief ihn sein Chef zu sich und warnte: »Willst du deine Stelle behalten, dann keine Synagogenbesuche!« Aber, sagt Driker schmunzelnd: »Obwohl man uns nicht mochte, duldete man uns, weil man uns brauchte.« In seinem Institut habe es bei über tausend Mitarbeitern acht leitende Ingenieure gegeben – und acht seien Juden gewesen.
In der Kölner Synagogen-Gemeinde fühlte sich Grigorij Driker nach der ersten Zeit allerdings bald ausgeschlossen. Vielen Einwanderern sei es so ergangen, erzählt er. Von den Alten verstünden um die 90 Prozent kein Deutsch. »Wären die Veranstaltungen auf Jiddisch gewesen, hätten wir alle das noch verstehen können, wenn auch nur lückenhaft.« Deshalb ginge er bis heute nicht mehr hin. »Was soll ich da wie ein Fisch herumsitzen?«

Grigorij Driker bittet dringend um Fotos, Baupläne und sonstige Informationen über die drei oder sogar vier Kölner Synagogen in den Stadtteilen Deutz und Mülheim. Telefon: 0221/ 484 43 84

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