Melachot

39 Wege zur Ruhe

Am Schabbat darf man weder einen geöffneten Kühlschrank schließen noch eine Mäusefalle aufstellen oder ein Hörgerät anschalten. Foto: Illustration: Marco Limberg

Medien und Technik beherrschen unser Leben. Auf Handys, Tablets und Computern fordern E-Mails, Chats, Likes, Nachrichten unsere Aufmerksamkeit, und wir schaffen es im Alltag nur selten, uns diesen Versuchungen zu entziehen.

Wie wäre es mit einer Pause – wenigstens einmal in der Woche? Der Schabbat versetzt uns in eine Atmosphäre der Seelenruhe und bringt uns außerdem Zeit für unsere Familie und Toralernen. Diese Atmosphäre wird dadurch geschaffen, dass insgesamt 39 Melachot (Arbeiten) am Schabbat verboten sind: Alles, was uns von der Ruhe ablenkt, ist zu unterlassen.

Die Tora zählt von den 39 verbotenen Melachot allerdings nur vier auf: Pflügen und Ernten (2. Buch Mose 34,21), Feuer zünden (2. Buch Mose 35,3) und Heraustragen von Gegenständen (2. Buch Mose 16,29). Wo finden wir die restlichen 35?

Wir kennen sie aus der mündlichen Überlieferung, denn nur ein Teil der Tora wurde von Mosche niedergeschrieben. Viele Gesetze werden in der Tora genannt, aber ihre konkrete Anwendung ist mündlich überliefert. Diesen Umstand an mangelnden Anweisungen in der Schrift bemerkt die Mischna (Hag 1,8): »Die Gesetze des Schabbats sind wie Berge, die an einem Haar hängen, denn sie bestehen aus wenigen Schriftworten und zahlreichen Bestimmungen.«

Mischkan Die 39 Melachot sind also nur mündlich überliefert. Trotzdem finden wir einen Anhaltspunkt für sie in der Tora. Nach der Errichtung des Mischkan, des Stiftszeltes, sagt Gott zu Mosche über den Schabbat: »Achtet den Schabbat, denn ein Heiligtum ist er euch; wer ihn entweiht, soll getötet werden, denn wer an ihm Werk (Melacha) ausführt, dieser Mensch wird ausgewurzelt aus seines Volkes Kreisen« (2. Buch Mose 31,14). Wer also am Schabbat eine Melacha tut, soll sterben.

Der Talmud (Schabbat 49b) bemerkt: »Man ist nur schuldig für eine Melacha, die auch bei der Errichtung des Mischkans ausgeübt wurde.« Dies ist der Anhaltspunkt für unsere heutige Praxis: An Schabbat darf man keine Melacha tun. Was ist eine Melacha? Alles, was bei der Errichtung des Mischkans getan wurde. Woher wissen wir das? Das Verbot, am Schabbat zu arbeiten, folgte unmittelbar dem Bau des Mischkans und definiert damit die Bedeutung von Arbeit.

Schaubrote Schauen wir uns den Bau des Mischkans also genauer an. Die in Klammern stehenden Zahlen stehen für die 39 verbotenen Melachot. Die Herstellung des Brotes (für die Schaubrote) fängt mit dem Pflügen des Bodens (1) an. Darauf folgt das Aussäen des Getreides (2). Die Saat wächst, wird geerntet (3) und das Getreide in Garbenbündel gesammelt (4). Daraufhin wird das Getreide gedroschen (5), damit die Körner herausfallen.

Nun muss die Spreu von den schweren Körnern getrennt werden; das erfolgt durch das Worfeln (6). Hierbei wird das gedroschene Getreide mit einer Schaufel gegen den Wind geworfen. Die schweren Körner fallen zu Boden und werden mit der Hand von der Spreu geschieden (7). Nun folgt das Mahlen (8) und Sieben der Körner (9). Das entstandene Mehl wird geknetet (10) und gebacken (11).

Bei der Herstellung der Wolle für die Tücher wird die Wolle geschoren (12) und gewaschen (13). Nun muss das dichte Vlies mit einem Kamm aus Metall kardiert (14) werden, um Schmutz und Fett zu entfernen. Hierauf werden die flauschigen Wollbüschel gefärbt (15) und mit einer Spindel zum Garn versponnen (16). Das Garn wird als Kettfaden auf einen Webstuhl angezettelt (17).

Diese Kettfäden werden durch Litzen gezogen (18); das sind Öhre am Webstuhl, die die Kettfäden halten. Haben sich die Fäden verdreht, dann muss man sie trennen (19). Nun fängt man an zu weben (20), indem man den Schussfaden am Weberschiffchen durchschießt.

Zelttücher Die gewobenen Zelttücher werden in Purpur gefärbt. Purpur wird aus Purpurschnecken gewonnen; für ein Gramm Purpur benötigt man 12.000 Schnecken. Der hohe Arbeitsaufwand macht Purpur teurer als Gold. Um an die Schnecken zu kommen, braucht man Netze. Sie werden geknotet (21). Das Verlängern der Netze geschieht durch das Lösen (22) und Anknoten neuer Netze. Nachdem die Stoffe fertiggestellt sind, werden sie genäht (23). Hat man einen Fehler im Stoff oder Muster entdeckt, wird die Stelle gerissen und wieder genäht (24).

Das Dach des Mischkans bestand aus vier Zelttüchern übereinander, von innen nach außen: Leinen, Ziegenhaar, Widderhaut, Tachasch. Um an Widderhaut zu kommen, werden die Widder eingefangen (25), geschächtet (26) und gehäutet (27). Der Gerber (28) legt die Haut in Salz und Wasser ein. Danach werden die Haare von der Haut abgeschabt (29), dadurch wird das Leder weich. Bevor die fertige Haut zusammengenäht wird, muss sie zunächst zurechtgeschnitten werden (30). Hierbei werden die Linien für den Schnitt vorgezeichnet (31).

Planken Der Mischkan wurde für den Transport auseinandergenommen (32) und an einem anderen Ort wieder aufgebaut (33). Beim Abbau (34) überreichten die Leviten die Planken und luden sie auf Wagen. Um die 48 Planken an ihrem entsprechenden Ort zu platzieren und den Überblick darüber zu behalten, hat man die Planken beschriftet (35). Hat man sich aus Versehen vertan, musste man radieren (36). Die 48 Planken wurden mit Gold ummantelt, und goldene Nägel wurden eingeschlagen (37).

Feuer gehörte zu den wichtigsten Werkzeugen beim Bau des Mischkans. Man zündete Feuer (38), um Metall zu schmelzen. Hierfür braucht man Holzkohle. Holzkohle wird durch Zünden und Löschen von Holz (39) hergestellt.

Man könnte nun meinen, die 39 Melachot seien veraltet und spielten im 21. Jahrhundert keine Rolle mehr, weil sie nur auf altes Handwerk begrenzt seien. Dem ist aber nicht so. Denn die Melachot sind allgemeine Prinzipien, die auf alle Lebensbereiche angewendet werden. Hier seien einige Beispiele genannt:

Knoten Wer zu Schabbat einen Smoking tragen möchte, kann seine Fliege am Schabbat binden. Jedoch sollte man bei Lackschuhen aufpassen, keinen Doppelknoten zu machen. Denn Knoten, die schwer zu lösen sind, fallen unter die Melacha des Knotenbindens. Einfache Knoten sind dagegen kein Problem.

Am Schabbat ist es nicht erlaubt, Tiere einzufangen – deshalb darf man eine nervende Biene nicht in einem Glas einsperren. Mausefallen müssen daher vor Schabbat aufgestellt werden. Dagegen darf man Tiere am Ruhetag aus ihrer Falle befreien.

Wer am Schabbat Blut spenden möchte, sollte das lieber verschieben. Denn alles, was zu einer Blutung oder einem Bluterguss führt, fällt unter das Schächtverbot am Ruhetag.

Schabbesgürtel Am Schabbat darf man außerdem nichts vom Balkon werfen – und nichts von zu Hause heraustragen. Für viele Juden stellt sich daher die Frage: Wohin bloß mit dem Schlüssel? Der Schabbesgürtel ist eine geniale Erfindung, weil er das Problem ganz praktisch löst: Man klemmt den Schlüssel zwischen Karabinerhaken und schnallt sich ihn als Gürtel um. Der Schlüssel ist dann kein Schlüssel mehr, sondern eine Gürtelschnalle.

Rollstühle, Blindenhunde und Krücken sind am Schabbat gestattet. Was die Nutzung von elektrischen Geräten betrifft, ist umstritten, ob sie zum Verbot des Feuermachens oder des Bauens gehört. Fest steht, dass die Nutzung von Strom nicht erlaubt ist.

Wer auf ein Hörgerät angewiesen ist, kann es vor Schabbat anstellen und es tragen. Unangenehm wird es dann, wenn man vergessen hat, die Glühbirne im Kühlschrank auszuschalten. Der geöffnete Kühlschrank darf nicht mehr geschlossen werden. Und hat man seinen Wecker auf dem Handy vor Schabbat eingestellt und die automatische Abschaltung vergessen, kann einem das Klingeln den ganzen Tag auf die Nerven gehen.

Das sind nur einige Beispiele für die Problematik. Wer sich eingehender damit beschäftigen möchte, kann Antworten unter anderem in dem Buch Laws of Shabbat von Rabbiner Eliezer Melamed finden.

Prinzipien Die 39 Melachot sind nur Prinzipien, die uns zur Ruhe anleiten. Sie sind Mittel zum Zweck, uns daran zu erinnern, dass Gott der Herrscher der Welt ist und nicht der Mensch, obwohl es uns manchmal anders erscheint. Der Schabbat ist ein unschätzbares Gut in der heutigen Gesellschaft.

Der Mischnakommentator Tiferet Israel drückt es so aus: »Arbeit ohne Unterbrechung ist eine Sehnsucht nach Vollendung und eine endlose Leere, die nie gefüllt werden kann. Ungeachtet unserer Mühe ist es uns unmöglich, Genugtuung und innere Ruhe zu erreichen, weil die Vollendung so weit entfernt liegt und unsere Schwächen unendlich sind. Es gibt so viele Probleme zu lösen, dass wir niemals aufhören zu arbeiten. So wäre es, wenn die Welt in sechs Tagen ohne Schabbat erschaffen worden wäre. Aber mit der Erschaffung des Schabbats wurde die Welt mit Ruhe gesegnet.«

Der Autor studiert am Rabbinerseminar zu Berlin und ist Autor des Blogs: koscher.info/blog

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