Antisemitismus

Normal feindlich

Antisemitische Schmierereien an einem jüdischen Kindergarten in Berlin im Jahr 2007 Foto: ddp

Erstaunlicherweise hat der dem Bundestag vorgelegte Bericht »Antisemitismus in Deutschland« ein enormes Medienecho erzeugt. Demnach sind 15 bis 20 Prozent der Deutschen antisemitisch eingestellt, und bei weiteren 20 bis 30 Prozent ist Antisemitismus in Latenz feststellbar.

Die Zahlen sind nicht neu, erregen aber immer wieder Aufmerksamkeit. Das Echo überrascht und überrascht doch nicht. Medien sind auf der Suche nach Sensationen, und die genannten Zahlen sind, man kann es drehen und wenden, wie man will, erschreckend.

Für die Fachleute enthält der Bericht in der Sache nicht viel Neues. Die Zahlen sind seit Jahrzehnten bekannt. Interessant ist allerdings, dass, wenn man die Daten für Deutschland mit denen anderer europäischer Länder in Relation setzt, sich dort ähnliche Ergebnisse finden.

Auch, wenn man die Zahlen über die verschiedenen Zeiträume vergleicht, merkt man, dass sie weitgehend stabil geblieben sind. Der Befund, der jedes Mal, wenn er vorgestellt wird, für so viel Überraschung sorgt, lautet: Der Antisemitismus ist immer in der Mitte der Gesellschaft zu Hause gewesen, und zwar immer in einem Umfang, der ein Fünftel, ein Viertel oder gar ein Drittel der Gesellschaft abdeckt.

Skepsis Judenhass ist tief in der Kultur verwurzelt und über die Jahrhunderte gewachsen. Deswegen ist Skepsis angebracht, ob man ihn überhaupt wirksam bekämpfen kann. Ein Beispiel. Von Wilhelm Busch gibt es bekanntlich die judenfeindlichen Verse: »Kurz die Hose, lang der Rock / Krumm die Nase, und der Stock (...) So ist Schmulchen Schievelbeiner. / (Schöner ist doch unsereiner!)« Es ist natürlich prinzipiell denkbar, solche Stellen zu streichen – aber wäre das dann noch Wilhelm Busch? Oder, um es noch schärfer zu formulieren: Bliebe das Neue Testament, wenn es von seinen judenfeindlichen Passagen bereinigt würde, noch das Neue Testament?

Die Expertenkommission, der ich in den letzten zwei Jahren angehört habe, beklagt zu Recht das Fehlen einer tragfähigen Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus. Doch zu bedenken ist, dass bei allen pädagogischen Präventionsprogrammen, die es gibt, bislang keine wirklichen Erfolge zu vermelden sind: Nirgends, wo diese Programme aufgelegt wurden, ist der Antisemitismus spürbar zurückgegangen. Diese Beobachtung soll uns allerdings nicht dazu verführen, mit dem Aufklären aufzuhören.

Jedoch ist, statt auf solche Programme, stärker auf die Mittel des Rechtsstaates zu setzen. Exekutive und Judikative in der parlamentarischen Demokratie müssen darin gestärkt werden, antisemitische Straftatbestände eindeutig und schnell zu ahnden. Nur so kann man Zeichen setzen.

Selbstverständlich kann der Rechtsstaat nur das verfolgen, was justiziabel ist. Die Meinung etwa, Juden hätten zu viel Einfluss in der Wirtschaft und in den Medien, ist zwar eindeutig antisemitisch, aber es ist eine Meinung, die nicht strafbar ist. Das sollte sie auch nicht sein.

Internet Wer prinzipiell gegen jede Form von Zensur ist, muss auch akzeptieren, wenn ein Antisemit sich offen äußert. Ja, ich meine, es ist sogar zu begrüßen, dass er es nicht hinterrücks, sondern öffentlich tut – und damit politisch bekämpfbar ist. Gewiss, es gibt Grenzfälle. Das Internet und das weltweite Fernsehangebot offenbaren dies deutlich. Man muss sich nur etwa islamistische Hetz-Fernsehsender anschauen, die in aller Welt empfangen werden können. Doch auch hier gilt: Mit Verboten wird man nicht viel erreichen.

Es ist gut, dass der Bundestag die Einrichtung einer Expertenkommission beschlossen hatte, die sich mit dem Phänomen des Antisemitismus beschäftigt. Und doch ist der jetzt vorgelegte Bericht natürlich nur ein erster Schritt. Spätere Berichte, die folgen sollen, werden weitere Fragen aufnehmen. So ist zum Beispiel der Antisemitismus in muslimischen Milieus ein Thema, das bisher so gut wie überhaupt nicht erforscht worden ist.

Eine Voraussetzung für eine weitere Beschäftigung mit dem Thema in diesem Rahmen ist, dass die Arbeit institutionalisiert wird. Sinnvoll wäre, wenn neben der Expertenkommission die Stelle eines Bundestagsbeauftragten geschaffen würde, der Ansprechpartner ist und sich regelmäßig mit den erarbeiteten Berichten über Probleme des Antisemitismus ans Parlament wendet. Der Vorschlag ist nicht neu, aber ernsthaft verfolgt wurde er bislang nicht.

Die Arbeit der Expertengruppe hat gezeigt: Es gibt einige Politiker, die es sehr ernst meinen mit dem Erkennen und Bekämpfen von Antisemitismus. Mein Eindruck aber ist, dass der Mehrzahl der Abgeordneten das Thema gleichgültig ist. An- deres ist ihnen wichtiger, oder aber sie äußern sich lieber überhaupt nicht zu einem »solchen« Thema.

Was also tun? Aufklären, und nochmals aufklären – und sich dennoch keine falschen Hoffnungen machen.

Der Autor ist Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam und Mitglied der Expertenkommission des Bundestages.

Potsdam

Brandenburg: Ja zum Existenzrecht Israels künftig Bedingung zur Einbürgerung

Die Entscheidung der Landesregierung gilt seit Juni dieses Jahres

 18.07.2025

Berlin

Wo die Intifada globalisiert und gegen Zionisten gehetzt wird

Ein Augenzeugenbericht über einen merkwürdigen Abend an der Freien Universität, der mit einem Hausverbot endete

von Alon David  18.07.2025

Meinung

Kein Mensch interessiert sich für den AStA, aber vielleicht sollte man es

An der FU Berlin berieten Studenten darüber, wie man die Intifada globalisieren könnte. Darüber kann man lachen, doch den radikalen Israelfeinden steht der Marsch durch die Institutionen noch bevor

von Noam Petri  18.07.2025

Medien

»Besonders perfide«

Israels Botschafter wirft ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann Aktivismus vor. Die Hintergründe

 18.07.2025

Analyse

Inszenierung des angeblich Unpolitischen

Im Prozess von Lahav Shapira gegen Burak Y. versuchte die Verteidigung, so zu tun, als hätte die Nötigung des jüdischen Studenten nichts mit dem Nahost-Konflikt zu tun. Doch Burak Y. selbst unterlief diese Strategie

von Ruben Gerczikow  18.07.2025

Berlin

Israelisches Restaurant verschiebt wegen israelfeindlicher Proteste Eröffnung

»Ein Restaurant zu eröffnen, sollte eine fröhliche Feier sein«, so die Betreiber. Unter den aktuellen Umständen sei es »kaum möglich, diese Freude zu spüren«

 18.07.2025

Washington D.C.

Trump will Veröffentlichung einiger Epstein-Unterlagen

Der amerikanische Präsident lässt sich selten unter Druck setzen. Doch im Fall Epstein reagiert er nun. Ob das seinen Anhängern reicht?

 18.07.2025

Flandern

Gericht verbietet Transit von Militärgut für Israel

Der Hafen in Antwerpen ist einer der größten Europas. Einer Gerichtsentscheidung zufolge dürfen Schiffe, die von dort aus in den einzigen jüdischen Staat fahren, kein Militärgut mehr mitnehmen

 18.07.2025

Regierung

Warum Friedrich Merz Angela Merkel erst zum 100. Geburtstag öffentlich gratulieren will

Alte Rivalität rostet nicht? Als der Bundeskanzler in Großbritannien auf das Verhältnis zu seiner Vorvorgängerin angesprochen wird, reagiert er schlagfertig

 17.07.2025